Kriegsähnlicher Ausnahmezustand: Hurra, Bush ist da!
Autor: Walter Hess
Die europäischen Medien haben ihren Kunden wieder einmal ein Wort aufgezwungen, das mir den Magen bei lebendigem Leibe umdreht: Charme-Offensive. Eine Offensive ist, wenn man dem „Duden“ Glauben schenken darf, eine Kriegsführung, die den Angriff bevorzugt. Solch eine Offensive planen die USA gerade gegen den Irak. Mit Charme aber hat die rein auf Eigennutz ausgerichtete US-Politik noch nie etwas zu tun gehabt, mit Offensive aber sehr viel: Hiroshima, Nagasaki, Vietnam, Afghanistan, Irak. Wer will, mag das beliebig ergänzen, zum Beispiel mit der Indianer-Vernichtung, der Unterstützung korrupter Machthaber usw.
Und dann gibt es noch so ein überstrapaziertes Wort: „transatlantische Beziehungen.“ Das bedeutet, dass sich Europa den Befehlen von jenseits des Atlantik unterordnet, wie es sich gehört. Tony Judt, Professor für europäische Studien sowie europäische Geschichte und Leiter des Remarque Instituts der New Yorker Universität, sagte zur „Basler Zeitung“ vom 19. Februar 2005 dazu: „Washington will, was es immer wollte. Es will, dass die Europäer im Irak helfen, dass sie in Iran auf die amerikanische Linie einschwenken, dass sie darauf verzichten, eigene militärische Kapazitäten ausserhalb der Nato aufzubauen. Kurz: Washington will, dass die Europäer keine Positionen beziehen, die amerikanischen Wünschen zuwiderlaufen. Sie hoffen einfach, dass der neue Ton ihnen hilft, diese Ziele besser zu erreichen.“
Noch klarer ausgedrückt: Das Europa hat nicht mitzureden, soll sich aber gefälligst an der Reparatur der Bombenschäden und weiteren Kollateralschäden beteiligen. Wer nicht mitmacht, wird bestraft („ist gegen uns“). Und Gegner werden nicht eben mit Samthandschuhen angefasst. Man wird in den nächsten Tagen wahrscheinlich wieder nicht aus dem Staunen herauskommen, wie pfleglich herunterspielend die europäischen Politiker und die in sie eingebetteten Medien auf diese unglaubliche Arroganz reagieren werden.
Die Beliebtheit des rund 1000 Personen umfassenden US-Trosses (darunter Berater, Redenschreiber und Sicherheitsleute), in den der „mächtigste Mann der Welt“ (man mag das nicht mehr hören) eingebettet ist, kann daraus abgelesen werden, dass es kriegsähnlicher Sicherheitsmassnahmen bedarf, um diese charmanten Gäste zu bewachen.
Einige bezeichnende Beispiele aus Mainz, wohin die Reise am 23. Februar 2005 nach dem Besuch der europäischen Hauptstadt Brüssel führte − es dürfte den Stimmungskanonen von Mainz und Umgebung eher zum Weinen als zum Singen und Lachen sein: Flug-, Schiff- und Autobahnverkehr sollen stundenlang gestoppt werden. Selbst die Mainzer Schulen sollen geschlossen werden – offenbar sind selbst Kinder eine Bedrohung für die Amerikaner. Ein Motiv, das die phantasievollsten Faschingsdichter von Mainz wohl nicht auszudenken imstande waren …
Wenn die offenbar sehr willkommene hochnoble Fahrzeugkolonne mit den Politstars vom Flughafen Frankfurt am Main nach Mainz gleitet, werden die Autobahnen stundenlang gesperrt, und bei der Ankunft in Mainz sollen alle S-Bahnen angehalten werden, die der Fahrstrecke der noblen Kolonne auch nur nahe kommen könnten. Das Gebiet rund um das Kurfürstliche Schloss, wo das Treffen stattfinden wird, muss dann in eine hermetisch abgeriegelte Sicherheitszone verwandelt werden. Tausende von Polizisten werden auf Kosten der ausgesperrten und belästigten Europäer für die Sicherheit der US-Charmeure sorgen müssen.
Und der Flugverkehr wird im Radius von 60 km um Mainz für nicht kommerzielle Flugzeuge gesperrt sein. Die Bundeswehr ihrerseits steht mit Kampfjets für die Abwehr aller Gefahren bereit. Ja, wie sagt doch der charmante George W. Bush immer so schön und glaubwürdig: „Die Welt ist sicherer geworden.“ Und er selber war es, der sie sicherer gemacht hat. Ein wahrer „Mann des Jahres“, ja sogar des Jahrhunderts.
Andere Zeiten, andere Sitten: „Bushs Besuch steht im starken Gegensatz zu dem Staatsbesuch seines Vaters im Mai 1989 mit dem damaligen Bundeskanzler Kohl. Sie machten zusammen eine Bootstour auf dem Rhein; und Bush Senior hielt eine Rede vor 3000 Deutschen und Amerikanern. Er wurde damals herzlich begrüsst. „Und weiter schrieb die Deutsche Welle (DW-World.de) am 18. 2. 2005, der wir einige Angaben zur Sicherheit entnommen haben, rückblickend Wolfgang Lembach von der Staatskanzlei in Mainz zitierend: „Wir hatten schon Clinton, Gorbatschow, den Papst, Reagan und Chirac in Mainz zu Besuch. Aber dies ist die grösste Herausforderung, die wir bisher zu bewältigen hatten.“
Ja, wirklich, dieser Bush jun. ist die grösste Herausforderung für die Welt. Und immer mehr Länder leben in Angst davor, Amerika zwinge auch ihnen jene Form von Freiheit (freedom) auf, welche ganz im Sinn und Geist der dortigen Machthaber ist. Auch dagegen müsste man strenge Sicherheitsmassnahmen ergreifen.
Eigentlich wäre es bei der heutigen Faktenlage recht einfach, nicht auf das vordergründige Charme-Getue hereinzufallen. Ob Europa von Hampelmännern oder starken Persönlichkeiten regiert wird, weist sich in diesen Stunden und Tagen.
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