Textatelier
BLOG vom: 18.10.2011

Affenberg bei Salem: Keine Angst vor Verwechslungen, bitte!

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Geradezu eine Affenschande wäre es, in Salem D zu verweilen und nicht auf den hügelartigen Affenberg zu steigen, zum Beispiel aus Angst vor Verwechslungsgefahren. Zudem: Verwandtschaftliche Beziehungen sollten nicht vernachlässigt werden.
 
Salem befindet sie etwa 9 km östlich von Überlingen, also im nördlichen Bodensee-Hinterland (Baden-Württemberg), nördlich von Meersburg. Im Ort zeigen Wegweiser nach Westen über Mimmenhausen zum nahen Affenberg, einem knapp 20 Hektaren grossen Fichtenwald (Banzenreuter Wald). Die unteren Äste der Bäume sind durch die Nagetätigkeit und die Turnübungen von etwa 200 Berberaffen (Macaca sylvanus, auch Magot genannt), verkürzt und knorrig, unförmig-verzworgelt, ein spezielles Walderlebnis.
 
Das Affenareal ist mit einem hohen Zaun eingefasst, den die Berberaffen, die als ausgezeichnete Kletterer bekannt sind, höchstens dann einmal überwinden könnten, wenn ein umgekippter Baum zur Rampe wird; die Abschrankung ist so konstruiert, dass Affen gegebenenfalls nur von aussen nach innen klettern können, nicht aber umgekehrt. Ob sie als ausgesprochene Herdentiere aber überhaupt ausbrechen wollen, ist eine andere Frage. Sicher tun sie dies nicht einzelsprungweise. Im Gehege drin geht es ihnen ja recht gut.
 
Die Besucherströme bleiben auf denen ihnen zugewiesenen Wegen, die auf knapp 1 Meter Höhe von einem menschenarmdicken Rundholz begleitet sind. Darauf sitzen in unregelmässigen Abständen Affen mit ihrem bewundernswerten Gleichgewichtssinn. Sie haben keinen sichtbaren Schwanz mehr, der ihnen dabei in die Quere kommt. Dieser Körperteil ist bei Berberaffen stärker zurückgebildet als bei ihren ostasiatischen Vettern. Die rötlichen Sitzschwielen leisten bessere Dienste.
 
Die Affen blicken etwas trübsinnig drein, wohl ohne triftigen Grund. Die Menschen, die an ihnen vorbeipilgern und sie wie Wesen aus einer anderen Welt anstarren, wurden am Gehegeeingang mit Verhaltensanweisungen und einer Handvoll Popcorn ausgerüstet. Ihnen, den Besuchern, ist aufgetragen, den Affen einzelne aufgeplatzte Maiskörner entgegenzustrecken, und das so beglückte Tier streckt seinerseits gelangweilt sein Ärmchen aus, ergreift mit der feingliedrigen Hand den weissen Maisschaum, um dieses stärkehaltige Speichergewebe sogleich in den Mund zu befördern und gegebenenfalls vorerst in den Backentaschen zu verstauen. Dadurch wird bei aller genetischen Nähe doch die nötige Distanz bewahrt.
 
Natürlich hängt die ständige Popcornesserei amerikanischen Zuschnitts den intelligenten, rötlich-braunen, grauen und oft mit weissen Stellen geschmückten Tieren mit der Zeit zum Halse heraus. Dann wenden sie sich Gemüse und Früchten zu, die ihnen Wärter bringen, oder aber sie geniessen allerhand Grünzeug wie Gras, Knospen, frische Triebe, die in ihrem Refugium automatisch heranwachsen, und Wurzeln, aber auch Kleintiere wie Heuschrecken, Käfer und Schmetterlinge gelten in diesen Kreisen als Delikatessen.
 
Beim Gehen auf dem Boden setzen sie Fusssohlen und Hände ganz auf. Verwechslungsgefahren mit uns ebenfalls in der Alten Welt beheimateten Nachfahren sind selbst für zoologische Banausen gering, denn die Berberaffen sind wesentlich kleiner und nur 7 bis 15 kg schwer und etwa 75 cm lang, wobei sie den Zirkus der täglichen Gewichtskontrolle nicht machen und überhaupt ein unbeschwerteres Leben führen.
 
Ihre Heimat sind vor allem Marokko und Algier. Sie bewohnen auch die Felsen von Gibraltar, benehmen sich dort aber, wie jeder Tourist weiss, unzivilisierter als im züchtigen Salem, wo Handtaschen und dergleichen Mitbringsel kaum geklaut werden. Über die desolaten politischen und gesellschaftlichen Zustände, wie sie in Nordafrika im Moment herrschen, mochte ich mit den Berberaffen nicht sprechen, damit ihr gelegentliches Lächeln, bei dem sie die Zähne zeigen und die Lippen schmatzend bewegen, nicht verging. Ich mochte auch nicht die Salven erregter Laute provozieren, die sie von sich zu geben pflegen, wenn sie von etwas Unerwartetem erschreckt werden.
 
