BLOG vom: 13.08.2011
Kräuterexkursion: Guter Heinrich und die Jungfer im Grünen
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
2008 war ich schon einmal Gast bei einer Kräuterexkursion in Schopfheim-Gersbach D. Am 03.08.2011 war es wieder soweit. Apotheker Frank Hiepe aus Zell im Wiesental veranstaltete im Auftrag der Volkshochschule VHS Schopfheim in der landschaftlich schönen Gegend eine 2-stündige Heilpflanzenexkursion. Eine kleine Gruppe von Interessierten fand sich an der vielleicht 150 Jahre alten, mächtigen Dorflinde am Rathaus von Gersbach ein. Der Exkursionsleiter, der ein exzellentes Wissen verfügt, erzählte zunächst etwas über die Signaturlehre, dann über die Kräuterheilkunde und Homöopathie.
Bevor es die Analytik in der Pflanzenheilkunde gab, orientierten sich die Heilkundigen nach der Signaturlehre. So wurden rote Früchte (z. B. Weissdorn) bei Herzbeschwerden und Pflanzen mit gelben Blüten und weissem Milchsaft (z. B. Löwenzahn, Schöllkraut) bei Leber-Galle-Erkrankungen verwendet.
In diesem Blog werde ich die Pflanzen näher beschreiben, die noch nicht in der Berichterstattung über die 1. Exkursion (Blog vom 28.07.2008: „Frank Hiepe: Ein versierter Kenner der einheimischen Flora“) vorgestellt wurden. Auch bei dieser Exkursion gab es für mich wieder Neues. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich auf dieser Kräuterwanderung begleiten könnten. Sie werden es nicht bereuen.
Wenn die Biene sticht
Vor dem Rathaus entdeckten wir einige Löwenzahnblüten und diejenigen des Spitzwegerichs (Plantago lanceolata). Der Spitzwegerich (Tee, Tinktur, Pflanzensaft) ist ein gutes Gurgel- und Spülmittel bei Entzündungen des Mund- und Rachenraumes. Zerdrückte, frische Blätter helfen bei Insektenstichen, Juckreiz und Schwellungen. Ein Gast, der alles sehr aufmerksam verfolgte, konnte den Effekt später ausprobieren. Irgendein Tierchen hatte ihn im Hals gestochen, er riss ein Spitzwegerichblatt ab und verrieb dieses auf der juckenden Stelle. Der Juckreiz wurde sofort gelindert, wie er versicherte.
Übrigens kann man auch diese Pflanzen bei Insektenstichen verwenden: Blätter der Zitronenmelisse, Blätter vom Giersch, Lavendelblüten, Blätter und Blüten der Ringelblume, zerquetschte Blätter und Blüten der Malve.
Hinweis: Beim Verreiben der Ringelblume auf offenen Hautstellen sollen Allergiker vorsichtig sein, da die Pflanze bei diesen allergische Reaktionen hervorruft.
Im Kanton Aargau (Schweiz) legte man früher bei Brennen zwischen den Zehen Spitzwegerichblätter auf die betreffenden Stellen und zog eine Socke darüber.
Die Blätter des Breitwegerichs (Plantago major) kann man übrigens auch, wie oben geschildert, verwenden.
Übrigens enthält der Breitwegerich viel weniger Iridoidglykoside als der Spitzwegerich. Der Spitzwegerich ist also wirksamer.
Hiepe erwähnte auch das Homöopathikum Apis Mellifica (Hongibiene), das u. a. eine gute Wirkung bei allergischem Hautausschlag, Bindehautentzündung, Wundrose, Insektenbissen mit Bläschen, schmerzhafte Regelblutung und Halsentzündungen zeigt.
Heilmittel von Hurst und Hiepe
Als Frank Hiepe auf die Tannenspitzen hinwies, erzählte er uns eine interessante Geschichte über seinen Grossvater Dr. Eduard Hiepe (1870−1947). Dieser entwickelte auf Veranlassung des in Häg im Wiesental wirkenden Landpfarrers Josef Hurst (1885−1931) in den 1920er-Jahren ein wirksames Heilmittel für die Textilarbeiter. In der damaligen Zeit fanden in der aufblühenden Textilindustrie viele Menschen ihr Einkommen. Oft litten die Arbeiter unter Reizungen, Husten und Bronchitis. Damals waren Arbeitsschutzbestimmungen noch weitgehend unbekannt. Heilmittel und Ärzte gab es nur wenige. Da erinnerte sich Pfarrer Hurst eines Rezeptes für einen Bronchialsirup, das von seinem berühmten Amtsbruders Sebastian Kneipp stammte. Er veränderte das Rezept und versah es mit speziellen Schwarzwälder Zutaten wie maigrünen Tannenspitzen und Tannenhonig. Für die technisch-pharmazeutische Seite der Sirup-Herstellung sah sich Pfarrer nach einem Fachmann um und fand ihn im damaligen Zeller Stadtapotheker Eduard Hiepe. Dieser wusste, wie vorzugehen ist, damit alle Inhaltsstoffe gleichmässig verteilt sind und das Endprodukt auch haltbar ist. Die eigentliche Herstellung aber erfolgte über Jahre hinweg im Pfarrhaus Häg. „Pfarrer Hurst`s Tannenbalsam“, später umbenannt in „Tannenblut“, war weithin bekannt und beliebt. „Tannenblut“ wurde später von der Firma Hübner, die in Ehrenkirchen ansässig ist, produziert.
Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Sirup für die hustenden und schwer arbeitenden Menschen der damaligen Zeit eine Wohltat war.
Tausendschön und Männertreu
Wer kennt noch andere Namen des Gänseblümchens (Bellis perennis)? Keiner konnte die Antwort geben. Die im Volk geborenen Namen hatten immer einen Bezug zum Aussehen, zur Heilkraft oder zu besonderen Eigenschaften. So nannte man beispielsweise das Gänseblümchen Tausendschön, Augenblümchen, Himmelsblume, Maiblume, Massliebchen, Mondscheinblume, Mümmeli oder Regenblume. Auch bei anderen Pflanzen wies Frank Hiepe immer wieder auf volkstümliche Bezeichnungen hin. Beim Löwenzahn kennen wir über 500 verschiedene Pflanzennamen.
Die Schulmedizin verwendet das Gänseblümchen nicht. In der Volksmedizin wurde und wird die Pflanze zur Appetitsteigerung, als Magen-, Galle- und Lebermittel und als Blutreinigungsmittel verwendet. Auch bei Husten und Hautleiden kommen Zubereitungen der Blüten und Blätter zur Anwendung.
In der Homöopathie hat das Gänseblümchen einen Platz bekommen. Hauptanwendungen sind Akne, Furunkel, Wundsein an Kopfhaut, Brust und Beckenregion, Durchfall, Verstauchungen und Blutergüsse, Krampfadern während der Schwangerschaft und Schwindel bei älteren Personen.
Es gibt eine noch ganz andere Verwendung: So manches besondere Süppchen lässt sich aus dieser Pflanze zaubern. In unserem Heilpflanzenbuch „Arnika und Frauenwohl“ ist das Rezept der „Bürchauer Gänseblümchensuppe“ aufgeführt.
Auf dieser Wanderung sahen wir auch den Gamander-Ehrenpreis (Veronica chamaedrys), der im Volksmund auch Männertreu und Veronika bezeichnet wird. „Beim Ehrenpreis fallen die Blätter so schnell ab, wie die Männer untreu werden“, erklärte humorvoll Hiepe. Heute müsste man auch eine Blume „Frauentreu“ nennen, da ja auch Frauen untreu werden können.
Der Ehrenpreis ist Bestandteil von Teemischungen, die gegen Lungen- und Leberleiden verwendet werden. In der Volksmedizin war ein Ehrenpreistee bei Husten und Erkältungskrankheiten beliebt.
Zytostatika in einer immergrünen Pflanze
Auf unserem Weg, der uns an schönen Gärten vorbeiführte, wies uns Frank Hiepe auf den Augentrost, Besenginster, Storchenschnabel und auf das Immergrün hin.
Über den Immergrün wusste er dies zu berichten: Es gibt verschiedene Arten von Immergrün (Vinca minor = das Kleine Immergrün). Die immergrünen Pflanzen haben charakteristische 5 blaue Kronblätter. Es gibt auch Pflanzen mit violetten und weissen Kronblättern.
Früher wurden aus dem Immergrün Kränze für Mädchen, die zu Tanzveranstaltungen gingen, geflochten. Das Kleine Immergrün, das wir erblickten, wurde als Volksarznei geschätzt und wird heute in der Homöopathie verwendet.
In der Pflanze Catharanthus roseus (Madagaskar-Immergrün) wurden Alkaloide Vinblastin und Vincristin entdeckt, die als stark wirkende Zytostatika zum Einsatz kommen. Diese Stoffe hemmen die Zellteilung und unterbinden die DNA-Synthese. Sie verhindern das Tumorwachstum bei bestimmten Krebserkrankungen.
