Textatelier
BLOG vom: 05.05.2011

Im Eggenertal: Steinenkreuzle, Betteleiche und Dichterwegli

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Am Tag der Hochzeit von Prinz William und Kate Middelton, am 29.04.2011 also, gab es in London einige Leute, die bei der Übertragung im Fernsehen auf dem Sofa einschliefen (es waren Männer, nicht Frauen!), zum Fischen gingen, Gartenarbeiten verrichteten (wie unser Blogger Emil Baschnonga), die Wanderschuhe einpackten und fröhlich durch die Landschaft schwadronierten. Zu den Wandersleuten gehörten Toni von Lörrach, Bernd von Rheinfelden und meine Wenigkeit. Wir wollten von dem ganzen Trubel nichts wissen.
 
Wir hatten uns eine 2½-stündige Wanderung am Vormittag im Markgräflerland ausgesucht. Wir fuhren von Lörrach ausgehend nach Kandern, von dort über Sitzenkirch, St. Johannes Breite ins Eggenertal nach Schallsingen. Ausserhalb von Schallsingen parkierten wir das Auto, schlenderten über die Anhöhe „Steinenkreuzle“ in Richtung Gennenbach und wanderten oberhalb der Gemeinde Feldberg (nicht zu verwechseln mit dem höchsten Berg des Schwarzwalds, dem Feldberg) auf einem Panoramaweg weiter und kehrten später dank des guten Orientierungssinnes unseres Wanderführers Toni wieder zum Ausgangspunkt zurück.
 
Ich werde besonders auf die Höhepunkte und Besonderheiten unserer Wandertour näher eingehen. Es war an diesem Tag diesig und bewölkt. Nur gelegentlich kam die Sonne aus der Wolkendecke zum Vorschein. Die Wandertemperatur lag bei angenehmen 15 °C. Ab und zu erwischte uns ein kühler Wind. Wir kamen nur bei den Anstiegen etwas ins Schwitzen.
 
Wir entschlossen uns diesmal zu einer Vormittagswanderung, weil ab 14 Uhr Regen gemeldet wurde. Aber kein Tropfen Regen kam von oben herunter. Auch am Nachmittag nicht. Die Wettervorhersage traf an diesem Tag nicht zu.
 
Der erste Höhepunkt war der herrliche Aussichtspunkt „Steinenkreuzle“. Von dort oben sahen wir trotz getrübtem Blick – der Nebel bzw. die Wolken verdeckten die umgebenden Berge, es war ein eigenartiges und ungewohntes Stimmungsbild – auf die Gemeinden Feldberg und Obereggenen und das Eggenertal. Das Eggenertal ist auf Grund seiner schweren Böden und Lage in der Vorbergszone ein ideales Kirschenanbaugebiet. Darauf werde ich später noch eingehen.
 
„Steinenkreuzle“ und Betteleiche
In der Nähe des Aussichtspunkts „Steinenkreuzle“ (434,5 m  ü. M.) ereignete sich 1426 eine Untat. Der Ritter Dietrich von Ratsamhausen, der im Streit mit dem badischen Markgrafen Rudolf III., lag, liess von hier aus das Dorf Feldberg niederbrennen. Zur Erinnerung an diese Untat wurde an der Gemarkungsgrenze Obereggenen und Feldberg ein steineres Sühnekreuz errichtet. Dieses Kreuz war bis Anfang des 19. Jahrhunderts noch vorhanden. Heute kündet ein Findling mit einer Tafel und einem eisernen Kreuz darauf von dieser Brandschatzung.
 
Auf nicht geteerten, guten Wanderwegen ging es zum nächsten Höhepunkt, der Betteleiche. Von der einst stolzen Eiche ist nur noch ein im Verfall begriffener Stamm, der am Boden liegt, sichtbar. Eine Tafel, die neben dem gefallenen Baum steht, gibt dem Interessierten detaillierte Infos über die Geschichte des Baumes, der am Ende des Dreissigjährigen Kriegs (1648) als Friedenseiche gepflanzt wurde.
 
Früher soll hier eine keltische Fliehburg gestanden haben. Die Heiden praktizierten an diesem Ort kultische Handlungen. In christlichen Zeiten diente der Platz als Zufluchtsort für das fahrende Volk. Hier traf sich das Bettelvolk.
 
Auf der Infotafel wird der Name „Betteleiche“ so erklärt: „Den Namen führen die Feldberger auf ihre Erinnerung an die Mauchener Bettelkinder zurück. Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Landbevölkerung im Allgemeinen sehr verelendet war, schickten die kinderreichen Mauchener ihre Kleinen nach Gennenbach und Feldberg auf Betteltour. Unter der alten Eiche trafen sich die Kinder, breiteten ihre Schätze aus, und tauschten sie untereinander.“
 
Schon 1813 war der Baum geschädigt. Es wurden dann nach den Befreiungskriegen in der Nähe 3 Linden gepflanzt.
 
