Textatelier
BLOG vom: 11.02.2005

Wochenmarkt auf dem Helvetiaplatz in Zürich

Autorin: Rita Lorenzetti

Nicht nur wegen des knackigen Nüsslisalats bin ich hierher gekommen. Ich bin auch mit den Augen einer Bloggerin da, möchte heute diesen Ort wieder einmal als Fremde anschauen und mir Fragen stellen. Was hat es mit diesem Helvetiaplatz in Zürich auf sich? Was spielt und spielte sich hier und in der näheren Umgebung ab?

Am Sozialamt-Gebäude leuchtet ein prächtiges Glasfenster und hellt den trüben Morgen etwas auf. Ein Bild, das vermutlich die Stammeltern und ihre Nachkommen und deren Sozialisierung darstellt. Ein Prozess, den der Künstler für alle unter eine strahlende Sonne gesetzt hat.

Auf dem grossen Platz stehen jetzt nur etwa zwei Drittel der üblicherweise hier anzutreffenden Stände. Es ist Februar, das Angebot beschränkt. Es ist kalt. Die Blumenpracht des Sommers fehlt. Rosen aus dem Thurgau sind nur innerhalb eines auch seitlich abgedeckten Stands zu finden. Die Verkäuferin ist, wie ihre Blumen auch, gut eingepackt. Einfache Glühbirnen leuchten über jeder Auslage. Die Atmosphäre ist gemütlich, die Marktfahrer freundlich, im besten Sinne des Wortes: aufgestellt. Es wird gespasst und gelacht. Humor gehört zum Markt.

Auf hohem Sockel, unübersehbar für alle, überblicken 3 Figuren das Treiben auf diesem geschichtsträchtigen Platz. Es ist der Ort, wo immer schon Volksrechte eingefordert und erstritten worden sind. Demonstrationen und 1.-Mai-Feiern nahmen und nehmen hier ihren Anfang. Karl Geiser schuf mit der Gruppe der beiden Arbeiter und der Frau, die mit ihrer Einkaufstasche hinter ihnen her geht, ein wuchtiges und eindrückliches Monument für den arbeitenden Menschen und seine Familie.

Der Platz, auf dem auch immer wieder Feste gefeiert werden, ist eingerahmt vom Volkshaus, vom Bezirksgebäude mit dem Bezirksgericht und ihm gegenüberliegend von der Lutherwiese, wo im Mittelalter Galgen, Richtplatz und Siechenhaus waren. Zur Umgebung gehört auch das Kino Xenix mit seinem ganz speziellen kulturellen und sozialen Wert. Ein aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts stammendes Wohn- und Geschäftshaus, das die andern Bauten überragt, gibt dem Helvetiaplatz eine würdige Kulisse. Nicht zu vergessen sind das Wohnheim der Heilsarmee und die Post im Rücken des Sozialamts.

Helvetiaplatz. Dieser Name ist hier nicht zufällig da. Helvetia, unsere allegorische Frauenfigur aus dem 18. Jahrhundert, die immer noch die Schweiz repräsentiert. Hier ist sie Sinnbild für das Wohl der Menschen und deren Ordnungen. Sie ist auch Ort der Zuflucht für jene aus fernen Ländern, die hier ein Zuhause finden konnten. Die Statistik sagt, dass hier im Kreis 4 der Ausländeranteil mit 42 % am grössten sei.

Im Kreis 4 leben die meisten Arbeitslosen von Zürich. Und in diesem Stadtkreis ist das Rotlicht- Milieu am meisten verbreitet.

In so vielfältigem und auch sinnträchtigem Umfeld präsentieren uns die Gemüseproduzenten jeden Dienstag- und Freitagvormittag ihre Frischprodukte. Ich schlendere von Stand zu Stand. Meist sind es Angebote aus der Landschaft von Zürich. Mehr und mehr aber nehmen auch Bäcker oder Metzger lange Wege in Kauf, um hier eine grosse Kundschaft bedienen und den Existenzkampf besser bestehen zu können. Heute sehe ich erstmals ein bemerkenswertes Angebot von Käsesorten und Fleisch-Spezialitäten aus dem französischen Jura. Immer sind auch einzelne ältere Marktfahrende anzutreffen, die bei jedem Wetter ein ganz bescheidenes Angebot auf kleiner Tischfläche vor sich ausgebreitet haben. Der Zauber des Markts zieht sie dahin, solange die Kräfte ausreichen.

Die Piazza, der Marktplatz. Der Platz, wo das Leben stattfindet, wo wir uns zufällig und unverkrampft begegnen. Es ist nicht auszumachen, auf welcher Seite die Faszination grösser ist, bei den Anbietern oder bei den Kunden.

Ich packe den Salat, die Fenchelknollen, Randen, die Kartoffeln und den französischen Käse in meine Satteltaschen und pedale heim. Kaum bin ich abgefahren, sehe ich die Zwerge im Hofeingang des Seidenkönigs Andi Stutz. Wir zwinkern einander zu. Auch sie, die edlen Stoffe ihres Meisters und sein Restaurant „Seidenspinner“, sind im Umfeld des Helvetiaplatzes anzutreffen.

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