Textatelier
BLOG vom: 18.01.2012

Die Folgen der fehlenden Lernfähigkeit: kollektive Irrtümer

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Bei all den unausgegorenen Convenience-Meldungen, mit denen wir beim alltäglichen Medienkonsum und -studium überhäuft werden, fragt man sich, was denn da eigentlich los sei. An der Verkürzung allein kann es nicht liegen. Das Kurzfutter wird ununterbrochen repetiert. Bombardements von Fakten auch als ständige Wiederholungsschlaufen werden wie ein Hagel Streumunition mit unzähligen Blindgängern aufs duldsame Volk abgeschossen. Auch Rohrkrepierer sind gut vertreten. Das Visuelle erhält Oberhand; immer mehr Scheininformationen werden durch stehende oder bewegte Bilder verbreitet. Die Lesefähigkeit nimmt ab und schon gar das Talent zu einem den Sinn eines Texts erfassenden Lesen – und das Schreiben. Die Macher von Druckprodukten (Zeitschriften und Zeitungen) dulden Wörter und Sätze immer weniger. Bilder, Hohl-und Weissräume nehmen überhand.
 
Das Ausdünnen und das Zerhacken der Informationen leisten Fehlbeurteilungen und kollektiven Irrtümern Vorschub. Bei solchen Voraussetzungen sind die breiten Massen (mit Einschluss von Vertretern von Wissenschaft, Politik, Medien usf.) ausserstande, aus aktuellen Begebenheiten und selbst aus abgeschlossenen, mustergültigen Vorgängen die richtigen Erkenntnisse zu ziehen. Wenn die Fragestellungen verzerrt sind, können die Antworten nicht richtig sein.
 
Die Informationen sind in der Weise, wie sie angeboten werden, unbrauchbar und viele Empfänger, die in ihrer Schulkarriere zum Auswendiglernen von Namen, geschichtlichen Daten, mathematischen, physikalischen, chemischen, grammatischen Formeln und Regeln getrimmt wurden, sind ausserstande, die Bruchstücke zu einem kompletten Ganzen zusammenzufügen. Der Überblick gelingt nicht. Vielleicht kumulieren sich solche Ursachen, woraus sich die zunehmenden Geistesverwirrungen ergeben. Das Vakuum in Form von Bildungslücken, das daraus entsteht, wird mit etwelchen zusammengebastelten Wahnvorstellungen zugepflastert. Geisteswissenschaften und Geist bleiben auf der Strecke. Der geistige Zustand unserer Epoche ist desolat. Die Welterkenntnis der breiten Massen und damit die Möglichkeit, die Entwicklung hin zu einer verheissungsvollen, lebenswerten Zukunft mitzugestalten, ist beschränkt.
 
Jean-Jacques Rousseau, der repräsentative Geist der westeuropäischen Aufklärung, hielt in seiner Schrift „Über die politische Ökonomie“ fest: „Die Völker sind auf die Dauer das, was die Regierungen (heute mit Hilfe der eingebetteten Medien. W. H.) aus ihnen machen: Krieger, Bürger, Menschen, wenn sie will; Pöbel und Gesindel, wenn ihr das so beliebt. Bildet also Menschen, wenn ihr Menschen Befehle geben wollt! Wollet ihr, dass der Gemeinwille geschehe, so sorget dafür, dass der Wille aller Individuen sich danach richte. Da die Tugend nichts als die durchgängige Übereinstimmung des Einzelwillens mit dem Gemeinwillen ist, so sorget für die Herrschaft der Tugend.“
 
In der Zeit der Vorherrschaft des schnellen Gelds über die Tugend, der selbst hohe Banker unterliegen, braucht es schon fast Volksaufstände, um Taschenspieler abzusetzen und auf den Pfad der Tugend zurückzuzwingen. Unterbleiben solche Aktionen, laufen moralische Verstösse Gefahr, salonfähig zu werden.
 
Die Welt der Kriege
Wo sich ein Moralmangel bei Regierungen ausbreitet, sind militärische Auseinandersetzungen programmiert; diese werden umfangreicher, perfider. Das Wikipedia-Lexikon hat eine Liste von den Kriegen (einschliesslich von Bürgerkriegen) im Netz, die seit ihrem Beginn bis heute andauern.
 