Als ich die Infotafel las und den vermoderten Baumstamm betrachtete, musste ich an die armen Kinder, die in eine kriegerischen und entbehrungsreichen Zeit hineingeboren wurden, denken. Aber auch an den toten Baum. Zum Glück blieb der Name „Betteleiche“ erhalten. Der Platz soll die im Wohlstand Lebenden an die schlechten Zeiten erinnern.
 
Unterwegs auf dem Dichterwegli
Da wir nicht durch den Ort Feldberg, sondern auf Wegen oberhalb durch Weinberge gingen, konnten wir die 1. Tafel am Beginn des Dichterweglis in der Nähe der Kirche nicht sehen. Das Dichterwegli führt über 3 km um den Ort herum. Auf 17 Tafeln sind Gedichte und Verse von alemannischen Dichtern aufgeführt.
 
Wir wanderten zum Waldparkplatz „Auf den Stalten“ und erblickten die Tafel, die Fritz Wolfsberger (1902−1959) aus Müllheim gewidmet ist. Auf den jeweiligen Tafeln stehen immer 2 Gedichte bzw. Verse. Hier 2 Gedichte von Wolfsberger: 
„S stoht ufem Berg e Linde,
e Bank isch untedra,
dört zieht’s mi vielmal ane,
s isch wie ne still Vermahne;
chumm, lueg di Heimet a!”
 
“Gsang un Wii, das isch e Lebe,
wone Lied isch, isch kei Leid;
usem Gsang un-us de Rebe
chunnt die echti Fröhlichkeit.“ 
Und noch einige Zeilen, diesmal vom Heimatdicher Gerhard Jung (1926‒1998) aus Zell im Wiesental, den ich anlässlich eines S4-Wandertreffs in der Schopfheimer Stadthalle 1 Jahr vor seinem Tod erleben durfte: 
„Wenn du im Sürpfle Meister bisch,
sin gueti Geister an dim Tisch.
Doch würd de Wii din Meister,
verlön di alli Geister.“ 
Für nicht der Alemannischen Sprache kundigen Wanderer sind auf dem Weg 2 Tafeln mit den Worterklärungen aufgeführt. Wir sahen die Worterklärung von L-Z auf der Station 14. „Sürpfle“ bedeutet schlürfen und „Wii“ = Wein.
 
Der pilzwiderstandsfähige Regent
Wir gingen auf dem Feldberger Panoramaweg, der oberhalb der Weinberge führt, in Richtung Schallsingen und kamen an einem Bammerthäuschen vorbei. Dann folgte ein Schild mit Infos zur Traubensorte „Regent“ und dem daraus gekelterten Wein, den ich übrigens auch schon genossen habe. Die junge Rebsorte, die hier angebaut wird, ist nämlich eine der erfolgreichsten Neuzüchtungen der letzten Jahrzehnte. 1967 gelang die Kreuzung aus Diana (Silvaner × Müller-Thurgau) und Chambourcin. Erst 1995 erfolgten die deutsche und ein Jahr später die europäische Sortenzulassung. Die Sorte ist pilzwiderstandsfähig und liefert einen feurigen, beinahe südländischen Rotwein mit einer für hiesige Verhältnisse ungewöhnlichen Farbkraft. Der Regent eignet sich als Begleiter der herzhaften Vesperplatte und von dunklen Fleischgerichten und Käse.
 
Überall Kirschbäume
Während unserer Wanderung zurück nach Schallsingen sahen wir viele Kirschbäume. Die Blütezeit war schon längst vorbei (im Internet gibt es ein Blütentelefon). Aber was wir jetzt schon sahen, waren die kleinen grünen Kirschen, die reichlich an den Ästen hingen. Es scheint ein gutes Kirschenjahr zu werden. Voraussetzung ist jedoch eine gute Bewässerung von oben. Der April war jedoch sehr regenarm. Die Landwirte hoffen auf einen regenreichen Mai.
 
Wir sahen neu angelegte Plantagen. Die jungen Pflanzen wuchsen auf einem total trockenen und aufgesprungenen Boden so recht und schlecht heran. An manchen Orten werden solche Jungpflanzen künstlich bewässert.
 
Wir kamen auch an alten Hochstammbäumen vorbei. Diese kündeten von einem früher obligatorischen Streuobstanbau. Wie ich mir sagen liess, haben einige Bäume schon 100 Jahre auf dem Buckel. Dann sah ich noch etwas Neues: An Ästen von 3 Bäumen, die in der Nähe eines Waldes standen, waren „Nisthilfen“ bzw. „Bienenhotels“ (Bündel aus getrocknetem Schilfrohr) für Wildbienen aufgehängt. Durch diese Massnahme wird eine gute Bestäubung erhofft.
 
