Textatelier
BLOG vom: 12.04.2011

Radioaktivität (4): Hilft Selen-Hefe gegen Strahlenschäden?

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
In der bisherigen Blog-Serie über die Radioaktivität berichtete ich ausführlich über die Schäden, die durch ionisierende Strahlung ausgelöst werden. Viele Menschen waren nach dem Super-Gau von Tschernobyl und jetzt nach der Katastrophe im AKW Fukushima einer erhöhten Strahlung ausgesetzt.
 
In diesem Teil befasse ich mich mit den Stoffen, die möglicherweise eine vorbeugende und therapeutische Wirkung bei radioaktiver Strahlung entfalten. Blicken wir einmal zurück, was nach dem Tschernobyl-Desaster erfolgte.
 
Selen-Hefe für Tschernobyl-Opfer
Im „Natürlich“(1992-02), das damals unter der bewährten Leitung von Walter Hess stand, brachte ich einige interessante Fakten über die Selen-Hefe. Wie die mit Selen unterversorgten Finnen versuchten, ihre Selenaufnahme zu steigern, welche Schäden durch Mangel an Selen auftreten, wie wirksam Selen, vorbeugend genommen, bei Krebs-, Herz- und Gelenkleiden ist, und welche Hoffnungen die Ärzte beim Einsatz von Selen-Hefe bei strahlenverseuchten Menschen in der Umgebung von Tschernobyl hatten, erfuhr ich Ende 1991 durch einen Briefwechsel mit dem finnischen Spezialisten Ossi Kuusniemi.
 
Kuusniemi war Angestellter des damals grössten Produzenten für Selen-Hefe in Europa (Novamed in Turku). Mitarbeiter dieser Firma arbeiteten damals seit 4 Jahren mit dem russischen Institut für Biophysik zusammen. Das Resultat dieser Kooperation war für die Tschernobyl-Opfer von eminenter Bedeutung. Man fand nämlich heraus, dass organisch gebundenes Selen in der Hefe eine vorteilhafte Wirkung bei Strahlenschäden entfaltet. Die Firma lieferte daraufhin 150 000 Dosen mit je 400 Selen-Hefe-Tabletten zu je 100 µg Selen (also insgesamt 60 Millionen Tabletten) nach Weissrussland.
 
Das Selenpräparat war hauptsächlich für strahlenverseuchte Kinder bestimmt. Erschreckendes wurde damals bekannt: 1,8 Millionen Ukrainer und 4 Millionen Weissrussen bekamen 70 % des Fallouts ab und waren mehr oder weniger strahlenverseucht. Laut dpa befanden sich darunter 160 000 Kinder mit erheblichen Strahlenschäden. Die Kinder litten unter chronischer Mandelentzündung, Nasenbluten, Erkältungskrankheiten, Schilddrüsenkrankheiten, Blutarmut, Sehschwäche. Die Zahl der Frühgeburten hat sich in manchen Bezirken verdoppelt, jene der Totgeburten verdreifacht. Angeborene Missbildungen waren um 20 % gestiegen, ebenfalls nahmen die Leukämiefälle zu. Die Mediziner hofften damals, dass Selen-Hefe die Überlebenschance dieser bedauernswerten Menschen erhöhen würde.
 
Man könnte, so mein Gedanke, auch den strahlenbelasteten Japanern mit dieser Selen-Hefe helfen. Leider wurde diesbezüglich noch kein Gedanke verloren. Die Presse berichtet leider kaum über mögliche Therapien und Hilfen mit natürlichen Mitteln.
 
Warum Selen-Hefe?
Das in der Hefe hauptsächlich an die Aminosäure Methionin gebundene Selen wird vom Körper ausgezeichnet verwertet. Das Spurenelement Selen ist Bestandteil des antioxidativen Schutzsystems. So kann Selen in Form des Enzyms Glutathionperoxidase die im Stoffwechsel anfallenden giftigen Produkte abbauen. Dies ist nötig, weil sonst freie Radikale – das sind äusserst reaktionsfähige Substanzen – entstehen. Freie Radikale zerstören Zellbestandteile und Gewebe. Auch die giftigen Elemente Quecksilber, Kadmium, Blei, Arsen und radioaktive Stoffe führen in der Zelle zu einer Radikalfreisetzung. Selen ist befähigt, die Wirkungen giftiger Elemente und krebsauslösender Stoffe herabzusetzen. Personen, die einer chronischer Quecksilberbelastung ausgesetzt sind (Zahnärzte, Zahnarzthelferinnen, Quecksilberarbeiter), ist Selen besonders ans Herz zu legen.
 
