BLOG vom: 02.04.2011
Reaktionen auf Blogs (107): Botschaften mit Ausstrahlungen
Präsentator der Leserpost: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Seebeben. Tsunami, Kernkraftwerkkatastrophe in Japan: Aus diffusen Medienberichten, basierend auf amtlichen Quellen, die den Überblick verloren haben und Behörden, die keine Panik schüren wollen, erlebt man andeutungsweise, was ein GAU – ein Grösster anzunehmender Unfall – sein kann. In 5 Blogs wie zum Beispiel in jenem vom 23.03.2011: Japan als publizistischer Testfall: Lehrstücke in Manipulation, haben wir uns im Bemühen, die Katastrophe relativierend in einen grösseren Zusammenhang einzuordnen, mit Fukushima befasst und erfreulicherweise zahlreiche Zuschriften erhalten, welche die Geschehnisse aus anderen, persönlichen Perspektiven beleuchten.
Von der Schriftstellerin Gabriele Röwer (E-Mail: gabriele_roewer@gmx.de) – Ihr neuestes Werk: „Arme Teufel sind wir alle ...“, das den religionsphilosophischen Korrespondenzen des Aargauer Denkers Robert Mächler (1909‒1996) gilt und im Haupt-Verlag erschienen ist ‒ und dem wohl berühmtesten Religionskritiker Karlheinz Deschner, der im Moment am 10. und letzten Band der „Kriminalgeschichte des Christentums“ (Rowohlt Verlag) arbeitet, ist am 29.03.2011 die folgende Stellungnahme ein getroffen:
Das „Restrisiko“ – rekordverdächtiges Unwort des Jahres
Lieber Herr Hess,
Karlheinz Deschner und ich danken Ihnen für Ihre Einschätzung der Atomenergie. Wir gelangten zu teilweise anderen Schwerpunkten als Sie: ich u. a. aufgrund meiner Mitarbeit in einer regionalen Anti-Atom-AG für Lehrerinnen^und Lehrer; Karlheinz Deschner infolge einer jahrelangen intensiven privaten Beschäftigung, jenseits seiner kirchen- und literaturkritischen Werke, mit den Folgen schrankenloser (auch: Atom-)Technikbegeisterung, auch im Zusammenhang der Bewegung „Kampf dem Atomtod“, woran er 1957‒1959 aktiv beteiligt war; Ergebnisse dieser Auseinandersetzung spiegeln auch manche seiner Aphorismen (siehe unten).
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„Das Atom ist unser kleinstes Porträt; es enthüllt unsere ganze Kraft als Schrecken.“
(Max Rychner)
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Wir betreiben AKW-Kritik keineswegs ideologisch, vielmehr ist uns das „Restrisiko“ der Atomkraft einfach zu hoch, unverantwortlich vor allem die diversen „Zwischenlager“ trotz ungeklärter Endlagerung für hochradioaktiven Müll, durch den wir unzählige Generationen nach uns mit unabsehbaren Gefahren belasten (wer kann denn ernsthaft eine Sicherheitsgarantie für solche Zeiträume übernehmen, selbst die Finnen nicht). Das widerspricht unserer Forderung, eine Ökonomie müsse immer agieren in Verantwortung für Umwelt, Mitwelt (jenseits der Industrieländer) und Nachwelt, also „nachhaltig“ sein (und die Kosten für Folgeschäden in die Kalkulationen zum „billigen“ Atomstrom einbeziehen; kein Zufall, dass AKWs nicht rück-/ versicherbar sind ...).
Wir wollen ja gerade nicht den Teufel (Verstrahlung) mit Beelzebub (Klimaerwärmung) austreiben. Ich erwähnte in meiner vorigen E-Mail an Sie bewusst nicht die Kohle, das Öl (oder gar Atomstrom aus Tschechien oder Frankreich), weil es inzwischen genügend Expertisen gibt, welche deren Ersetzbarkeit nicht nur durch Wind, Wasser, Sonne aufzeigen, sondern auch durch massive Verbesserung der Energie-Effizienz, des Nutzungs-/Wirkungsgrades. Nur ein Beispiel: die Primärenergie in den meisten Fabriken etwa verpufft ungenutzt zu 2/3 und mehr: hier sollten Geld und Forschergeist investiert werden, dann könnten wir locker auf Teufel und Beelzebub verzichten, von einer ungeheuren privaten Energieverschwendung (Haushalt, Verkehr) ganz zu schweigen.
