Textatelier
BLOG vom: 17.01.2012

Rohrer Schachen: Wo Bibersteiner Biber Giessen umgiessen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Zwischen Rohr/AG (heute ein Gemeindeteil von Aarau) und Biberstein AG breitet sich eine Ebene aus. Sie wird im Süden von der Schotterterrasse, auf der sich das Strassendorf Rohr niedergelassen hat, und im Norden vom Aaredamm, der mit dem Staffeleggzubringer-Bau (einer teilweiseuntertunnelt geführten Strasse) gegen Rohr zurückverlegt wurde, begrenzt. Damit sind die Grundlagen für eine Weichholzaue geschaffen, deren Entstehen von der Aarebrücke aus bewundert werden kann.
 
Giessen
Die Hauptattraktion des Rohrer Schachens ist ein Netz aus Giessen: grundwassergespeiste Bäche, die zum Teil natürlich entstanden und in einzelnen Fällen künstlich angelegt wurden (wie jener östlich der neuen Aarebrücke). Bei der Mehrheit der Grundwasserbäche mit ihrem kristallklaren Wasser handelt es sich um bemerkenswerte, seltene Naturerscheinungen: Irgendwo wird Grundwasser aus dem Boden gepresst, und der Sand im Quellentopf beginnt zu hüpfen, sich zu bewegen, vor allem am Fusse des Steilhangs der Kiesterrassenfläche. Das Wasser fliesst oberirdisch ab und wird durch den Zufluss von weiteren kleinen Bächlein zum Bach, der dann der Aare zustrebt.
 
Im fliessenden, sauberen Wasser fühlt sich die krautige Brunnenkresse mit den sattgrünen, gefiederten Blättern selbst im Winter offensichtlich wohl. Zwischen den Blättern nisten sich gern Wasserlinsen ein, die den Giessen an vielen Stellen zu einem grünen Teppich verhelfen.
 
Ausuferndes Biberstein
In einem Begleitdokument zu einer Exkursion vom 06.09.2008 im Rohrer Schachen schrieb der orts- und naturkundige Geograf Gerhard Ammann, Aarau: „Niemand hat sich wissenschaftlich der Frage angenommen, wann und wo denn zwischen Biberstein und Rohr eine Gemeindegrenze gezogen worden sei. Nur dreierlei ist klar: Auf der heutigen Rohrer Seite hatten die Bibersteiner Land und die Ortsbürgergemeinde Wald. Auf der ersten Siegfriedkarte von 1880 heisst dieses Gebiet Bibersteiner Schachen, obwohl sich die Gemeindegrenze damals schon in der Flussmitte befand. Und einer der grossen Giessen im Rohrer Schachen hat den Namen Bibersteiner Giessen. Das lässt den Schluss zu, dass ein Hauptarm der Aare dort geflossen ist, wo sich heute der Bibersteiner Giessen befindet und dass sich dort ,vorübergehend’ und vereinbarungsgemäss (?) die Gemeindegrenze befunden hatte. Noch auf der Michaeliskarte von 1834/49 ist die Grenzziehung unklar.“
 
Der Besitz des offenen Lands im Schachen ist den Bibersteinern erhalten geblieben; doch ist es auf Beschluss der Gemeindeversammlung vom 11.12.1998 zu einem Abtausch von Waldfläche (Schachenland gegen Staatsland auf dem Homberg) mit dem Staat Aargau gekommen war. Auslöser war der Bau der neuen Staffeleggstrasse NK 107, für welche ökologische Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen zugunsten der versprochenen Auen-Ausweitung fällig wurden. Das abgetauschte Land befindet sich genau gegenüber dem Bibersteiner Dorfteil Wissenbach, der an Küttigen angrenzt.
 
Biber-Arbeit
Auf einem Spaziergang habe ich Ende 2011 den Bibersteiner Gemeinderat und Kulturminister René Bircher am Rande des Bibersteiner Schachens getroffen, und er erzählte mir davon, dass Biber am Bibersteiner Giessen, welcher in einem Waldrand quer zum Aaretal verläuft, tatkräftig mitgestaltet haben. Am 10.01.2012, als die Sonne den in dieser Gegend häufig verbreiteten Hochnebel durchbrochen hatte, liess ich mich zu einer kleinen Exkursion in jenes Gebiet hinreissen.
 
