Textatelier
BLOG vom: 05.03.2012

Slow Food AG/SO: Die Lust des Bohnen- und Erbsenzählens

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Schön anzusehen sind sie auf jeden Fall, die weltweit verbreiteten rund 17 000 Arten von Hülsenfruchtgewächsen. Annafried Widmer-Kessler aus Eggenwil AG, Betreiberin von Lust-, Nutz- und Experimentiergärten, sprach von einer „unendlichen Fülle“. Das geschah an einem Anlass des Conviviums Aargau-Solothurn von „Slow Food“ im „Bären“ in Fisibach AG in der Nähe von Kaiserstuhl im Bezirk Zurzach.
 
Fisibach, in den Tafeljura eingebettet, ist eher eine Streusiedlung als ein Dorf, weil es keinen Dorfkern gibt. Doch an Bohnenkernen bestand am 03.03.2012 in jener Gemeinde keinerlei Mangel, stand der Anlass doch ganz im Zeichen der Hülsenfrüchte – in Theorie und Praxis. Viele Hülsenfrüchte wie insbesondere die schwarz-rot gefärbte Pasternostererbsen locken mit ihren prachtvollen Samenfarben Liebhaber wie insbesondere Vögel an; selbst sie scheinen auf Aufgemotztes hereinzufallen. Die Erbse wird von ihnen verschluckt. Sie ist fast unverdaulich und muss vom Tier an anderer Stelle wieder ausgewürgt werden, kann sich am neuen Ort verbreiten. Das sind natürlich alles Theorien, denn ob sich die Früchte aller Art tatsächlich aus überlebensstrategischen Gründen nach reiflicher Überlegung bewusst für eine bestimmte Grösse und Farbe entschlossen haben, kann ich nicht belegen.
 
Die zentrale Frage ist eigentlich nur, ob man die Hülsenfrüchte, die Enzymstopper eingebaut haben und die Eiweiss- und Stärkeverdauung lahmlegen können, auch essen kann. Von den Erbsen sagt man laut Frau Widmer, dass sie ihren Anteil an die Geburtenkontrolle leisten: Wo viele Erbsen verzehrt werden, sei die Empfängnisverhütung kein grosses Problem. In Indien hat die Erbse tatsächlich eine Funktion als Antibabypille, was auf ihren Östrogengehalt zurückgeführt wird.
 
Infolgedessen ist anzunehmen, dass ab dem kommenden Winter wegen des hier zu beschreibenden Hülsenfrüchte-Abends in den Kantonen Aargau und Solothurn wohl nur vereinzelte neue Slow-Food-Mitglieder das Licht der Welt erblicken und die Mitgliederzahlen im einstelligen Prozentbereich weiterwachsen werden (220 sind es im Aargau, etwa 3500 in der ganzen Schweiz), wie üblich. Tatsächlich wurde an jenem Abend innerhalb eines 5-Gang-Menus den Hülsenfrüchten üppig zugesprochen.
 
Der ausgezeichnete „Bären“-Wirt Pierre Arn hatte mit seiner Mannschaft einen unbeschreiblichen Aufwand betrieben und den Beweis erbracht, dass Erbsen und Bohnen bekömmliche Delikatessen sind, wenn sie durch das Kochen entgiftet worden sind. Nur beim Dessert (auf Mirabellen- und Walliser-Aprikosen-Basis) brachte er keine Hülsenfrüchte mehr unter. Dennoch liess sich eine nette, erfahrene Ehefrau, die am gleichen Tisch wie ich sass, beim Verzehr eines Eintopfs aus verschiedenen Bohnen und Wurzelgemüse im iranischen Safran-Sud, zu der eine butterzarte Rheintaler, ausschliesslich mit Ribelmais gefütterte Poularde und auch Entenbrust gereich wurden, zum Ausdruck einer ernst zu nehmenden Befürchtung hinreissen. Sie habe etwas Angst vor all den Tönchen, welche jedes Böhnchen bei ihren Ehemann erfahrungsgemäss auslösen würde, sagte sie. An dieser Musik sind verschiedene Zuckerverbindungen in den Böhnchen schuld, welche die Darmflora vieler Menschen zur Gasbildung anregen. Ich riet der leicht verängstigten Dame, einfach die von ihrem Ehemann verzehrten Bohnen zu zählen und dann könne sie hochrechnen, wenn endlich das Konzert aus Tönchen verklungen sein würde.
 