Mit unserem Freund Robert Mächler sind wir überzeugt davon, dass wir unsere Vernunft auch dafür mitbekommen haben, um uns für ein qualitatives (!) Wachstum anzustrengen, das heisst für eine Wirtschaft, welche jederzeit und in allererster Linie die sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen unseres gesamten Planeten im Auge hat, das bedeutet „Öko-logie“: den Geist des Hauses, in dem wir leben, bewahren (Mächler spricht vom „schönen Garten Erde ..."). Auch damit kann man durchaus gute Geschäfte machen, deren Ertrag Umwelt wie Menschen, und zwar allen Menschen gleichermassen, zugute kommt.
„Naturwissenschaftlich leben wir im Atomzeitalter, moralisch in der Steinzeit.“ Albert Einstein (ganz im Sinne von Fritz Riemanns Charakterisierung des „schizoiden“ Menschen, bei dem das Gefühl inkl. das moralische Empfinden und Urteilen abgespalten sind vom isolierten Trieb und Intellekt).
Was folgt daraus? Eben weil die anachronistische Kooperation der Teile unseres Dreifachhirns (Ditfurth und MacLean) es möglich macht, dass die Aggressionspotenziale des uralten Triebhirns sich des hypertrophierten Intellekts des „homo sapiens“ immer grauenvoller bedienen (Löbsack: „Versuch und Irrtum - Mensch, Fehlschlag der Natur“), müssen wir besonders auf der Hut sein: unter den 7 Milliarden Menschen gibt es in allen Ländern dieser gebeutelten Welt genügend Irre, etwa rücksichtslose Despoten und hybride Wissenschaftler (siehe Oppenheimers Schicksal bis hin zur totalen Distanzierung von der Kernenergie auch zu friedlichen Zwecken), welche diese atomare Keule früher oder später zu schwingen bereit sein könnten.
Etliche Bestandteile atomarer Waffen und Fabriken sind identisch: der Januskopf der Wissenschaft führt, wie wir sehen, mit der Potenzierung des Wissens immer mehr dazu, dass wir massenhaft Grips, Zeit und Geld dafür verwenden müssen, um die desaströsen Folgen von Zerstörungen wenn überhaupt, so wenigstens halbwegs wieder aufzufangen ‒ Japan ist nur das vorerst letzte und schrecklichste Glied in dieser Kette. In Europa bedarf es keines Tsunamis, denn Austrocknung der Flussbetten etwa oder deren extreme Überschwemmungen können unsere AKWs ebenfalls gefährden, von vielen anderen AKW-Risiken auch bei uns zu schweigen ‒ über zahllose „Beinah-Unfälle“ berichten nur Dossiers, die der Mehrheit bisher vorenthalten wurden. Der Machbarkeitswahn der Technikanbeter ist schier grenzenlos ...
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„Macht euch die Erde untertan!“ ???
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„Technik: Spezialart eines Kampfes, die auf Dauer den Sieger ebenso kaputt macht wie das Besiegte. Denn das, womit der Mensch seine Welt aufbaut, ruiniert sie auch.“
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„Ob der Mensch vor seinem Untergang noch ahnen wird, dass von all seinen Weltbezwingungsmitteln die Technik das schädlichste, das Militär das schändlichste war? Und die Religion das dümmste?“
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„Subaquale Paradiese. Computer auf Stelen, bewegungsloses Mastvieh, Roboter-Heerhaufen, Plastikbäume, künstlicher Wind, Sonne, Regen, Düfte aus TV-Geräten, und alles viertausend Meter unter dem Meeresspiegel - ich bin untröstlich, es nicht mehr zu erleben.“
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„Ich glaube an den Triumph des Unkrauts über die Chemie.“
(Karlheinz Deschner)
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Wer um die menschliche Natur weiss und sie ernst nimmt, wird Goethes Faust nicht nur bildungsbeflissen zitieren, sondern im Hirn und Herzen immer gegenwärtig haben: „Er nennt's Vernunft und braucht's allein, um tierischer als jedes Tier zu sein“ ‒ das ja immerhin, von Ausnahmen in Extremsituationen abgesehen, bei allem, was es tut, auf die Bewahrung seiner „ökologischen Nische“ bedacht ist, im krassen Gegensatz zur „Krone der Schöpfung“.
