BLOG vom: 17.03.2011
Wie Japan Emotionen kontrolliert und Europa solche schürt
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
„Was wir sehen, ist nicht, was wir sehen, sondern was wir sind.“
Fernando Pessoa: „Das Buch der Unruhe“
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Peinlich. Der Vergleich der Medienberichterstattung über die Seebeben-Tsunami-KKW-Katastrophe im betroffenen Japan einerseits und in der westlichen Welt anderseits lässt tief blicken:
• In Japan wird angemessen und überlegt informiert. Die Medien bauschen nicht auf, erzeugen keine Panikstimmung, obschon die Ereignisse als Drama sondergleichen bezeichnet werden müssen, insbesondere die Tsunami-Folgen. Die japanische Bevölkerung ist gefasst, absolut diszipliniert. Den modischen weinerlichen Betroffenheitsjournalismus nach dem dekadenten Westmuster gibt es nicht.
Jedermann staunt über das grossartige Verhalten der Menschen in Japan, das einen tiefen Eindruck macht. Sie haben ihre Emotionen im Griff. Ich bewundere das vorbildliche Verhalten dieses Volks, seiner Repräsentanten, seiner Medien ... und des KKW-Personals, das unter Lebensgefahr versucht, die 6 Reaktoren in Griff zu bekommen, trotz der nicht über alle Zweifel erhabenen Betreibergesellschaft Tepco. Man müsste die tapferen Menschen auch aus dem Ausland moralisch unterstützen, ihnen jede erdenkliche Hilfe zukommen lassen.
Das Gegenteil ist der Fall: Ein zu einem Hilfseinsatz nach Japan entsandter Flugzeugträger der US-Armee hat die Küste des Landes am 14.03.2011 wegen erhöhter radioaktiver Strahlung am Werk Fukushima 1 nach kurzem Einsatz vorübergehend wieder verlassen, weil um den Meiler herum „ein niedriger Verschmutzungsgrad in der Luft“ festgestellt worden sei, und obwohl die Verunreinigung keine Gefahr für die Gesundheit darstelle, hiess es von Armeeseite. Abschiedsgrüsse von den Helden! Bei US-Soldaten, die ihr ausgesetzt gewesen seien, hätten Experten keine erhöhten Werte messen können. „Die schwache Strahlung konnte einfach mit Seife und Wasser abgewaschen werden“, hiess es in der US-Mitteilung. Der Flugzeugträger war etwa 160 km nördlich des Atomkraftwerks, also in sicherer Distanz, im Einsatz. Auch Hilfstrupps aus Deutschland und der Schweiz suchten gleich wieder das Weite, wahrscheinlich unter dem Eindruck der aufgeheizten Stimmung. Sicher wäre noch viel zu tun gewesen. Enttäuschende Verhaltensweisen.
• Im Westen wird aus einer unbedingten Atomkraft-nein-danke-Haltung heraus blindlings jede Meldung unkritisch herausposaunt, welche diese Anti-AKW-Stimmung scheinbar untermauert. Plötzlich sind alle Medienschaffenden Kernenergieexperten, wobei man dann aufgrund ihrer Fragen und journalistischen Klitterungen sogleich merkt, dass sie von Tuten und Blasen keine blasse Ahnung haben; die meisten setzten sich nicht einmal über die verschiedenen KKW-Typen und die unterschiedlichen Strahlenarten ins Bild. Ihr Ziel ist schlicht und ergreifend das Erzeugen einer übermächtigen Angst, die das Denken lähmt. Das geschieht auch durch das beliebige Hinausschieben der engen Grenzen dessen, was man überhaupt wissen kann. Und damit haben sie offensichtlich Erfolg. Die Politik reagiert überall hektisch. Die grün-roten Allianzen sehen sich im Aufwind und möchten gleich alle Kernkraftwerke abstellen, ohne zu sagen, womit denn der wachsende Energiehunger der Zivilisationsgesellschaft gestillt werden könnte. Sie sehen ihre Chance gekommen, die bürgerliche Gesellschaft ins Abseits zu drängen und einen linksorientierten Staat aufzubauen. So wird, was eine Sachfrage ist, zu einem politischen Manipulationsobjekt, das ins Links-Rechts-Schema eingeordnet werden kann.
