Textatelier
BLOG vom: 16.06.2012

Sprachpanscherei: Ist Public Viewing nichts für Oldtimer?

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache Viersen/Niederrhein D
 
In diesen Tagen der Fussball-Europameisterschaft kann man manchmal in der Zeitung lesen, wie viele Menschen zum Public Viewing gekommen sind, um sich ein Spiel auf einem öffentlichen Platz auf einer Leinwand anzusehen. In English hat das Wort verschiedene Bedeutungen. So wird damit auch die öffentliche Aufbahrung einer Leiche bezeichnet, die dann von jedermann besichtigt werden kann. Vor ein paar Tagen war ein Bild vom aufgebahrten Lenin in der Zeitung zu sehen, das ist echtes „public viewing“. Inzwischen wird mit diesem Begriff aber auch in Ländern, in denen Englisch gesprochen wird, das öffentliche Schauen auf Grossbildschirme gemeint.
 
Unter einem „Oldtimer“ verstehen wir in Deutschland ein älteres Fahrzeug, also ein Automobil, ein Schiff oder Flugzeug. In englisch sprechenden Ländern ist ein Oldtimer ein erfahrener Mensch, ein „alter Hase“, eine ältere Person, die manchmal auch unmodern ist. Aus der Krankheit Alzheimer machen die Engländer manchmal als ein Wortspiel „Oldtimer". Also: Ein echter Oldtimer hält wahrscheinlich nichts von Public Viewing, auf jeden Fall nichts von seiner eigenen!
 
Was darf man bei Kontakten mit Englischsprechenden nicht wörtlich übernehmen? „Body Bag, Public Viewing, Oldtimer, Dressman, Handy, Talkmaster/Showmaster, Twen, ...“ Es gibt bestimmt noch viele andere. Ein „body bag“ (Leichensack) müsste richtig „shoulder bag“ heissen, ein Dressman „male model“, ein Showmaster „show host“, ein Pocket Book ein „paperback“, und den Begriff „Twen“ gibt es nicht, nur den „teenager“.
 
Wenn in Deutschland nach dem „Handy“ gerufen wird, glauben immer noch sehr viele, dass sei ein englisches Wort. Ist es auch, aber nicht in der Bedeutung eines Telefons, das man in die Tasche stecken kann. Im Englischen heisst es „cell phone“ oder „mobile“. Eine hübsche Erklärung, wo denn das „Handy“ herkommt, ist, dass es das Wort zuerst im Schwäbischen gegeben habe: „Hen di s kabel vergessa?“, „Han die koi Kabel?“, trifft aber auch nicht die heutige Bedeutung. Na ja, jedenfalls gehen die Deutschen schon sehr „handy“ mit dem „mobile phone“ um, nämlich in der englischen Bedeutung „praktisch“.
 
Wir müssen also zwischen der „kreativen Schöpfung“ von Begriffen, die sich zwar englisch anhören oder die englisch sind, aber in einer ganz anderen Bedeutung des Worts, wie sie in Deutschland gemeint ist und der Übernahme englischer Wörter, manchmal auch zusammengewürfelt mit deutschen und englischen Sätzen, unterscheiden. Die (Werbe-)Texter wollen damit aussagen, man sei fortschrittlich und modern.
 
Die Fussball-Europameisterschaft ist natürlich „ein bedeutendes Event“, und alle hoffen, dass aus den Spielen, welche die deutsche Mannschaft zu bestreiten hat, nicht „Eine Reihe von betrüblichen Ereignissen“ wird, also „A Series of Unfortunate Events“. Dies ist übrigens der englische und deutsche Titel einer Kinderbuchreihe des US-amerikanischen Schriftstellers Lemony Snicket, was deshalb interessant ist, weil sich der Begriff „Event“ in Deutschland und in der Schweiz bereits „eingebürgert“ hat. Aber „betrübliches Event“ hätte sich auch nicht verkaufsfördernd ausgewirkt. Der Duden bezeichnet „Event“ als „Jargon“-Wort; die erste Eintragung erfolgte bereits 1996.
 
Das schreibt der Vorsitzende des Verbands der deutschen Sprache (VDS), Walter Krämer: „Die freiwillige Selbstkolonisierung des Deutschen und der Deutschen beschreitet seltsame Wege. Dass man in Deutschland, anders als in den Nachbarländern, neue Dinge in Wirtschaft und Wissenschaft in aller Regel ungefragt und ohne Druck in der Sprache des kulturellen Kolonialherren USA benennt, ist inzwischen allgemein bekannt …“
 
Nicht nur das: Unternehmen in Deutschland betätigen sich als „Sprachpanscher“. Für 2012 steht die Wahl an, an der Spitze stehen die Karstadt AG und Pro7/Sat1 Media. Zu Karstadt wird ausgeführt: Die Marketingstrategie heisse „modern and full of life“ und sei umgesetzt in „Fashion“, „Living“, „Personality“ und „Sport“. Wegweiser in Karstadt-Filialen sind für Kunden ohne Englischkenntnisse kaum zu verstehen. Beim „Mid Season Sale“ und zur „Summertime!“ gibt es „Sport-Highlights“, „Kidswear“ und „Home-Style“.
 
Der Medienkonzern Pro7/Sat1-Media verdankt seine Kandidatur den Produktionen „Germany’s next Top-Model“, „red! Stars, Lifestyle & More“, „talk talk talk – Die Late Show“ oder „The Voice of Germany“.
 
Überraschenderweise macht auch die CSU-Frauenunion bei der Anglifizierung mit. Seit 2011 lädt die CSU-Frauenunion in bayerischen Städten unter dem Titel „Lounge in the City“ zur „Ladies After Work Party, powered by CSU“ ein. Das Motto ist „High Politics and High Heels“.
 
Manchmal hilft die Kritik ja, z. B. ist die Bundesbahn schon zurückgerudert, auch wenn sie dabei nicht konsequent genug ist.
 
Nicht nur ich sehe einen Grund für diese Entwicklung in der Globalisierung und im Einfluss der USA.
 
Ich habe nichts dagegen, wenn in die deutsche Sprache Wörter aufgenommen werden, die aus anderen Sprachen kommen, wenn diese die Sache kürzer und prägnanter ausdrücken als das deutsche Wort. So sehen das jedenfalls unsere Sprachschützer auch. Ebenso habe ich nichts dagegen, wenn Wörter aus anderen Sprachen die deutsche Sprache bereichern, wie z. B. Charme oder Engagement oder Fairness.
 
Zum Abschluss noch eine Strophe des Liedermachers Reinhard Mey, die 4. Strophe von „Poor old Germany“:
Weiss nicht, was soll es bedeuten",
Deine Worte sterben aus.
Sind nicht mehr
in" bei den Leuten,
Hier spricht alles wie die Mickymaus.
Lore Ley rettet alleine
Haarspraywerbung im TV,
Sorry for you, Henry Heine,
Sorry, poor old Germany.
Schade für uns, wie ich meine,
Sorry, dear old Germany.“
Ist Reinhard Mey nicht auch schon ein „Oldtimer“? So schwarz wie er in dem Lied sehe ich die Entwicklung der deutschen Sprache nicht, aber „beobachten und wachbleiben“ heisst die Devise!
 
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