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„Der Mensch, sagt Spengler, ist das Raubtier mit den Händen. Eine euphemistische Metapher, die Banken und Atombombe involviert, Sklaverei und Inquisition, Schlachthäuser und Gaskammern und Genickschüsse und Gentechnik. Das alles ahnt das Raubtier ohne Hände nicht. Es verdummt auch nicht, es betet nicht an, betrügt nicht, lügt nicht, beutet nicht aus, kurz, fast jeden Vorzug hat es ausser dem, die Krone der Schröpfung zu sein.“
(Karlheinz Deschner)
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Die momentan besonders oft zu hörende Rede vom leider nun mal unvermeidlichen (als „Unwort des Jahres“ rekordverdächtigen) „Restrisiko“ der Kernenergie empfinden wir daher als einen lebensverachtenden Zynismus aus dem Mund bedenken- und bedingungsloser Fortschrittsgläubiger (= blinder Ideologen). Wer lesen kann, der lese spätestens jetzt das Menetekel an der Wand. Angst ist ein naturgegeben guter Ratgeber, wenn sie verbunden ist mit klarem Verstand, der bei allem, was er plant, auch in zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen (!) denkt, mögliche Auswirkungen, und seien sie noch so unwahrscheinlich (wie jetzt im hochtechnisierten Japan ...), stets mitbedenkt und: mitfühlt (!).
„Je schärfer ein Verstand, desto verständnisloser oft.“ ‒ „Die Herrschaft der Vernunft, wenn es sie je gäbe, machte die Welt nicht zum Paradies, aber bewahrte sie davor, die Hölle zu sein.“ (Karlheinz Deschner)
Wir hoffen darauf, lieber Herr Hess, dass wir in dieser Einschätzung existentiell hochbrisanter Entwicklungen nicht weit voneinander entfernt sind, und grüssen Sie und Ihre liebe Frau herzlich und mit allen guten Wünschen.
Gabriele Röwer und Karlheinz Deschner
Der ökologische Fussabdruck
Soweit das tiefsinnige, philosophische Schreiben aus Mainz D und Umgebung – ein Gedankengemälde, das uns „Zivilisierten“ den Spiegel vorhält und uns als Frevler an der Erde entlarvt. Man hätte Mühe, das in Abrede stellen zu wollen. Dem dramatischen Geschehen in Japan, dem das dortige Volk mit einer vorbildlichen Haltung begegnete, lässt sich immerhin dieses Positivum abgewinnen: Es zwingt zum Überdenken unserer gesamten Lebensweise.
Wer sich dabei auf die Forderung zum Abschalten der bestehenden Kernkraftwerke (und sie ungenutzt weiterstrahlen zu lassen) beschränkt, würde es sich zu billig machen. Solche erweiterte Dimensionen hat Martin Eitel, Wissenschaftspublizist in Berlin, in sein Blog vom 16.03.2011: Japan, KKWs und Einschränkung des Elektrizitätsverbrauchs einfliessen lassen; zudem wies er auf viele Risiken hin, die unser Leben begleiten und die nicht vollständig beherrschbar sind. Darauf reagierte Urs Schäffler (E-Mail: urs.schaeffler@sunrise.ch) so:
„Natürlich ist es kein Problem, neben einem AKW zu wohnen ‒ weil es keines sein darf. Aber es spielt in dieser Beziehung eigentlich überhaupt keine Rolle, wo wir wohnen, denn die Stoffe, vor denen sich viele fürchten, brauchen bekanntlich weder eine Autobahn noch einen Reisepass.
Unsere AKWs sind alle in einwandfreiem und sicherem Zustand, aber trotzdem hätte keines dieser Werke je gebaut werden dürfen. Nun, niemand kann das Rad zurückdrehen. Die technische Machbarkeit und die gebetsmühlenartigen Sicherheitsbekundungen beelenden mich aber, seitdem ich denken kann. Atomstrom ist praktisch, sauber, sicher und ungefährlich, zumindest im westeuropäischen Normalbetrieb und wenn man Gestehung und Entsorgung weglässt. Wenn meine Grossmutter ein Auto gewesen wäre, wäre sie ein Porsche mit gelben Radkappen gewesen, der durch Abgase angetrieben und dessen Auspuff Reinbenzin entflossen wäre.