Und zu all dem Überdruss und um das eigene Verhalten zu rechtfertigen, wurde den gefassten Japanern eine ungenügende Informationspolitik vorgeworfen.
Reaktionen in Europa
Während Frankreich seit Jahrzehnten massiv auf Kernenergie setzt, herrscht in Deutschland eine Totalverwirrung. Ursprünglich sollten alle Kraftwerke bis etwa 2021 abgeschaltet werden. So jedenfalls sah es der sogenannte Atomkonsens vor, den Rot-Grün im Jahr 2000 mit den Betreibern aushandelte und 2002 gesetzlich verankerte. Dann sollte die Laufzeit der 17 Atomkraftwerke in Deutschland im Schnitt um 12 Jahre verlängert werden. Und nach der Kombikatastrophe in Japan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am 14.03.2011 die Aussetzung der Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke bekannt gegeben. Und zudem mussten folgende Werke vorübergehend abgeschaltet werden: Philippsburg I, Biblis A und B (Hessen), Isar I (München), Unterweser (Niedersachsen) und das ohnehin stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Die deutschen Atommeiler lieferten zuletzt rund 23 Prozent des Stroms, und jetzt muss Deutschland halt mehr Elektrizität einführen.
Die EU will bei allen KKWs einen Stresstest durchboxen, was nicht schaden kann, auch in der Schweiz, wo 5 Atomreaktoren an 4 Standorten in Betrieb sind – den Kühlturm von Gösgen SO sehe ich von meinen Bürotisch aus (Luftlinie: knapp 10 km). Da die Sicherheitsmassnahmen in unserem Land ausserordentlich hoch sind und periodisch überprüft werden, habe ich keine Angstgefühle. Als für Energiefragen zuständiger Wissenschaftsredaktor am damaligen „Aargauer Tagblatt“ habe ich während Jahren insbesondere die KKW-Baufortschritte in Gösgen und Leibstadt periodisch an Ort und Stelle verfolgt, unzählige Studienreisen zu KKWs in anderen europäischen Ländern bis nach Schweden mit der Besichtigung der Kernkraftwerke Okskarshamn und Forsmark (1979) unternommen und dabei über die Schweizer Qualitätsphilosophien gestaunt, die wohl einzigartig sind – besonders im Vergleich zu französischen Anlagen.
Die Schweizer Kernkraftwerkbetreiber liessen eine „probabilistische Erdbebengefährdungsanalyse für die KKW-Standorte der Schweiz“, kurz Pegasos (abgeschlossen 2007), ausarbeiten, eine in Europa noch einmalige Untersuchung. Sie brachte hervor, dass die Erdbebengefahren bisher unterschätzt wurden. Sofort wurden Sicherheitsverbesserungen in Angriff genommen; in etwa 5 Jahren dürften die Arbeiten einigermassen abgeschlossen sein, wiewohl solche Verbesserungen nie als vollendet betrachtet werden können. Erdbebensicheres Bauen bedeutet den Einbau einer gewissen Elastizität, eine relativ junge Erkenntnis, auch wenn man schon immer wusste, dass ein Zelt weniger anfällig gegen Erschütterungen wie ein Erdbeben ist als ein fester Bau. Auch Brücken müssen eine gewisse Elastizität haben, um stabil zu sein.
Unter dem Eindruck des schweren Unfalls in Fukushima hat Bundesrätin Doris Leuthard die hängigen Gesuche für ein neues AKW für 3 Monate etwas überstürzt suspendiert, eine Konzession an die herrschende, medial erzeugte Stimmung. Und die Aargauer Regierung hat 2 Richtplangeschäfte für das KKW Beznau von der Grossratstraktandenliste abgesetzt, wahrscheinlich weil bei der gegebenen Informationslage wohl keine vernünftige Diskussion möglich ist.