Bereits im Giessen südlich des Aaredamms bei der Bibersteiner Brücke, gegenüber des Dorfzentrums, der von fleissigen Mitgliedern der Bibersteiner Männerriege regelmässig von allzu üppigem Pflanzenwachstum befreit und entrümpelt wird, liegen Bäume, die den Wasserfluss etwas stauen und angeschwemmte Äste auffangen. An einer Stelle wurde mit einem Plastikrohr der Wasservorbeifluss gewährleistet, also eine Verklausung verhindert, wie die Wasserbauer sagen.
 
Biberstein hat sein Wappentier in den 1960er-Jahr aus der damaligen Tschechoslowakei eingeführt, in angepasstem demokratischem Verhalten unterrichtet und ausgesetzt; andere Exportländer waren Norwegen und Frankreich. Insgesamt wurden im Aargau 56 Biber angesiedelt, nachdem diese Tierart zu Beginn des 19. Jahrhundert in der Schweiz vollständig ausgerottet war. Biber sind ein belebender Bestandteil der Flüsse und Auen, mit denen der Aargau reich ausgestattet ist.
 
Zuerst schien es, als ob die Wiederansiedlung gescheitert sei. Laut Gerhard Ammann gab es Ende der 1960er-Jahre nur noch auf der Zurlindeninsel in Aarau und im Umiker Schachen Biber. Nach Zuwanderungen aus den Kantonen Thurgau und Zürich nahmen die Bestände in den 1990er-Jahren jedoch wieder deutlich zu. Heute begegnet man insbesondere zwischen Aarau und Wildegg häufig Biberspuren (angenagte und mit den Nagezähnen gefällte Bäume). Zum Glück begegnen die nagenden Säugetiere (Castor fiber) im Aargau einer Bevölkerung mit einer aussergewöhnlich guten Naturbeziehung; viele Biologen, Ökologen, Geologen und weitere Naturfreunde aller Art leisteten und leisten eine unschätzbare Aufklärungsarbeit, eine Naturerziehung, die Gelüste auf „Hegeabschüsse“ (wie im Thurgau) im Keime erstickt.
 
Seen am Bibersteiner Giessen
Mit solchem Wissen wanderte ich also auf dem morastigen, teilweise schwach überschwemmten Boden dem Bibersteiner Giessen entlang. Er ist in den Waldrand einverleibt, und auf der gegenüberliegenden (westlichen) Seite sind Maisstoppelfelder, die das Wasser, das ihnen in den vorangegangenen Tagen zugemutet worden war, nicht vollständig zu schlucken vermochten. Wahrscheinlich drückt hier das Grundwasser an die Oberfläche, wie das auch in der Nähe der „Schachenhöf“ nach starken Niederschlägen immer wieder zu beobachten ist.
 
An 2 Stellen liegen armdicke Weiden mit ihrem Geäst quer übers fliessende Wasser. Unter der Wasseroberfläche wirken die Äste wie Rechen. Sie stauen das Wasser mit Hilfe von angeschwemmten und zurückgehaltenen Holzteilen auf, so dass sich ein Weiher bildet. Dadurch kann sich der Giessen einige Meter tief in den Laubmischwald mit Silberpappeln, Eichen und Förster-Fichten, welch letztere hier eigentlich nichts zu suchen hätten, ausdehnen. Mit Biber-Hilfe werden somit die Giessen zu Werkzeugen für eine Auenausweitung.
 
Mit guten Gründen erwarte ich, dass im aufgeklärten Aargau solche Prozesse ungestört ablaufen können. Bei einem neu entstandenen Lebendverbau wurde hier ebenfalls ein Kunststoffrohr in den Giessen gelegt, damit die Überflutung in Grenzen gehalten werden kann und wahrscheinlich auch, um einem Protest aus der Landwirtschaft vorzubeugen – dort unten im Schachen ist Platz für alle.
 
Hinter dem Stauwerk ist eine neue Fällaktion im Gange, wie die Frassspuren, die von der Form einer Sanduhr inspiriert zu sein scheinen, an einem Weidenstamm zeigen. Und das Schauspiel wird von einer Kamera auf einem Stativ beobachtet, die wahrscheinlich mit einem Bewegungsmelder ausgerüstet ist (Biber sind vor allem nachtaktiv).
 
Es dunkelte, und meine Tagesaktivitäten gingen beim Heimmarsch zu Ende. Ein Biber zeigte sich verständlicherweise nicht, pflegen sie doch eine Winterruhe, ohne gleich in einen Winterschlaf zu verfallen. Keine schlechte Idee.
 
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