Statt mit den Fingern auf die andern, besonders auf ökologisch denkende Leute zu zeigen, müsste die ganze Problematik um den Umgang mit unseren Ressourcen einerseits globaler, gleichzeitig aber auch persönlicher angeschaut werden. Billige, die Umwelt zerstörende Energie kurbelt verantwortungslose Verschwendung an, die nicht im Sinne des Individuums Mensch sein kann. Es wird kommen, wie es bei No-return-Ereignissen (Entschuldigung, Herr Hess, mir fällt kein prägnantes deutsches Wort dafür ein) meistens kommt. Irreparable Verwüstungen, weitgehender Verzicht auf intakte Umgebung und -zigtausend Tote werden als unumgängliche und zu akzeptierende Kollateralschäden in Kauf genommen werden müssen, weil wir es so wollen. Sie und ich. Zumindest wird uns dies unterstellt. Da können wir lamentieren, wie wir wollen. Übrigens, wie steht's mit Ihrem ökologischen Fussabdruck? http://www.wwf.ch/de/tun/tipps_fur_den_alltag/footprint_wwf_schweiz/
Urs Schäffler
Die Antwort von Martin Eitel:
Tatsache ist, dass weder das Wahlvolk in der Schweiz noch die wahlberechtigten Bürger in der BRD bisher mehrheitlich Parteien gewählt haben, die gegen Atomkraftwerke waren, und folglich wurden sowohl in der Schweiz als auch in der BRD auf der Grundlage entsprechender gesetzlicher Regelungen die Errichtung und der Betrieb von AKW genehmigt. Nur in der Republik Österreich wurde bekanntlich die Inbetriebnahme des bereits gebauten AKW Zwentendorf durch eine Volksabstimmung verhindert. Das ist die derzeitige Rechtslage. Die Rechtslage erlaubte den Bau und den Betrieb der AKW, und sie erlaubt ihn noch immer. Eine andere Frage ist, ob die rechtlich zulässigen AKW moralisch verantwortbar und unter Berücksichtigung eventuell möglicher, wenn auch nicht sehr wahrscheinlicher Schäden vertretbar und wirtschaftlich sinnvoll sind. Darüber kann und muss man diskutieren.
Tatsache ist darüber hinaus, dass in vielen anderen europäischen Staaten AKWs betrieben werden und dass viele AKWs in Grenznähe errichtet wurden und dass die ggf. aus AKW entweichenden Stoffe an der Grenze nicht haltmachen.
Jedem steht es frei, in Wahlen und – soweit von der Verfassung vorgesehen – durch Volksabstimmungen auf eine Rechtslage hinzuwirken, die zur Einstellung des Betriebs von AKW und zum Ausbau anderer Formen der Stromerzeugung führt. Tatsache ist aber auch, dass auch andere Formen der Energieerzeugung als durch AKWs Probleme bereiten und von Anwohnern und Dritten bekämpft werden und dass Smog und Feinstaub seit Jahrzehnten für Tausende von Todesfällen jährlich verantwortlich sind.
Es liegt mir fern, auf ökologisch denkende Leute zu zeigen. Tatsache ist, dass ich, da ich derzeit auf kein Auto angewiesen bin, auch gar kein Auto zugelassen habe. Ich besitze eine Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr und fahre im übrigen mit der Bahn. Weil es für mich selbst gesundheitlich vorteilhaft ist und zudem ökologisch sinnvoll, habe ich schon vor etwa 15 Jahren meine Ernährung in vielerlei Hinsicht entsprechend den Anregungen von Dr. Johann Georg Schnitzer so verändert, dass Fleisch und Wurst vom Speiseplan gestrichen wurden und nur ganz selten Fisch auf den Tisch kommt. Darüber hinaus habe ich bei mir im Winter die Heizung auf etwa 18–19 Grad eingestellt, weil das gesundheitlich besser ist als eine überheizte Wohnung, und meine Reiseziele lagen bisher ausschliesslich in Europa und wurden seit 1983 nur noch mit Bahn und Auto angefahren.
