Textatelier
BLOG vom: 18.02.2005

Dioxin-Freilandeier, die gar keine waren

Autor: Heinz Scholz

Als in boulevardisierten Medien kürzlich in reisserischer Aufmachung berichtet wurde, Freilandeier seien mit Dioxin belastet, war überall ein unglaubliches „Gegacker“ zu hören – und zwar nicht in Mastställen, sondern bei Konsumenten. „Es kann doch nicht sein, dass plötzlich Käfigeier weniger belastet sind als Eier von glücklichen Hühnern, die im Freien scharren und picken können.“ Dies äusserte eine skeptische Frau, die mit mir in einer Schlange an einem Demeter-Marktstand in Schopfheim D stand. Eine andere Kundin, die schon jahrelang Bio-Freilandeier kauft, vermutete sogar: „Dahinter stecken sicherlich die Hühnerbarone, die ihre Käfigeier absetzen wollen.“

In der Tat: In letzter Zeit war es so, dass immer mehr Eier aus Freilandhaltung gekauft wurden, ein Zeichen von Tierschutzbewusstsein. Diese Entwicklung ist natürlich den Hühnerbaronen ein Dorn im Auge, die ihre Fabriken umbauen müssen.

Als ich einen mir schon lange bekannten Markthändler, der Eier und Schlachthühner verkauft, am letzten Markttag fragte, wie er seine Hühner halte, meinte er schmunzelnd: „Die Eier stammen aus Bodenhaltung. Die Hühner dürfen nicht ins Freie, aber die ‚Hähnchen’“ (damit meinte er die Hähne). Wo bleibt hier die Gleichberechtigung?

Zusammen mit vielen Fachleuten erachte ich die Bodenhaltung, die ja eine Stallbodenhaltung ist, als nicht wesentlich besser als die Käfighaltung. Die Tiere stehen dicht gedrängt am Boden (laut deutscher Verordnung dürfen höchstens 9 Hühner pro Quadratmeter Stallboden gehalten werden) und kommen meistens nicht ins Freie. Einige Produzenten lassen die Tiere immerhin noch ans Tageslicht und an die frische Luft. Der Auslauf besteht beispielsweise in solchen Fällen aus einer eingezäunten Terrasse, die durch ein Dach geschützt ist; Hühner wollen gegen oben immer geschützt sein, eine Schutzmassnahme gegen die Raubvögel.

Die Sache mit dem beschränkten Auslauf teilte mir eine Firmensprecherin mit, deren Unternehmen Bio-Eier für ihre Reformhausprodukte verwendet. Dann fügte sie bei: „Aus Überzeugung verwenden wir keine Eier aus Freilandhaltung. Denn die Tiere und damit auch die Eier sind in Freilandhaltung nicht vor den Dingen geschützt, die unkontrollierbar von oben herabfallen können. Hierzu zählen sowohl die Luftbelastung, die bei Regen in den Boden gespült wird, als auch die Keimbelastung durch den Kot von überfliegenden Zugvögeln.“ Ob die Tiere mit dieser Haltung zufrieden sind, bleibe dahingestellt. Wenigstens leiden sie nicht unter Einsamkeit…

Zum Glück liessen sich die Verbraucher nicht ins Bockshorn jagen; sie kauften weiterhin unbeschwert Freilandeier. Auch meine Familie liess sich weiterhin Freilandeier schmecken, die tatsächlich eine bessere geschmackliche Qualität haben.

Kurze Zeit später (am 4. Februar 2005) tauchte in der Presse die Schlagzeile „Dioxin-Eier sind gar keine“ auf. Es wurde richtiggestellt, der Dioxingehalt sei vernachlässigbar und im Übrigen ähnlich hoch wie in Käfigeiern.

Dr. Werner Bartens von der „Badischen Zeitung“ kommentierte diesen Skandal treffend: „Der vermeintliche Skandal liess sich beachtlich instrumentalisieren – mit tatkräftiger Unterstützung der Medien, die einer gezielten Lobbyarbeit auf den Leim gingen. Sie müssen sich vorwerfen lassen, bei ein paar scheinobjektiven Messdaten gleich die grosse Affäre zu wittern und darüber die Massstäbe zu vergessen.“

Eine solche Lobbyarbeit kam den „Hühnerbaronen“ natürlich sehr gelegen. Sie wollen schliesslich noch ihre Geldbeutel gierig füllen, bevor ihnen die Käfighaltung verboten wird (dies soll in Deutschland ab 2012 der Fall sein, während in der diesbezüglich vorbildlichen Schweiz die Käfighaltung schon seit dem 1. Januar 1992 verboten ist). Es ist unglaublich, aber wahr: In Deutschland gibt es 34 Millionen Legehennen, davon etwa 85 % in Käfighaltung. Fast 29 Millionen Tiere müssen somit leiden!

Was bleibt als Fazit zum „Dioxin-Skandal“ zu sagen? Viel Gegacker um nichts. Was wünsche ich mir als Verbraucher? Nun, die verantwortlichen Redakteure sollten in Zukunft besser recherchieren, kritisch denken lernen und sich mit reisserischen Meldungen zurückhalten, denn sie schüren nur Angst und Verwirrung. Selbst zur Auflagesteigerung taugen solche Ausrutscher nicht. Zudem sollte jedermann Tendenzen entschieden entgegentreten, die eine tierquälerische Haltungsform befürworten. „Wer Produkte aus artgerechter Haltung kauft, tut damit nicht nur sich selbst Gutes, sondern fördert eine Landwirtschaft, die gerade nicht zur weiteren Entstehung von Umweltbelastungen beiträgt“, so Martin Cammerer, Landwirtschaftsmeister aus Bad Krotzingen-Tunsel D in einem Leserbrief an die „Badische Zeitung“ vom 9.Februar 2005.

Tatsächlich, ein Denken in Zusammenhängen könnten wir allmählich schon gebrauchen. Das Gackern im Hühnerhof ist Musik, solches in den Medien aber schwer erträglich und irreführend.

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