BLOG vom: 23.06.2012
Arbeitsdruck: Eingeschränkte Freizeit der Teamworkers
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
Gegenläufige Tendenzen verstärken sich in der westlichen Welt: einerseits wachsende Arbeitslosigkeit, anderseits zunehmender Zwang der Beschäftigten, ihrem Arbeitstag mehr und mehr Überstunden anzuhängen.
Wie aus den TV-Frühnachrichten ersichtlich war, sind die Strassen schon ab 7 Uhr morgens zunehmend verstopft. Leute drängen und zwängen sich in die überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel wie Vorortszüge, Untergrundbahnen und Busse. Die Arbeitnehmer traben und hasten über die „London Bridge“ und werden von den Bürohochhäusern massenweise verschluckt und beginnen ihren Arbeitstag in den Grossraumbüros, dürftig mit Trennwänden abgeschrankt.
In diesen Arbeitszellen hat es gerade noch Platz für Familienfotos. Diese erinnern die Leute, warum sie in diesen Käfigen schuften, fortwährend von Telefonanrufen und Arbeitskollegen unterbrochen. Jedermann muss sich in ein Arbeitsteam einfügen. Er oder sie wird beurteilt, wie sie sich in ihrem Team verhält. Die Topfpflanzen, die da und dort an Ecken aufgestellt sind, haben es besser!
Der Siegeszug der IT (Informationstechnik) verhiess in ihren Anfängen, so erinnere ich mich, eine Freizeitgesellschaft. Daraus ist nichts geworden. Flexible Arbeitszeiten wurden versprochen. Auch daraus ist nichts geworden, denn die Arbeitszeit wurde sukzessive verlängert und reicht bis tief in den Feierabend und beschneidet mehr und mehr das Wochenende.
Beide meiner Söhne haben, gleich mir damals, eine Beraterkarriere eingeschlagen (in den Bereichen Telekommunikation und Marketing/Public Relations). Beide haben inzwischen Chefpositionen erreicht. Das aber vermindert keineswegs den auf ihnen lastenden Arbeitsdruck – ganz im Gegenteil; er hat er sich für beide wesentlich verstärkt.
Einer von ihnen, kaum war er nach einer Arbeitswoche aus Düsseldorf zurückgekommen, reiste soeben mit einem überfüllten Pflichtenheft nach Shanghai. Er muss dort eine Reihe von Vorträgen halten. Somit ist für ihn Shanghai keineswegs vergleichbar mit dem fiktiven, sagenumrankten Shangri-La.
Sie sehen herzlich wenig von den Städten, die sie aufsuchen – ausser von Konferenzräumen. Selbst die Abende sind beschlagnahmt. Das Abendessen wird mit Kollegen eingenommen oder mit Kunden geteilt. Nachher kehren sie in ihre Hotelzimmer zurück und geben ihren Vorträgen für den nächsten Tag den Feinschliff …
Dennoch gelingt es meinen Söhnen als teilweisen Ausgleich ihres Einsatzes, hin und wieder einen freien Abend zu sichern. Sie und einige ihrer Studienkollegen haben einen erfolgreichen Disc-Jockey-Klub, „Tempo Tandrum“, gegründet (im Google auffindbar). Ihre Auftritte als Disc Jockeys sorgen für ihren Ausgleich.
Vielen Leuten fehlt heute der Ausgleich, gleich welcher Art. Sie lassen sich von überbordenden Pflichten auslaugen und aussaugen. Und lässt ihre Spannkraft nach, werden sie ausgespannt und abgeschoben.
Natürlich gibt es gangbare Ausgleiche und Auswege. Als ich nach vielen durchaus angenehmen Arbeitsjahren unter wachsenden Druck geriet, gründete ich mein eigenes kleines Beratungsunternehmen, nachdem ich eine Nische in der vernachlässigten Branche „Kräuter und Gewürze“ entdeckt hatte, die sich bald auf die exotische Kost ausweitete. Das war mein Glück, um einen notwendigen Teil von Freizeit und Freiheit zurückzuerobern. Und heute habe ich viel Freizeit zum Schreiben – mein erstes und letztes Glück.
In vielen meiner Texte versuche ich, der Leserschaft subtile Winke zu geben, wie man auf mannigfaltigen Wegen sein Los in dieser gehetzten Welt etwas in die bestmögliche Richtung lenken kann. Hoffentlich gelingt mir das – wenigstens ab und zu.
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