Ich bemühe mich also, und zwar ohne einer grünen Partei anzugehören oder nur irgendwie nahe zu stehen oder grüne Parolen zu verbreiten, den Energieverbrauch in der täglichen Praxis selbst zu minimieren. Insoweit ist es sicher richtig, dass die allgemeine und vorrangige Zielsetzung sein muss, den Energieverbrauch zu minimieren.
Meine persönliche Erfahrung in den letzten Jahren zeigt allerdings, und darum ging es mir, dass nach meiner Wahrnehmung – insbesondere auch im weiteren persönlichen Bekanntenkreis – viele mir bekannte Anhänger grüner Gruppierungen grüne Ideale für andere predigen (wie z. B. auch Albert Arnold Gore), selbst aber teilweise mehrfach im Jahr Flugreisen unternehmen, Oberklassefahrzeuge von BMW, Audi etc. fahren und auch ziemlich grosse Mengen Fleisch und / oder Wurst konsumieren.
Das ist natürlich in der Tat „eine unbequeme Wahrheit“ und der Grund, warum manche schon von Ökofaschismus sprechen.
Freundliche Grüsse
Martin Eitel
Die Meinungsmache der Meinungsmacher
Bei all den Unterschieden in der Schwerpunktsetzung in Energiefragen gibt es doch eine gewisse Übereinstimmung dahin gehend, dass eigentlich alles an der persönlichen Verhaltens- und Energieverbrauchsweise liegt. Entgleisungen sind zum Teil auch eine Folge manipulierender Medienberichte und werbestrategischer Indoktrinationen.
Ich war jahrzehntelang beim Aargauer Tagblatt für Energiefragen zuständig, kenne viele AKWs aus eigener Anschauung (auch ausländische), habe auch Kontakte zu Kernenergiefachleuten, die ich seit damals kenne. Die politische Situation in der Schweiz ist mir ebenfalls einigermassen genau bekannt.
Im Moment wird auf der Grundlage von Pfusch-Berichterstattungen hirnlos herumpolitisiert (mit den Grössenordnungen und Arten der Strahlenbelastungen befassen sich die Medien kaum; es muss einfach dramatisch tönen), und gleichzeitig wird immer mehr Strom verbraucht (pro Jahr in der Schweiz etwa 1 %). Ich schrieb schon mehrfach, man solle die Fernsehsender und -geräte verbieten; dann könnten wir in der Schweiz 1 AKW stilllegen. Zur Steigerung der Energieeffizienz müsste der Wille zum Energiesparen kommen. Die Abstimmung findet an den Steckdosen statt. Einfach den Atomstrom abzustellen und dafür Windräderwälder in die Landschaft zu stellen und ‒ wie im Falle Österreichs ‒ Atomstrom aus Osteuropa oder von AKWs in anderen Ländern zu beziehen oder Steinkohlekraftwerke zu betreiben, wäre ein landschaftsschützerischer und klimapolitischer Nonsens.
Im Moment werden einfach verkürzte politische Anti-AKW-Süppchen gekocht, weil sich die Stimmung dafür gerade eignet, in der Schweiz besonders im Hinblick auf die Wahlen im Oktober 2011. Über die Konsequenzen, Einschränkungen und massive Energieverteuerung und den Umstand, dass KKWs auch nach dem Abstellen weiterstrahlen, wird kaum gesprochen.
Wir sind in Energiefragen nicht weniger manipulativ informiert als rund um die Geschehnisse in Nordafrika^und die Rolle der USA. Und Verzerrungen und Übertreibungen können verwirrte Menschen zu kriminellen Handlungen veranlassen, wie zum Briefbombenanschlag auf Swissnuclear, dem Zusammenschluss der Kernkraftwerkbetreiber, in Olten am Morgen des 24.03.2011, bei dem 2 unbescholtene Frauen verletzt wurden. Da waren Idioten am Werk, die nichts von einer demokratischen Auseinandersetzung begriffen haben.
Wer gegen die Kernenergie ist, mit friedlichen Mittel agiert und sich anständig verhält, hat im Prinzip meine Achtung. Ich hätte auch lieber keine Atomkraftwerke, aber bitte auch keine Kohlen- und Schwerölwerke - man darf ja auch an die Erdölkatastrophen denken - Golf von Mexiko und Konsorten tauchen vor dem geistigen Auge auf. Der Kampf muss in ein grösseres Verständnis der Begleitumstände eingebettet sein, wie das in den hier publizierten Leserbriefen (auf beiden Seiten) geschieht.