Das Madagaskar-Immergrün ist stark giftig und sollte nicht in Gärten, wo sich Kinder aufhalten, angepflanzt werden. Auch die Eibe ist giftig. Die Wirkstoffe der Europäischen Eibe (Taxane) werden ebenfalls als stark wirkende Chemotherapeutika eingesetzt.
Lässt den Harn fliessen
Einige Meter von unserem Wanderweg entfernt auf einer Wiese sahen wir eine einzelne Pflanze mit gelben Blütenkörbchen, die in einer Rispe angeordnet waren. Es handelte sich um die Echte Goldrute (Solidago virgaurea), die eine alte Heilpflanze ist. Im Mittelalter erlangte die Goldrute eine gewisse Bedeutung als Wundkraut. Martin Luther soll die Pflanze als Heilmittel gebraucht haben. Im 19. Jahrhundert erkannte der berühmte deutsche Arzt Rademacher die wassertreibende Wirkung der Goldrute. „Dieses Kraut ist ein ausgezeichnetes Nierenmittel, es bringt die erkrankten Nieren zum Normalzustand zurück“, war die Kernaussage dieses Arztes.
Das Kraut, das Flavonoide, Saponine, Pflanzensäuren, Gerbstoffe und ein ätherisches Öl enthält, wird heute zur unterstützenden Behandlung bei Blasen- und Nierenentzündung, bei Nierensteinen und Nierengriess und Ödeme angewandt. Spülungen und Umschläge sind beliebt bei Entzündungen der Mund- und Rachenhöhle und schlecht heilenden Wunden.
Gemüse aus Omas Zeiten
Vor einem alten Bauernhaus in der Rauschbachstrasse wuchs in einem offenen Schuppen der Gute Heinrich (Chenopodium bonus-henricus), der auch Dorf-Gänsefuss genannt wird. Diese Pflanze hätte ich glatt übersehen, wenn ich allein unterwegs gewesen wäre. Die Pflanze hat endständige Ähren an Haupt- und Seitenzweigen. Die Blätter sind grasgrün, langgestielt, ganzrandig, am Rande leicht gewellt. Ich berührte die Pflanze und bemerkte eine gewisse Klebrigkeit. Die ganze Pflanze sieht wie mehlbestäubt aus, so, als sei sie in einen Mehlkübel gefallen. Hier erblickten die Teilnehmer der Wanderung ein Gemüse aus Omas Zeiten. Der Gute Heinrich (nicht der Gute Heinz) wird auch als das vergessene Gemüse bezeichnet.
Die Blätter und Stängelspitzen werden für Kräutersuppen, Gemüse oder Salat verwendet. Findige Köchinnen wussten die jungen Triebe als Spargelersatz und die Blätter als Spinatersatz zu nutzen. Man kann die Blüten wie Brokkoli zubereiten. Es gibt im Internet einige Rezepte. In England sollen die Triebe im Dunkeln bleich gezogen werden. Der Spargelspinat ist dort beliebt.
Der Gute Heinrich ist eine Ruderalpflanze. Er findet sich hauptsächlich in der Nähe menschlicher Siedlungen, an Wegen, Viehweiden und Schuttplätzen. In Südtirol soll er noch häufig zu sehen sein. Sogar vor Alphütten gedeiht er prächtig.
Ich fragte mich, woher der Name kommt. Es gibt verschiedene Versionen. Eine davon soll an die Legende vom aussätzigen Armen Heinrich erinnern. In einer Sendung des Westdeutschen Rundfunks (www.wdr.de) könnte sich „Gut“ auf die Pflanze als Heilmittel beziehen.
„Heinrich ist möglicherweise vom Althochdeutschen ,Heimrich’ abgeleitet: ,Heim’ für Hofstatt und ,rich’ für häufig oder gut essbar. Nach Jacob Grimm ist der Heinz oder Heinzel ein Kobold, aber ein Guter, der den Menschen im Haus half.“
Andere Namen sind Dorfgänsefuss, Mehlspinat oder Wilder Spinat.
Die Blätter (Auflagen) und Auszüge davon wurden früher bei Entzündungen, Abszesse, Furunkel und Hautverletzungen gebraucht.
Am Schluss unserer Tour kamen wir an einem alten Schwarzwaldhaus in der Rauschbachstrasse 9 vorbei. Das mit modernen rotbraunen Ziegeln gedeckte Dach war weit nach vorne gezogen. Der Balkon war liebevoll abwechselnd mit weissen und rosafarbenen Geranien geschmückt. Auf der Eingangsseite links und rechts des Haupteinganges entdeckte ich alte landwirtschaftliche Geräte und Werkzeuge und weiteren Blumenschmuck. Und noch etwas sah ich: 2 gebrauchte Wanderschuhe, die vom Balkon herabhingen, waren mit Blumen und Schleifen versehen. Eine lobenswerte Verwendung ausgedienter Schuhe. Da erübrigt sich der Gang oder die Fahrt zum Recyclinghof.