Sie umfasst rund 3 Dutzend Positionen. Das zeigt, wie unfähig die Menschheit zur friedlichen Konfliktlösung nach wie vor ist. Insbesondere die Kriegsbegeisterung der USA ist nicht zu stoppen; nur das fehlende Geld dämpft den Kampf um Rohstoffe, Geld und Macht. Das Land, das zur Weltherrschaft drängt, hat nach den Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI die mit Abstand höchsten Militärausgaben: 2010 betrugen die Aufwendungen für militärische Zwecke aller Länder zusammen 1,6 Billionen USD (1,3 % mehr als im Jahr zuvor). Sie waren damit gegenüber dem Vorjahr 2009 um 1,3 % angestiegen. Die USA hatten mit 698 Milliarden USD daran einen Anteil von 43 %. Chinas Anteil betrug bei Ausgaben von 119 Milliarden USD etwa 7 %, wenig im Vergleich zur Grösse und Bedeutung dieses Lands. Russland, Frankreich und Grossbritannien sind auf den nächsten Plätzen mit einem Anteil von je 4 % gleichauf. Deutschland hatte mit 2,8 Milliarden USD die achthöchsten Militärausgaben weltweit; man hätte das nach den Beteuerungen („Nie wieder Krieg!“) im Anschluss an den 2. Weltkrieg nie erwartet. Ebenfalls zu den 10 führenden Ländern, was die Rüstungsaufwendungen anbelangt, gehörten Japan, Saudi-Arabien, Indien und Italien.
 
Das lässt Rückschlüsse auf die Bedrohungslage zu: Nur wer Kriege führen will, rüstet massiv auf, ansonsten die existenzbedrohenden Kosten, von denen eine riesige Rüstungsindustrie lebt, ein Unsinn wäre – doch das sind sie auf jeden Fall. Und natürlich erzwingt die Bedrohungslage unter einer hochgerüsteten Führungsnation zu stattlichen Verteidigungsaufwendungen, selbst bei friedliebenden Staaten. Wer sich nicht wehren kann, wird zur leichten Beute.
 
Wahrscheinlich wegen der kollektiven Geistesverwirrung wird weltweit nicht etwa versucht, die Kriegsnation USA, die laufend Menschen- und Kriegsrechte mit Füssen tritt (Folter und Leichenschändung eingeschlossen), zurückzubinden, wie es naheliegend wäre. Das Gegenteil ist zu beobachten: Wie immer, wenn ein grosser Führer erste Erfolge auf dem Weg zur Weltbeherrschung vorweisen kann, bilden sich riesige Mitläuferheere, die erstens einmal auf der richtigen Seite stehen wollen (um Strafaktionen vorzubeugen) und wenn immer möglich an dem, was sie als Erfolg werten, teilzuhaben. Es sind treibende, schmarotzende Trittbrettfahrer, die nicht merken, dass sie verschaukelt und ausgenommen werden, wenn sie sich ins Imperium einbinden lassen. Wenn sie nicht den vorauseilenden oder zumindest den sofortigen Gehorsam pflegen und ihre Schutzgelder entrichten, werden sie mit Erpressungen gefügig gemacht. Wie das Lügen ist das Erpressen auf höheren Ebenen heute sozusagen Standard.
 
Militärisch geschehen die Einbindungen westlicher Staaten über das Militärbündnis Nordatlantikpaktorganisation (Nato), das auch gern ausserhalb von Europa betätigt und so zur „globalen Nato“ wird. Die Nato ist eine der grosskalibrigen Waffen, mit denen die USA ihre Grossmachtziele durchsetzt, die Bereitschaft zur Unterwerfung der Vasallen ausnützend. Das geschieht alles ohne jede Tarnung. Und dass dadurch die europäische Verteidigung zur grossen Freude der USA geschwächt wird, übersieht man geflissentlich. Selbst die Schweizer Armee wird immer Nato-kompatibler – unglaubliche, irrsinnige Vorgänge.
 
Die Welt der Geldblasen
Ähnliche, offenkundige Katastrophen-Inszenierungen gibt es auch auf der Bühne, auf der sich die Finanzarchitekten ihr Stelldichein geben. Seit der Liquidation des Goldstandards im Währungssektor ist es den Notenbanken möglich, die Notenpressen in beliebiger Geschwindigkeit laufen zu lassen (im Zeitalter der Virtualität genügen Computertasten). Diese zügellose Geldproduktion nach US-Vorgaben hat dazu geführt, dass es weltweit mehr Geld als Waren gibt.
 
Viele Staaten betreiben eine gigantische Schuldenwirtschaft, um Kriege zu finanzieren und z. B. auch um überbordende Sozialprojekte zu verwirklichen, womit Politiker ihre Wiederwahl sichern wollen. Die exorbitant steigenden Schuldzinsen werden mit neuen Krediten bezahlt, eine ständige Hochschaukelung. Desolate Zustände in der Wirtschaft werden damit vorläufig überspielt.
 