Clara Blau (E-Mail: clara.blau@tlink.de) schrieb zu meinem bereits erwähnten Blog „Japan als publizistischer Testfall: Lehrstücke in Manipulation“:
Hallo Herr Hess,
ich lese gerne in Ihren Blogs. Sie sind so erfrischend ehrlich und realistisch. Die Berichterstattung ist in Deutschland zu einer wahren Untugend geworden, wobei der Spruch von den dümmsten Kälbern, die ihren Metzger selber wählen, zutrifft.
Ihr sehr treffender Beitrag hat mir aus dem Verstande gesprochen. Bedauerlich an der Problematik ist auch die Dummheit, auf die die Meinungsmache trifft. Der Mob rennt auf die Strasse und bettelt förmlich um den Energiepreisanstieg – der gleiche Mob übrigens, der sich darüber aufbläst, dass die ALG-II-Sätze (TA: Arbeitslosengeld, Basisgeld in Deutschland) zu gering seien und sie bald einen Viertel ihrer Leistungen für Strom und Gas bezahlen müssten.
Die Menschen brauchen endlich Arbeit, die sie wieder körperlich wie geistig fordert.
Clara Blau
Umfassender betrachten
Manfred Hesse (E-Mail: mhesse@hispeed.ch), der in Biberstein AG wohnt, als Schweissfachingenieur einst massgeblich an der Konstruktion der Sicherheitsbehälter für die schweizerischen Atomkraftwerke Beznau l, Beznau ll und Mühleberg beteiligt war und die konstruktiven Details à fonds kennt, schrieb mir, insbesondere wegen des häufigen Beizugs der Geschehnisse von Tschernobyl zu Vergleichszwecken:
Vom Typ Tschernobyl laufen noch heute etliche AKWs in Russland, sogar in nächster Nähe zu St Petersburg …wenn kümmert's? Das ist eine echte Gefahr auch für West-Europa.
Was nutzt Abschalten bei uns, wo wir von Reaktoren mit grösseren Unsicherheiten aus anderen Ländern umgeben sind.
Verstrahlte Partikel machen sicher nicht vor dem Schweizer Kreuz Halt.
Parteienpopulismus!
Gruess
Manfred
Leben unter geologischer Einwilligung
Mein Bruder Rolf P. Hess aus Cebu (Philippinen), der bei Blog-Korrekturen an vorderster Front mitwirkt, nimmt mit der gebotenen kritischen Haltung immer regen Anteil an den Themen, die wir wälzen. Er berichtete:
Im „Newsweek“ habe ich eben einen interessanten Aufsatz gelesen. Der Autor beschreibt, wie gefährlich die Asiatischen Beben sind für Kalifornien, nachdem diese Platten ja alle zusammenhängen. Einleitend erzählt er von einem Mantra, das besagt, „that mankind inhabits this earth subject to geological consent—which can be withdrawn at any time.”
Wir leben also auf dieser Erde unter einer geologischen Einwilligung, die „any time“ – und offensichtlich ohne Vorwarnung ‒ widerrufen werden kann …
Herzlich, Rolf.
Selbstverständlich liegen bei uns auch noch Zuschriften zu vielen anderen Themen vor; doch schien es angezeigt zu sein, vorerst einmal ausnahmsweise eine monothematische Briefauswahl zu präsentieren. Wir freuen uns über jede Zuschrift, über Lob und Tadel im Wissen, dass auch wir die Lösung aller Energiefragen nicht mit der Muttermilch eingesaugt haben, auch wenn sie damals (1937) noch weitgehend höchstens aus natürlichen Quellen verstrahlt war ... Permanente Diskussionen darüber sind nötig. Und vielleicht kommt man am bitteren Ende zum Schluss, dass die Kernenergie aus verbesserten Kraftwerk-Generationen umwelterträglicher als die zu schweren ökologischen und landschaftsschützerischen Schäden führenden Energiealternativen ist. Wer weiss?
Hinweis auf die bisher erschienenen „Reaktionen auf Blogs“
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