Textatelier
BLOG vom: 30.01.2012

Der politische Stil: Klartext über Weichgespülte und Hardliner

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Stilfragen sind in der Politik ein probates Mittel zur Überbrückung der Diskussionszeit, wenn die Argumente ausgegangen sind. Wer hart und in klarer Sprache argumentiert und sich nicht scheut, Gesprächsteilnehmer gegebenenfalls auf deren Widersprüche, Vertuschungen und Verdrehungen anzusprechen, pflegt laut den frei erfundenen Gesetzen der Political correctness (politischen Korrektheit) nach landläufiger Auffassung einen schlechten Stil. Das sei Diffamierung, heisst es. Wer aber als weichgespülter Kreidefresser auf alle möglichen Sensibilitäten Rücksicht nimmt, vieldeutige, vage Umschreibungen von sich gibt, um seine Anhänger- und Wählerschaft nicht zu vergraulen, wer sich verschwommen ausdrückt, lügt und rhetorisch betrügt und, vorerst unbemerkt von der Öffentlichkeit, andere Ziele als die bekanntgegebenen verfolgt, pflegt nach der Wahrnehmung der breiten Massen einen guten Stil. Er mache „einen guten Job“, heisst die aktuelle Floskel, mit denen politisch Gleichgesinnte unbesehen geehrt werden.
 
Der Stil hat Gewicht, Bedeutung. Welcher ist der richtige? Die Frage ist ungeklärt, aber etwas Aufrichtigkeit wäre schon zu erwarten. Leute, die geradeheraus Klartext sprechen, offen darlegen, was sie denken und anstreben, sind beim Volk, das durch den Medienmainstream mit seiner Schlagseite nach links irritiert wurde, dennoch unbeliebt. Das ist mir vollkommen unbegreiflich. Die gleichen Massen, die offenbar belogen und betrogen sein wollen, halten in Alltagsgesprächen gebetsmühlenartig fest, die Politiker machten ohnehin, was sie wollen, verschaukelten das Volk und wirtschafteten nur in die eigenen Taschen – da ist etwas Schizophrenie dabei. Im Moment kann man als sprechendes Beispiel gut auf den ehemaligen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, Philipp Hildebrand, verweisen, der über seine Insider-Devisengeschäfte strauchelte und trotz aller Weisswäschen aus der Mitte-Links-Politik und insbesondere von Bundesratsmitgliedern wie Eveline Widmer-Schlumpf und Johann Schneider-Ammann den Hut nehmen musste – und dafür noch „Lohnfortzahlungen in Millionenhöhe“ (NZZ vom 12.01.2012) erhält: einen Jahreslohn von 994 800 CHF.
 
Ob in der Politik oder in der Publizistik – hier zählen Offenheit, Ehrlichkeit und Klarheit in allen Lebenslagen. Rücksichtnahme verdienen Menschen, die sich nicht wehren können – also die „kleinen Leute“. Doch bei demokratischen Auseinandersetzungen auf einer höheren politischen Ebene, wo die Darsteller als Stellvertreter des Volks agieren und von diesem legitimiert und finanziert werden, sind Feingefühle, politische Sensibilitäten und die blödsinnigen Verweise auf die auf Brusthöhe gehievte Gürtellinie, die man bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu hören bekommt, fehl am Platze. Im Zentrum steht vielmehr eine möglichst intelligente Lösung einer anstehenden Aufgabe. Wo diese durch persönliche Interessen behindert wird, müssen die Ursachen und Hintergründe ans Licht gebracht werden. Mir ist eine harte Auseinandersetzung lieber als eine Schmuddelpolitik, deren Fäden hinten herum gesponnen werden. Wölfe, die im natürlichen Fell daher kommen, sind sympathischer als jene im Schafspelz.
 
Ein ausgesprochener Hardliner ist der Berner Adrian Amstutz, der am 20.01.2012 zum neuen Präsidenten der Schweizer SVP-Bundesratsfraktion gewählt worden ist. Es versteht sich von selbst, dass die Medien mit ihrer sonderbaren Auffassung von politischer Korrektheit in ihren Wahlkommentaren ihre Bedenken anmeldeten oder auf „Besserung“ hofften; darauf kann man beim profilierten, kantigen Amstutz wohl lange warten. Der „Tages-Anzeiger“ bot feuerwehrmässig den Politologen Louis Perron auf, der die parteiinterne Wahl aus höherer Warte als „Fehlentscheid“ herunterzumachen hatte: „Ein Fraktionspräsident muss (...) die Partei im Parlament vertreten. Das bedeutet, dass man gut vernetzt und koalitionsfähig sein muss und auch Kompromisse eingehen kann. Diese Eigenschaften sind zentral, wenn man als Fraktionspräsident im Bundeshaus etwas für die Partei erreichen will.“
 
Ich verstehe solch rabulistische Argumentationen nicht. Der Vertreter einer Partei soll doch die Parteimeinung klipp und klar einbringen und sich nicht ins Dickicht der Vernetzungen einspannen lassen, das immer Gefahr läuft, zur Vetternwirtschaft auszuarten und sich nicht mehr um fachliche Qualifikationen und solide Argumente kümmert. Kompromisse kommen bei demokratischen Ausmarchungen, bei denen unterschiedliche Ansichten auf einen Nenner gebracht werden müssen, ohnehin immer heraus, ob nun klar, hart oder diffus und weich argumentiert wurde. Der Politologe irrt noch einmal, wenn er meint, man müsse im Bundeshaus etwas für die Partei erreichen – vielmehr geht es darum, für das Wohlergehen des Landes etwas Sinnvolles zu tun. Man erkennt aus solchen Stellungnahmen, wie konfus die Ansichten und Prämissen heute sind. Das Wesentliche wurde aus den Augen verloren.
 