Heilt jede Krankheit
Am Schluss der Exkursion packte Frank Hiepe noch einen Kübel mit Heilpflanzen, die er vorher gesammelt hatte, aus seinem Auto und erklärte den Wissbegierigen Besonderheiten dieser Pflanzen. Darunter befanden sich der Natternkopf, der Bittersüsse Nachtschatten und die Jungfer im Grünen (Nigella damascena). Die Jungfer im Grünen, die eine kultivierte Gartenpflanze ist, hatte keine blauen Blüten mehr, sondern etliche reife Samenkapseln.
Der Name bezieht sich auf Blumen der verschmähten Liebe. Frauen, die einen nicht erwünschten Freier abblitzen liessen, gaben dies durch eine Blume zu verstehen. Regional war der Brauch verschieden. Im Kanton Zürich wurde eine Ablehnung durch die Übersendung einer Jungfer im Grünen kundgetan. Andere abweisende Blumen waren die Schafgarbe, Kornblume, der Augentrost oder die Wegwarte. Die Freier wussten dann, dass sie bei der Auserwählten nicht landen konnten. Es war ein schöner Brauch. Heute gibt es andere Möglichkeiten der Ablehnung (per E-Mail oder SMS).
Es gibt aber noch eine andere Schwarzkümmelart, nämlich der Echte Schwarzkümmel (Nigella sativa). Das daraus gewonnenen Öl wird als das ägyptische Schwarzkümmelöl bezeichnet und ist auch hier bei uns im Handel.
Im alten Ägypten spielte der Schwarzkümmel eine bedeutende Rolle. Die Leibärzte Tutenchamuns verordneten Schwarzkümmel zur Förderung der Harnausscheidung, gegen Blähungen und Bauchschmerzen. Auch der Prophet Mohammed (570‒632) und sein Gefährte Abu Huraira (600‒678) waren vom Schwarzkümmel angetan. Huraira soll dies gesagt haben: „Schwarzkümmel heilt jede Krankheit – ausser den Tod“.
Aus den Samen gewinnt man das Schwarzkümmelöl, das sich gut bewährt hat bei Pollen- und Stauballergie, Akne, Neurodermitis, Asthma, Ekzemen, Gelenkschmerzen, Hautpilz, Fussschweiss, Husten, Infektanfälligkeit, Konzentrationsschwäche, Magen- und Darmbeschwerden, vegetativer Erschöpfung, Wundheilung, Menstruationsbeschwerden.
Im Schwarzkümmel sind 100 verschiedene Stoffe vergesellschaftet. Das Öl hat eine ganze Menge Fettsäuren (darunter 50 % mehrfach ungesättigte) zu bieten. Die wichtigsten sind Linolsäure, Ölsäure, Palmitinsäure, Gamma-Linolensäure, Arachidonsäure. Die Linolsäure und Gamma-Linolensäure ermöglichen den Aufbau wichtiger Abwehrstoffe (z. B. Prostaglandin E1), die entzündungshemmend wirken. Es verhindert krank machende Immunreaktionen, die viele chronische Krankheiten auslösen können. Das Öl mildert beim Allergiker die überschiessende Reaktion der Antikörper ab. Das Immunsystem wird harmonisiert.
Nach der Führung, mit der alle höchst zufrieden waren, stärkten sich die Teilnehmer dann im „Café zur Kräuterwirtin“ in Gersbach (www.cafezurkraeuterwirtin.de). Es gab köstlichen selbstgebackenen Pflaumen- und Apfelkuchen.
Internet
www.daskochrezept.de (Rezepte „Guter Heinrich“)
www.wdr.de (Video und Infos über den „Guten Heinrich“)
www.oekolandbau.de (Infos „Guter Heinrich“)
www.bio-gaertner.de (Infos „Guter Heinrich“)
Literatur
Aichele, Dietmar: „Was blüht denn da?“, Franckh-Kosmos-Verlag, Stuttgart 1991.
Grau, Jung, Münker: „Beeren, Wildgemüse, Heilkräuter“, Mosaik Verlag, München 1983.
Hasskerl, Heide: „Alte Gemüsesorten neu entdeckt, Schätze aus dem Bauerngarten“, Verlag Leopold Stocker, 2008.
Helm, Eve Marie: „Feld-, Wald- und Wiesenkochbuch“, Heimeran Verlag, München 1978.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, IPa-Verlag, Vaihingen 2002.
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