Vorbeugend wirksam
Einsatzmöglichkeiten von Selen-Hefe: Präventiv in Selenmangelgebieten (Deutschland, Schweiz), bei Schwermetallbelastung, koronaren Herzkrankheiten, entzündlichen Magen-Darmerkrankungen, Gelenk- und Muskelerkrankungen, Krebserkrankungen, besonders auch bei Chemo- oder Strahlentherapie (www.apotheken-ww.de).
 
Aber bereits bestehende Krankheiten können beeinflusst werden, wie die folgende Studie bewies: Im Vergleich mit einem synthetischen Rheumamittel schnitt ein Kombinationspräparat mit Vitamin E und Selen bei Arthrosen genauso gut ab. Ruhe-, Druck- und Bewegungsschmerzen wurden gemildert.
 
Selenaufnahme nicht optimal
Täglich benötigen wir zwischen 50 und 100 Mikrogramm (1 Mikrogramm = 1 Millionstel Gramm) Selen. Diese Menge wird nicht immer erreicht. Schuld an dieser Misere sind unsere selenarmen Böden, die übermässige Verwendung von Ammoniumsulfat als Düngemittel, der saure Regen, der auf die Böden niedergeht, und Spuren der giftigen Schwermetalle Kadmium, Blei und Quecksilber. Warum das so ist, soll kurz erklärt werden.
 
Die sulfathaltigen Düngemittel und der saure Regen enthalten Schwefel. Dieses dem Selen nahestehende Element wird von der Pflanze bevorzugt aufgenommen. Auch die verminderte Einfuhr von selenreichem nordamerikanischem Getreide sowie der verminderte Verzehr von Brot führten zu einer geringeren Selenaufnahme. Auch wird beim Entgiften im Körper laufend Selen verbraucht. Eine „verfeinerte“ Kost bringt kaum Selen in unseren Organismus. Schwermetalle in der Nahrung und im Trinkwasser wirken sich negativ auf die Resorption von Selen aus.
 
Nach früheren Angaben (1991) des Bundesamtes für Gesundheitswesen nahm jeder Schweizer zwischen 60 und 65 Mikrogramm Selen pro Tag auf. Viele Finnen bekamen zur selben Zeit weniger Selen, nämlich nur 32 Mikrogramm Selen pro Tag. Die Lappen im Norden Finnlands hatten dagegen die höchsten Selenwerte im Blut, und trotz starker Rauchgewohnheiten eine niedrigere Lungenkrebsrate als die übrigen finnischen Raucher. Die hohen Selenwerte resultierten von Rentierfleisch. Und Rentiere fressen Flechten, die in der Lage sind, Selen aus dem Boden vermehrt aufzunehmen. Selen scheint, so Kuusniemi, eine vorbeugende Wirkung bei Lungenkrebs zu haben.
 
Bei Risikogruppen wie Dialysepatienten, Aids- und Stoffwechselkranken, Rauchern, Drogensüchtigen, Leberkranken, künstlich ernährten Krankenhauspatienten, Alkoholikern, Frühgeborenen und nicht gestillten Kindern liegt die Selenversorgung besonders im Argen. Aber auch gestillte Kinder bekommen zu wenig Selen, wenn die Mutter einen niedrigen Selenstatus hat.
 
Selenanreicherung – ein Ausweg?
Im Selenmangelgebiet Finnland wurden Überlegungen angestellt, wie man die Selenversorgung der Bevölkerung verbessern kann. Zunächst wurde der Dünger mit Selen angereichert. Die Ergebnisse waren unbefriedigend. Die Pflanzen nahmen sehr unterschiedliche Mengen Selen auf. Dann fügte man anorganisches Selen (Natriumselenit) dem Futter bei, wodurch Selenmangelkrankheiten beim Tier verhindert wurden. Erst später erkannte man, dass organisch gebundenes Selen, wie es in der Selenhefe vorliegt, besser vom Tierkörper verwertet und auch der Selengehalt von tierischen Produkten höher wird. Die Tiere wuchsen unter Selenzusatz besser und wurden seltener krank. Da die Kost der Finnen zu 2 Drittel aus tierischer Nahrung besteht, wäre dies eine Möglichkeit, die Selenaufnahme zu verbessern.
 
Bei uns wurde die Anreicherung deutscher mit nordamerikanischen oder kanadischen Getreidesorten vorgeschlagen. Inzwischen gibt es im Handel selenreiche Mehle und daraus hergestellte Brote. Mit solchem Brot (250 g/Tag) kann der Selenbedarf zu 50 % gedeckt werden.
 
Selen-Hefe wird übrigens in Reformhäusern und Apotheken angeboten. Selenreiche Nahrungsmittel sind Sonnenblumenkerne, Sojabohnen, Leinsamen, unpolierter Reis, Getreide (USA), Hülsenfrüchte, Innereien, Fische, Eier, Fleisch.
 