Die nackten Partien des Gesichts der Magots sind blass, lederartig. Sie sind sie hart im Nehmen und überleben auch niedrige Temperaturen problemlos; das Tragen eines Pelzes ist bei ihnen noch erlaubt. Und selbst der Feminismus, der sich innerhalb des spätevolutionären Geschehens wie ein Flächenbrand ausgebreitet hat, ist in diesen Kreisen unbekannt. Dass sich die Männchen rührend um den Nachwuchs kümmern, mag ich nicht in dieses Kapitel einordnen. Dank ihrer Körperkraft, Willensstärke und taktischem Talent stehen wir Männchen wenigstens im Affengehege nach wie vor in einem höheren Rang als die Weibchen. Aber dennoch werden unter den Makaken freundschaftliche Beziehungen über die Geschlechter hinweg gepflegt, beispielsweise durch das Lausen; wenn gerade keine Läuse verfügbar sind, begnügt man sich eben mit dem Ablesen banaler Hautschuppen. Vielleicht würde es die Scheidungsrate senken, wenn wir Menschen von den Makaken lernen und uns intensiver noch als bisher gegenseitig lausen würden. So etwas stimmt den Kontrahenten nämlich milde. Manchmal liegt die Lösung so nah, erspart den Advokaten.
 
Um den Affenberg-Besuchern etwas Action zu bieten, ziehen einzelne Weibchen im Frühling und Herbst mit einer aufgedonnerten, rot leuchtenden Brunstschwellung an den Gästen vorbei. Sie gilt als offensichtliche Einladung an Affenmännchen, dafür zu sorgen, dass die Kolonie wieder anwächst, ganz im Sinne Thilo Sarrazins, der die Abschaffung Deutschland verhindern will, sich um den angestammten Nachwuchs sorgt und für diese Umsorgtheit merkwürdigerweise schwer büssen musste.
 
Auf meiner Wanderung durch das Salemer Affentheater konnte ich mit einen Wärter sprechen, der mir erzählte, das menschliche Personal habe im Gehege nicht den besten Ruf, zumal es gelegentlich nötig sei, ein Tier zu betäuben, um es tierärztlich zu versorgen, was von der Herde übel vermerkt werde. Daraus schliesse ich, dass die Tiere eher auf Naturheilkunde und Selbstheilungskräfte setzen. Die Affen prägen sich das Gesicht der Übeltäter ein und erkennen sie auch dann, wenn sie ohne die übliche goldgelbe Weste in einer beliebigen Menschenmenge auftauchen. Ich empfehle, Berberaffen in Fussballstadien zur Wiedererkennung von Hooligans anzustellen.
 
Zum Affenberg (www.affenberg-salem.de) gehören auch ein Weiher mit Blesshühnern, Graugänsen und Zuchtformen von schweren Spiegelkarpfen, sodann ein Froschteich und eine Damwildanlage. Auf den Dächern des über 200 Jahre alten Mendlishauser Hofs, der als Betriebsgebäude dient, stehen Weissstörche (Klapperstörche) in ihren Nestern auf Plattformen und und auf einer nahen Wiese als Gleichgewichtsübung im Storchenstand herum, wenn sie nicht gerade für Nachwuchs sorgen – 18 Paare sind es. Im Innenhof befindet sich eine Schenke im Biergarten-Stil, wo ich pflichtbewusst ein Fürsten-Pils trank. Auf dem Etikett stand zu u. a. geschrieben: „Gebraut und abgefüllt mit 100 % CO2-freiem Strom.“ Eine so feinsinnige Umschreibung des Atomstroms habe ich noch selten gelesen.
 
An der Energiepolitik kann man ablesen, wie weit wir uns von der Weisheit der Affen entfernt haben. Irgendwelche nervöse Windrädchen, spiegelnde, blendende Solarzellen, Atom-, Gas- oder Kohlekraftwerke gibt es im Wald voller Affen nicht. Wir versagen beim Bemühen, dieses ökologisch vorbildliche Verhalten zu erreichen.
 
Vielleicht sollten wir die Energietechnologie-Lehrstühle technischer Universitäten im Interesse einer Qualitätsverbesserung mit Makaken besetzen. Dann wäre der Planet der Affen wohl ein gescheiterer und kein gescheiterter.
 
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