Der Geldüberhang führt zu sich ausweitenden Spekulationsblasen wie bei den Immobilien, die plötzlich platzen, wenn sie an einer beliebigen Stelle geritzt werden. Und nach der Deflation (Rückgang des Preisniveaus) wird sich dank der Finanzschwemme eine Hyperinflation ausbreiten, die dann alle betrifft; das Geld verliert seinen Wert. Etwa 2 bis 3 Jahre sind nötig, bis die Inflation mit voller Wucht ausbricht. Das sind bilderbuchmässige Abläufe, von viel zu wenig in die Entscheidungen einbezogen werden. Das langfristige Denken – das war einmal.
 
Deshalb ist auch der Jubel über die expansive Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) unter dem internationalisierten, inzwischen wegen eigener Insidergeschäfte untragbar gewordenen Präsidenten Philipp Hildebrand zur Frankenschwächung unverständlich. So lange der Euro-Kurs durch die Frankenanbindung auf 1.20 (CHF pro EUR) gehalten werden kann, erleidet die SNB zwar keinen Buchverlust. Sie konnte kurz nach Hildebrands Abgang eine verblüffende Erfolgsbilanz für 2011 ankündigen, die im Gegensatz zu allen vorangegangenen Prophetien steht und Bund und Kantonen zu insgesamt etwa 1 Mia. CHF verhilft.
 
Doch was passiert, wenn der EUR zusammen mit der Fehlkonstruktion EU einstürzt? Die neuesten Herabstufung der Kreditwürdigkeit von Ländern wie Frankreich und Österreich, das heisst von 9 der 17 Euro-Staaten durch die US-Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) ist eine Waffe, um den Euro (im Interesse der Dollar-Erhaltung) zu schwächen. Auch der Euro-Rettungsschirm EFSF dürfte noch heruntergemacht werden. Dafür wird umso grosszügiger über den wirtschaftlichen und finanziellen Zerfall des US-Imperiums hinweggesehen, wie es sich eben gehört. Die EU-Währung wird noch durch einige Stützungsmassnahmen unter behelfsmässigen Schirmen, die einen grösseren Sturm nicht überstehen werden, zusammengehalten – Gott gebe, dass es klebe!
 
Die Welt der Globalisierer
Die Desorientierungen, die nicht zu Lehren und entscheidenden Gegenmassnahmen führen, reichen weiter. Noch immer schlummern in den Köpfen von Schweizer Politikern auf hoher Ebene EU-Beitrittsgelüste, auch in Bundesratsdamen – solche Abstrusitäten sind selbst nach allem, was geschah, nicht auszurotten.
 
Geradezu ein Aberwitz ist der Umstand, dass ausgerechnet linke, sozialdemokratische Parteien, die sich für die berechtigten Interessen des werktätigen Volks einsetzen müssten, die Einheitswelt (Globalisierung) vorantreiben. Dadurch erhalten die Arbeiter eine unbegrenzte Konkurrenz, wodurch das Arbeitseinkommen sinkt (auch hier sind Rettungsschirme nötig). Immer neue Erschütterungen sind unabwendbar; zu den Wirtschaftskrisen kommen die Sozialkrisen.
 
Die Geschehnisse laufen aus dem Ruder, der Überblick geht verloren. Die meisten Medien kümmern sich kaum noch ums Allgemeinwohl, sondern pflücken Einzelereignisse heraus, die fette Schlagzeilen liefern und den weiteren Auflage- oder Quotenrückgang verhindern. Das System wankt. Weil Grundsätze fehlen und die Berichterstattung im Argen liegt, sind auch keine grundsätzlichen Lehren möglich. Das Refugium der fähigsten und erfahrensten Journalisten, die „Weltwoche“, sieht sich mit harten Attacken auf der Mittelinkswelt konfrontiert, womit versucht wird, ihren Recherchierjournalismus in ein schiefes Licht zu stellen, niederzuhalten, weil er zu viel Unangenehmes und Mätzchen ans Licht bringt.
 
Dann braucht man nur die Bildungspolitik nach US-Muster fortzuführen, die Redaktionen als Folge des neoliberalen Renditedenkens mit willigen und billigen Kindersoldaten auszustatten und erfahrene Denker in die Frühpension zu schicken, und schon hat man das gewünschte Volk, das man beliebig manipulieren (in die Irre führen) kann. Das Volk beteiligt sich dann mit Begeisterung an Kampagnen, die sich gegen seine eigenen Interessen richten.
 
Rousseau darf das Schlusswort haben, weil er schon im 18. Jahrhundert die Globalisierungsfolgen voraussah: „Es scheint, dass das Gefühl der Menschlichkeit verduftet und sich verflüchtigt, wenn es sich über die ganze Erde erstreckt.“
 
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
 
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