Immer wieder werden Populisten, welche die Sprache des Volks sprechen und geradlinig argumentierten, abgestraft. Doch auch Verdrehungskünstler und Abwiegler leben gefährlich. Für sie kann eine Angelegenheit brenzlig werden, wenn sie den Spiegel vorgehalten bekommen. Das bekam am 05.11.2010 die Bundesrätin Simonetta Sommaruga in der TV-Diskussionssendung „Arena“ zu spüren; Sommaruga hatte 5 Tage vorher ihr Amt als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements angetreten. Ihre Vorgängerin Eveline Widmer-Schlumpf, welcher die Linken inklusive die CVP wegen deren Distanz zur SVP einen „guten Job“ attestieren, hatte einen Scherbenhaufen hinterlassen, den Frau Sommaruga bis heute nicht zu flicken vermochte – im Gegenteil: „Wir haben nichts mehr im Griff“, stellte der FDP-Nationalrat Philipp Müller in „Der Sonntag“ vom 22.01.2012 angesichts der über mehrere Jahr hinweg verschleppten Asylgesuche fest. Das ist keine Übertreibung.
 
Die weiche Tour hat brutale Konsequenzen: Italien, das sich nicht ans Dubliner Übereinkommen beziehungsweise an die Dublin-II-Verordnung hält, und auch die Asylsuchenden nützen die blamablen Zustände in der Schweiz aus, wo sie während Jahren Ferien machen können. Artikel 6 des Übereinkommens lautet: „Hat der Asylbewerber aus einem Drittstaat die Grenze eines Mitgliedstaats illegal auf dem Land-, See- oder Luftweg überschritten, so ist der Mitgliedstaat, über den er nachweislich eingereist ist, für die Antragsprüfung zuständig.“ Doch Italien winkt durch, kümmert sich nicht um Abmachungen.
 
Die SVP machte seit Jahren auf die mit hohen Kosten und sozialen Problemen verbundenen Unzulänglichkeiten aufmerksam, wurde aber als politisch unkorrekt verschrien. Inzwischen prangert sogar der Verband Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) die unhaltbaren Zustände an, die sich besonders auf Rückschaffungsflügen manifestieren, bei denen es oft zu physischen und verbalen Attacken auf die Polizei kommt, die am Schluss aus der politisch linken Ecke gerade auch noch kriminalisiert wird.
 
In der erwähnten „Arena“ ging es um die Ausschaffungsinitiative (für kriminelle Ausländer) der SVP, die vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen wurde; ein milderer Gegenvorschlag sollte das Problem lösen. Die Initiative wurde von Sommaruga als „schludrig formuliert“ heruntergemacht, und sie sagte, nach dem Wortlaut der SVP-Initiative würde selbst eine junge Frau, die etwas Haschisch gegen eine CD eingetauscht habe, ausgeschafft. Die Bundesrätin raffte sich noch zur Lüge auf, die Initiative schliesse nicht aus, dass Ausweisungen auch in Kriegsgebiete und in Länder, wo gefoltert werde, vollzogen würden. Die Initiative wurde am 28.10.2010 mit einer Mehrheit von 52,3 % der Stimmenden angenommen.
 
Adrian Amstutz, der sehr wohl wusste, dass Frau Sommaruga schon damals aus Kommissionsarbeiten die wirklichen Sachverhalte genau kannte und nun zu Unwahrheiten Zuflucht nahm, platzte der Kragen, und er griff nach dem ihn immer begleitenden verbalen Zweihänder (mittelalterliches Schlachtschwert, das mit beiden Händen geführt wird): „Das ist eine Unverfrorenheit. Ich staune, was Sie behaupten, Frau Bundesrätin“. Er hielt seine kraftvolle, urtümliche Sprache nicht mehr im Zaum: „Dir verzellet ein Seich am angere, Frou Bundesrätin” (Sie erzählen einen Unsinn nach dem anderen); „das si Lugine” (das sind Lügen).
 
Frau Sommaruga hatte eine „faire Diskussion“ verlangt, und sie glaubte wohl, als Bundesrätin sei ihr alles erlaubt. Da kam sie bei Amstutz gerade an den Rechten, und die Sozialdemokratin erwischte einen miserablen Start ins Amt. Das hatte sie sich selber zuzuschreiben.
 
Solche klaren Auseinandersetzungen sind wertvoll. Sie bringen Licht in die politischen Spiele hinein, und deshalb sind solche öffentlichen Duelle, die Fakten auf den Tisch legen, Souffleure und Verhaltensmuster entlarven, erwünscht und nötig, solange das Bestreben nach Wahrheitsfindung die Grundlage ist.
 
Politik muss auf Wahrheit und Richtigkeit beruhen. Doch hat die Sache einen Haken, wenn man Mark Twain glauben darf: „Einen Politiker, der immer die Wahrheit sagt, gibt es nicht, sonst wäre er nicht Politiker geworden.“
 
Aber man darf erwarten, dass er es wenigstens möglichst häufig mit der Wahrheit hält.
 
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