Bohnen sind übrigens zusammen mit Mais besser verträglich, und diese Kombination gilt als komplette Nahrung. Auch das Mitkochen von Rosmarin, Thymian, Kümmel, Koriander oder Lorbeer beruhigt die Lage an der Sturmfront.
 
Das Bohnenkochen braucht etwelche Erfahrung. Harte Kerne müssen eingeweicht und das Salz darf erst am Ende der Garzeit beigefügt werden, ansonsten man lange auf das Erweichen warten kann. Ich habe sogar die Beobachtung gemacht, dass allein schon unsere sehr kalkreiches Jurawasser in Biberstein das Bohnenkochen über Gebühr verlängert.
 
Das Kapitel Erbsen
Zwischen den Gängen erzählte Frau Widmer, die sich zunehmend in selber eine Bohnenkönigin verwandelte, in einer hin- und mitreissenden Art von den Bemühungen der ProSpecieRara, alte Sorten durch Vermehrung zu erhalten – dies sei beste Organisation dieser Art überhaupt, sagte sie. Ich teile ihr Urteil. Die Referentin schwärmte aus tiefer Überzeugung von Erbsen, Kefen und Zuckererbsen.
 
Zu den Erbsen gehört die Sorte „Wunder von Keveldon“: aromatisch, mittelfrüh und reichtragend. Und ausnahmsweise können frische grüne (halbreife) Erbsen roh gegessen werden. Aber Spargelerbsen (Flügelerbsen) sind nur zäh.
 
Kefen, die im 17. Jahrhundert gezüchtet wurden, wie die modernere Dekorationskefe „Art Deco“, die violette blühende „Weggiser“ oder „Norli“ und die „Winterkefe“ berauschen bereits mit ihrem Blütenzauber, ebenso die Zuckererbsen. Und auch die Spargelerbsen sind Zierpflanzen und Gemüse zugleich.
 
Das Kapitel Bohnen
Frau Widmer hatte aus Bohnen die Köpfe eines Bohnenkönigs und einer Bohnenkönigin, die ihr ähnlich sieht, gebastelt. Vor dieser Kulisse gab sie ihr auch mythologisches Wissen weiter. Sie unterscheidet in Bohnen aus der alten und solche der neuen Welt. Aus der alten Welt stammen die beliebten Saubohnen (Ackerbohne, Vicia faba), Sabo, Puffbohnen und andere. Der neuen Welt werden die Feuerbohnen (Stangenbohnen, Phaseolus coccineus), die zweifarbigen, markant gezeichneten Stangenbohnen „Yin und Yang“ und viele andere zugeordnet, die sich auch für Schmuck eignen.
 
Bohnen würden schnell wachsen und seien besondere Pflanzen, hielt die Fachreferentin fest: Die Blüten besitzen eine rechte und eine linke Seite, und die Bohnen haben ein Unten und ein Oben, seien also „fast wie Menschen“, auch hinsichtlich ihres hohen Eiweissanteils, und in den Bohnen würden unsere Ahnen weiterleben. Daraus schloss ich messerscharf, dass auch aus mir in absehbarer Zeit eine oder mehrere Bohnen werden dürften. Endlich einmal etwas Brauchbares. Der geneigte Leser spürt sogleich: Bohnen haben auch etwas mit Humor zu tun – nicht umsonst nannte sich der britische Komiker „Mr. Bean“.
 
Das Menu
Besonders erfreuend sind die Bohnen, wenn sie  auf dem Teller auftreten. Das Menu im „Bären“, bei dessen Service auch Béatrice Arn-Pfister mithalf und kompetente Angaben mitlieferte, feierte seinen Auftakt mit verschiedenen marinierten Sprossen mit kalt gepresstem Rapsöl, Apfel-Essig aus dem Barrique, einer geringelten Randenscheibe, indischem Kichererbsensalat „Vasai“, einem Gelberbsen-Krokett und einer lachsfarbenen Shikand-Sauce, deren Zusammensetzung mir Pierre Arn verriet: Joghurt nature, Paprikapaste, frischer Koriander, frischer Ingwer, Peperocini und etwas Zitronensaft.
 