Weitere Schutzstoffe
Im 1. Teil berichtete ich, was radioaktive (ionisierende Strahlen) im Körper anrichten. In den Zellen bilden sich aggressive Substanzen (freie Radikale), dann verändern sich die Zellbestandteile und die Enzyme. Es folgt eine Beeinträchtigung der Durchlässigkeit der Zellmembranen, ferner gerät der Zellstoffwechsel ausser Kontrolle. Das Erbgut wird ebenfalls geschädigt. Die Zelle stirbt oder wandelt sich in eine Krebszelle um.
 
Der Körper kann sich gegen solche Einflüsse bis zu einem gewissen Grad wehren, weil er ein schnelles Zellreparatursystem und ein sehr leistungsfähiges, empfindliches Abwehrsystem hat. Diese 2 wichtigen Systeme greifen ein, sobald sich veränderte Zellen bilden. Es ist jetzt verständlich, dass Menschen, die ein fehlerhaftes Reparatursystem oder eine geschwächte Abwehr haben, anfälliger für Strahlenschäden und andere Umweltgifte sind.
 
Daneben gibt es exogene Radikalenfänger, die wir über die Nahrung aufnehmen. Das sind in erster Linie die Vitamine E und C, wobei sich beide gegenseitig unterstützen, weil Vitamin E im lipophilen (fettigen) Milieu wirkt und Vitamin C im wässrigen Milieu. Dazu kommen weitere Radikalenfänger, wie etwa Beta-Karotin, L-Cystein, DL-Methionin, L-Glutathion, Coenzym Q10 und Verbindungen mit den Spurenelementen Selen, Zink und Mangan.
 
Kaktusfeige und Granatapfel
2 Pflanzensäfte von Schoenenberger kann man empfehlen. Es ist dies der Kaktusfeigen-Saft und der Granatapfel-Muttersaft.
 
Kaktusfeige: Im Fruchtfleisch der Kaktusfeige sind sehr interessante und wirksame Inhaltsstoffe vergesellschaftet. Die wichtigsten sind die Betalainfarbstoffe. Dabei wird die gelbe bis orangefarbene Färbung durch die Betaxanthine und die rote bis violette Färbung durch Betacyane verursacht. Es handelt sich um wasserlösliche Farbstoffe, die, im Gegensatz zu den Anthocyanen, nur in wenigen Pflanzen vorkommen. Die genannten Verbindungen sind antioxidative Schutzstoffe mit Radikalfänger-Eigenschaften. Diese Stoffe schützen Zellen und Organe. Sie verhindern frühzeitige Alterungsprozesse. Ein Grossteil der sogenannten Zivilisationskrankheiten ist auf die Einwirkung von freien Radikalen zurückzuführen. Freie Radikale entstehen im Organismus durch Entzündungen, Gifte, Schwermetalle und Radioaktivität.
 
Granatapfel: Der Presssaft aus frischen Granatäpfeln in Bioqualität aus Italien (zwischen Apennin und Adria) hat einen hohen Gehalt an antioxidativen Schutzstoffen (Polyphenole) für die Gesunderhaltung der körpereigenen Abwehr, der Zellen, der Gefässe und des Herz-Kreislauf-Systems.
 
Die antioxidative Kraft des Safts ist 25 Mal höher als die von deutschem Rotwein bzw. 40 Mal höher im Vergleich zu Grüntee. Dies ergaben Untersuchungen der Universität Hohenheim.
 
Es bleibt zu hoffen, dass die tapferen und unglaublich disziplinierten Japaner auch von den Schutzstoffen aus ihrer gewohnten Nahrung profitieren. Auch wünsche ich mir einen Grossversuch mit Selen-Hefe, zumal nach der Tschernobyl-Katastrophe gute Erfahrungen gemacht wurden. Leider wurden diesbezüglich keine weiteren Studien unternommen.
 
Internet
www.wolz.de (Infos zu Selen 100µg ACE Dr. Wolz)
 
Literatur
Blaurock-Busch, Eleonore: „Orthomolekulartherapie in der Praxis“, Natura Med Verlagsgesellschaft m.b.H., Neckarsulm 1995.
Busse, Wolfgang; Scholz, Heinz: „Das ABC der Vitalstoffe“, Haug Verlag, Heidelberg 2001.
Fuchs, Norbert: „Mit Nährstoffen heilen“, Ralf Reglin Verlag, Köln 1999.
Scholz, Heinz: „Mineralstoffe und Spurenelemente“, Trias Verlag, Stuttgart 1996.
Scholz, Heinz: „Selen-Hefe für Tschernobyl-Opfer“, „Natürlich“, 1992-02.
 
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