Heute gibt es Plantagen mit Nieder- und Halbstammbäumen. Von der Handpflückung ging man zur maschinellen Schüttelernte über. Vor 70 Jahren wurden noch alle Kirschen, ausser für Brennware, gestielt, um das „Schwarzwälder Kirschwasser“ herzustellen. In unserer Zeit werden die Kirschen als Tafelobst, für die Herstellung von Marmeladen, Säften und Schnaps gebraucht.
 
Von den alten Sorten sind folgende im Anbau von Bedeutung: Markgräfler Süsskirsche, Langstieler oder Bittere, Markgräfler Kracher, Wiesler (Gelbe oder Napoleonkirsche). Es gibt aber auch neuere Sorten, wie diese: Dollenseppler, Braune Kracher, Kordia, Regina, Karina, Burlat und Schattenmorellen (Sauerkirschenart).
 
Wer sich für die Kirschsorten interessiert, der findet im Internet unter folgender Adresse ausführliche Infos:
 
Reichhaltiges Mahl und ein Kräutergarten
Nach Durchquerung eines Wäldchens entlang einer Art „Finnenbahn“ stiegen wir wieder hinab in die Tiefen des Eggenertals. Dieses Tal ist übrigens ein Endmoränental, das von der Eiszeit gebildet wurde. Es ist eine alte Kulturlandschaft. Hier herrscht ein mildes Klima, das begünstigt wird durch die warme Luft, die über die Burgundische Pforte vom Mittelmeer hierher strömt. Die Orte Schallsingen, Obereggenen und Niedereggenen gehören heute zur Gemeinde Schlingen.
 
Wir fuhren nach Niedereggenen und kehrten im Landgasthof „Mattenmühle“ ein. Dieses Lokal, das wir schon von früheren Besuchen her kannten, bietet eine ausgezeichnete gutbürgerliche Küche an.
 
Wir hungrigen Wanderer wählten zwischen 3 Mittagsmenüs  (Spargelgericht, gegrillter Bauchspeck, Schäufele) das Passende aus. Ich entschied mich für Schäufele mit Kartoffelsalat (7,80 Euro).Vorher gab es eine Tomatensuppe mit Reiseinlage, und zum Abschluss wurde ein Dessert (Vanilleeis mit Sahne auf warmen Pflaumen) gereicht. Alles schmeckte vorzüglich. Für mich ungewöhnlich war der frisch geriebene Meerrettich als Beilage zum Schäufele. Diesen verzehrte ich mit Tränen in den Augen tapfer und dachte an die gute Verdauungshilfe des Meerrettichs.
 
Nach dem Essen konnten wir mit vollen Bäuchen gerade noch unser Auto erreichen. Toni schlug vor, wir sollten noch einen Abstecher zur Evangelischen Kirche in Niedereggenen machen. Er schwärmte von den dortigen Fresken. Wir fuhren hin, spazierten über den Kirchplatz und erreichten das Hauptportal. Aber leider war die Kirche verschlossen. Wir trösteten uns mit den Infos neben dem Haupteingang. Da erfuhren wir, dass die Kirche zu den ältesten im Markgräflerland gehört. Ihr baulicher Ursprung lag im 12. Jahrhundert. Bis 1556 war die Kirche in katholischer Hand, dann wurde sie evangelisch. In der Kirche sind wertvolle Fresken /Kalksecco Malereien im Chorgewölbe und an den Langhauswänden erhalten. Die unter Denkmalschutz stehende Kirche ist den Kirchenpatronen St. Cyriak und St. Barbara gewidmet.
 
Direkt vor der Kirche wurde ein Kräutergarten mit biblischen Pflanzen durch ehrenamtliche Helfer in mehr als 300 Stunden liebevoll angelegt. Die Pflanzen spriessen aus einem Feld mit zerkleinerten Kalksteinen heraus. Es sind überall schöne Schilder mit der Bezeichnung der Pflanzen und mit Bibelsprüchen versehen, dezent aufgestellt.
 
Neben einer Wermutpflanze war folgender Spruch zu lesen: „Gedenke doch, wie ich so elend und verlassen, mit Wermut und Bitterkeit getränkt bin“ (Klagelieder 3,19). Und neben einem Granatapfelbaum las ich den folgenden Spruch: „Ich bin hinabgegangen in den Nussgarten, zu schauen die Knospen im Tal, zu schauen, ob der Weinstock sprosst, ob die Granatbäume blühen“ (Hoheslied 6,11).
 
Nach diesen eindrücklichen Erlebnissen verliessen wir das beschauliche Eggenertal und fuhren über Schlingen wieder nach Lörrach zurück. Es waren herrliche Stunden, weitab von den Ereignissen in London. Wir sogen die erfrischende Luft ein, genossen die schöne Landschaft und erfreuten uns an einem köstlichen Mahl. Was will man mehr!
 
Internet
www.eggenertal.de/index.php?article_id=2 (Blütentelefon vom Eggenertal)
www.naturschutzcenter.de (Nisthilfen und Nistkästen)
 
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