Der Suppengang bestand aus einer abgerundeten Gelb- und Grünerbsen-Crèmesuppe, zu der etwas saisongerechter Federkohl und Kunsper-Gnagi gehörten.
 
Dann folgten Bachsertaler Bioforellen (aus dem Betrieb von Heinz Glauser, im nahen Bachs ZH, Bezirk Dielsorf) in verschiedenen Zubereitungsvariationen auf dreierlei Linsen und eine Meerrettich-Sabayon. Der Hauptgang mit dem Eintopf sowie dem Geflügel und das Dessert wurden weiter oben erwähnt.
 
Durch seinen reichen Parfümgeschmack besonders beeindruckte der Sauvignon blanc von der Domaine Paradis in Satigny GE. Vom gleichen Produzenten stammte der Rotwein „Noir Divin“ aus Merlot- und Garanoir-Trauben mit seinem südlich-würzigen Atem. Wer einen noch korpulenteren Wein haben wollte, konnte sich am Quinta de la Rosa aus Portugal (Duoro, von Familie Bergquist) gütlich tun, der spürbar im Eichenfass verweilt war. 
 
Die Küchenmannschaft und das Servierpersonal stellten sich am Schluss den Gästen vor und wurden nach dem vortrefflichen Bohnanza mit volltönendem Applaus überschüttet. Mit Können, Liebe und Einsatzbereitschaft hatten sie eine höchst anerkennenswerte Leistung vollbracht. Es war ein festlicher Abend, der einen veranlasste, es wie der alte Mann zu halten, von dem Annafried Widmer im Märchenteil ihrer Präsentation erzählte: Der Mann war immer zufrieden und glücklich. Jeden Morgen nahm er eine Handvoll Bohnen in die linke Hosentasche. Und immer, wenn ihn tagsüber etwas freute, platzierte er eine Bohne in die rechte Tasche um. Jeden Abend schaute er die Bohnen aus der rechten Tasche an und erinnerte sich an das Erfreuliche, das ihm am ablaufenden Tag widerfahren war.
 
Ich legte nach dem Essen gleich 2 Bohnen in die rechte Tasche.
 
Mitgliederversammlung
Am Anfang des Abends war die garantiert bohnenfreie Mitglieder-Jahresversammlung des Conviviums (der Sektion) Aargau-Solothurn durchgeführt worden. Sie wurde zum letzten Mal von Giuseppe Domeniconi mit dem Fluidum des guten, gereiften Vaters geleitet; nach einem 10-jährigen Einsatz an der Vorstandsspitze trat er zusammen mit Ursula Hasler zurück, die den Mutterpart auf ihre fundierte, liebreizende Art spielte. Ein grosser Dank war ihnen gewiss. Mit Applaus erfolgte die Wahl von Mauro Catania zum neuen Präsidenten, eine genussfähige und kunstbegabte Persönlichkeit mit sizilianischen Wurzeln, voller Herzlichkeit im Umgang, wenn immer man ihm begegnet. Zudem trat Nelly Bernauer aus dem Vorstand zurück, eine sympathische Schafferin im Hintergrund.
 
Giuseppe Domeniconi informierte noch über die weitgehend abgebrochene Übung mit dem Slow-Food-Stand im Zürcher Viadukt; sie musste abgebrochen werden, weil die Frequenzen ungenügend waren. Einen stark reduzierten Auftritt hat Slow Food dort nur noch im Marktladen „Berg und Tal“.
 
Der Kassier, Erich Wintsch, brauchte sich nicht mit Milliardenbeträgen herumzuschlagen. Das Vermögen des Conviviums reduzierte sich 2011 um etwa 300 CHF auf rund 10 500 CHF, und die 5 Anlässe brachten einen Überschuss von total 140 CHF. Bei Slow Food geht es offensichtlich nicht um Abzockereien und Gewinnmaximierung, sondern um eine Wissensvermehrung rund um eine gesunde, vielseitige Ernährung und die Bewahrung der ökologischen und kulturellen Vielfalt. Doch auch hier kann man auf Genauigkeit ausgerichtete Erbsenzähler gut gebrauchen.
 
Hinweis
Ausserordentlich informativ ist der alljährlich erscheinende Katalog der biologischen Samengärtnerei C. und R. Zollinger in CH-1897 Les Evouettes (www.zollinger-samen.ch), wo Samen von traditionellen Kulturpflanzen bestellt werden können.
 
 
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