Textatelier
BLOG vom: 27.05.2012

Wozu Sphärenklänge und die Netzhautbilder gut sind

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Woher fliegen einem Gedankensplitter wie Flocken eines Wolkenbilds zu? Wir sind uns der Schätze des Unterbewussten kaum gewahr. Die Bruchstücke einer Melodie rumort uns in den Ohren; die Netzhaut spiegelt uns Bilder vor die Augen. Einerlei, ob angenehme Klänge oder lästiger Lärm in den Ohren nachhallen, einerlei auch, welche Bilder unsere Netzhaut aufschnappt, erlöschen die Laute, verblassen die Bilder und lösen sich im Nichts auf – sie verflüchtigen sich. Reize erreichen das innere Ohr oder das innere Auge von Aussen. Wiederholt oder erneuert sich der gleiche äussere Anreiz, kann es vorkommen, dass ein verblasstes Bild oder ein verklungenes Geräusch erweckt wird, als „déjà vu“ oder „déjà entendu“.
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Ich nenne die in meinen Ohren aufgefangenen musikalischen Nachklänge Sphärenklänge. Ich höre sie als abwechselnder und lang gezogener Akkord von ganzen und halben Noten, auf- und absteigend innerhalb der 5 Linien des Notenrasters vibrierend, wie von 4 Violinsaiten gleichzeitig mit dem Bogen „largo“ (langsam) hin und her gestrichen. Ich kann diese Klänge keinem Musikstück zuschreiben. Manchmal durchfluten sie meine Ohren, wenn ich im Auto fahre. Hat sie das Motorengebrumm ausgelöst? Sind sie die Nachwirkungen meiner einstigen Bogenübungen aus den Kreuzer- oder Mazas-Etüden? Ich weiss es nicht. Immerhin sind mir diese Klänge angenehm, im schroffen Gegensatz zum Pressluftbohrer, mit dem der Strassenbelag aufgerissen wird, wie eben jetzt auf der Parkside Durchfahrtsstrasse hier in Wimbledon. Sie bewirken für mich das Ohrensausen …
 
Erkennbare Melodien erklingen in manchem meiner Träume. Es sind solche, die ich mir mühsam auf der Geige angeeignet habe. In einem solchen Traum erschien ich einmal ohne Partitur auf der Bühne (mit Ausnahme von Passagen kann ich nicht auswendig spielen, ausgenommen eine Beethoven-Bagatelle). Was tun? Ich improvisierte und rettete mich so aus der Patsche.
 
Jetzt hat sich ein Störenfried, eine Wespe, hinter die innere Fensterfläche verirrt – von Aussen eingeflogen. Sie belegt damit meine theoretische Annahme, wie eingangs erwähnt. Ihr sei der brummende Einflug in mein inneres Ohr verwehrt! Rasch schubse ich das Fenster weit auf. Sie entkommt und ich auch.
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Traumbilder, die mir im Schlaf erscheinen, sind keine Schwarz-Weiss-Aufnahmen, sondern farbige. Darunter gibt es viele wiederkehrende Träume: Ich verlasse einen Provinzbahnhof und folge der Dorfstrasse zur Bus-Haltestelle. Das wäre ein Ansatz für eine Geschichte. Träume sind mir oft gute Ansätze für teils kuriose Geschichten, worunter etliche im Textatelier.com aufliegen.
 
Welche Bilder lassen sich auf der Netzhaut, von der inneren „camera obscura“, auffangen? Mein heutiger Selbstversuch scheitert. Vom Sonnenlicht durchflutet, hebt sich der Schattenriss eine Pappel scharf vor meinen Augen ab, wenn ich den Baum fixiere und nachher meine Augenlinsen schliesse. Daraus folgere ich, dass sich solche Netzhautaufnahmen nicht erzwingen lassen. Man muss von ihnen überrempelt werden, von einem unbewussten Anstoss ausgelöst.
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Wozu sind Sphärenklänge und Netzhautbilder da und gut? Sie regen zu Gedankenansätzen an, woraus – mit etwas Glück – ein Gedankenstrauss wird. Ableitbar schüren sie die Beobachtungsgabe, woraus neue Erkenntnisse entwachsen. Sie erwecken in uns verborgene Emotionen und Kräfte – und für mich besonders wichtig: Einfälle. Auch Erfindungen werden von ihnen ausgelöst.
 
Wie kann ich einen inneren Ohrenschmaus – etwa ein Wunschkonzert – auslösen? Man zupfe am linken Ohrenläppchen, bis die Musik erklingt. (Man muss dabei stundenlang zupfen, bis man rote Ohren bekommt.) Und will man die Musik ausschalten, zupfte man am rechten Ohrenläppchen …
 
Hinweis auf ein weiteres Blog über Nachklänge
19.05.2012: Musikrätsel: Die Melodie im Kopf oder der Wurm im Ohr?
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