Solange aus Japan nur fragmentarische Informationen vorliegen, sich die Geschehnisse überstürzen und der Ablauf der atomaren Katastrophe noch nicht rekonstruiert werden konnte, ist jede politische Diskussion ebenso fehl am Platze wie daraus gezogene kopflose Beschlüsse.
Das grosse Medientheater nährt sich von solchen Ungewissheiten und Spekulationen, die bis an den Rand des Erträglichen gehen. So wurde am Radio DRS1 am Morgen des 16.03.2011 die Frage gewälzt, ob allfällig verstrahlte Personen, die aus Japan in die Schweiz einreisen, hier ansteckend wirken würden ... Ansteckend ist in unserem Kulturkreis offensichtlich die verbreitete mediale Schaumschlägerei, um aus dem Unglück anderer politisches Kapital zu schlagen. Genau so wie in Fukushima die Reaktoren ausser Kontrolle sind, sind es bei uns die Medien: kein Sendegefäss, indem nicht (mit Atomstrom für Sender und Empfänger übrigens) gegen den Atomstrom Stimmung gemacht wird. Tschernobyl, wo der Super-Gau im Graphit-Reaktor unter vollkommen anderen Prämissen ablief, wird in jeder Einzelheit mehrfach aufgewärmt und mit den Geschehnissen mit den Siedewasserreaktoren und Abkühlbädern in Japan verknüpft. Unbeachtet bleibt dabei auch, dass das KKW Tschernobyl über keinen Sicherheitsbehälter (Safety Containment) verfügte, worauf mich der auf solche Anlagen spezialisierte, in Biberstein wohnhafte Techniker Manfred Hesse aufmerksam machte.
Wo auch nur ein paar Tropfen Öl aufzutreiben sind, werden sie ins Fukushima-Feuer geschüttet, das nach allen Regeln der medialen Manipulationskunst instrumentalisiert wird.
Vorbildliches Asien
Da mein einziger Bruder in Asien lebt, habe ich mit ihm zusammen fast jährlich diesen Kontinent bereist, und wenn ich jeweils nach Europa zurückkam, war ich ein anderer Mensch, beeindruckt von der Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Friedfertigkeit und Selbstgenügsamkeit der auf jenem fernen Kontinent lebenden Menschen. Die Vietnamesen, deren ganzes Land von den Amerikanern grundlos vergiftet worden ist und die nicht einmal ein Wort der Entschuldigung hinnehmen durften, hegen gegen ihre Peiniger keine Rachegefühle. Und Japan hat die beiden US-Atombomben „Little Boy“ (welch niedlicher Name für ein Instrument zur Massentötung!) und „Fat Man“, auf deren Abwurf die Amerikaner so stolz sind, zum Anlass genommen, sich für den Frieden, gegen den Krieg und gegen Atomwaffen einzusetzen, währenddem die USA umso intensiver aufrüsteten.
Um eine Erwähnung der jahrzehntelangen Strahlenschäden, die das Volk der Japaner nach den Bombardements von Hiroshima und Nagasaki hinnehmen musste, drücken sich die meisten unserer strahlenbewussten Medien herum. Focus online (www.focus.de) schrieb immerhin, Japan sei das einzige Land ist, das seit Hiroshima und Nagasaki gelernt habe, in total verstrahlter Landschaft neu anzufangen. Das tönt schon fast dankbar gegen jene, die zu diesem Lehrstück verholfen haben.
Und so wird es noch ein paar Tage weitergehen. Ob man sich auch den frierenden und obdachlosen Menschen in Japan annehmen wird, selbst wenn deren trauriges Schicksal nichts zur Förderung der Atomängste beitragen kann?
Sonst würde man unser Fernsehen mit all den stromfressenden Kästen am besten gleich vom Netz nehmen. Dann kann man auch ein KKW nach freier Wahl abschalten, ohne Informationsverlust.
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