Textatelier
BLOG vom: 22.06.2012

Kilos akzeptieren? Gewichtige Gründe fürs Zunehmen (2)

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Udo Pollmer schrieb in der Weltwoche Nr. 42 im Jahr 2005: Wir haben uns ins Essen verbissen. Die Phrase vom „Zu-viel-zu-fett-zu-süss-zu-salzig“ hat den Status eines Glaubensbekenntnisses erreicht; ein Bekenntnis, das bereits mehr Gläubige in seinen Bann zieht als die Wiederauferstehung Christi an Ostern. Kaum noch eine Krankheit, die nicht durch Kalorienzählen und Körner zu vermeiden gewesen wäre. Wessen Körperform vom Ideal des Zeitgeistes abweicht, wird mit missionarischem Eifer angehalten, durch Nahrungskarenz wieder ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft zu werden. Doch die Mühe ist meist vergebens. Je mehr Diäten, desto mehr Dicke, je mehr Dicke, desto mehr Angst vor der Esssünde, je mehr Angst, desto besser laufen die Geschäfte jener, die Abspeckkurse, Schlankheitspillen und das sonstige Sortiment der Ablasshändler anbieten (1).
 
 „Ach“, sagten die Mitarbeiter der WHO (2), „die Welt wird dicker mit jedem Tag. Zuerst war sie so unterernährt, dass wir Angst hatten, unzählige Menschen würden verhungern, dann waren wir glücklich, dass immer mehr bezahlbare Grundnahrungsmittel produziert wurden und die Menschen satt machten.“ Doch dann sahen sie, dass den Menschen das Sattsein nicht mehr genug war, weil es mehr Gründe gibt, Nahrung zu sich zu nehmen. Sie wandten Messmethoden an, wie den BMI (3), und sie kamen damit zum Ergebnis, dass die Menschen mehr essen als sie zum Überleben nötig haben. Da sagten die Mitarbeiter der WHO: „Menschen, wenn ihr so weitermacht, werdet ihr alle möglichen Krankheiten bekommen.“ – „Ihr müsst nur eure Lebensweise ändern,“ verkündeten alle die Anbieter von Diätmitteln, denn „Diät“ kommt vom griechischen „Lebensführung/Lebensweise“, und wenn ihr eine Diät macht, bekommt ihr das Problem in den Griff. ‒ Und insgeheim lachen sie sich ins Fäustchen, denn das ist das Geschäft ihres Lebens (4).
 
Damit kommen wir zu den Gründen, warum Menschen übergewichtig werden:
 
1. Sich überessen: Zu viel essen kann wirklich ein plausibler Grund für Übergewicht sein. Der  Grund, dass man gerne isst, ist nicht allein: Zu viel essen kann im Gefühl der Langeweile, Einsamkeit, Angst, Unsicherheit und Depression begründet sein. Und weil Essen ein gutes Gefühl gibt, ist es natürlich, dass man isst, um es zu erreichen.
 
2. Mittel gegen Antidepression und andere Medizin: Eine verordnete Medizin ist ein anderer möglicher Grund für Übergewicht. Zum Beispiel: Eine Person erkennt letztendlich, dass sie depressiv ist, und sie geht zum Arzt. Er verschreibt Antidepressiva. Nach einiger Zeit stellt diese Person fest, dass ihre Kleidung nicht mehr passt. Diese Mittel haben als Nebeneffekt eine Gewichtszunahme, wie auch Beta-Blocker, die Antibabypille, Corticoide gegen Asthma, Ekzeme, usw.
 
3. Nicht ausreichender Schlaf: Zu wenig Schlaf stört den natürlichen Biorhythmus des Körpers und beeinflusst die Hormone, die den Hunger kontrollieren. Untersuchungen haben ergeben, dass das mit ein Grund ist, wenn Kinder abends zu lange fernsehen und dann zu wenig und nicht tief schlafen.
 
4. Zu schnell essen: Zu schnelles Essen und Herunterschlucken kann auch ein möglicher Grund für Übergewicht sein. Horace Fletcher (1849‒1919) erfand den Begriff „Fletchern“. Richtiges Kauen und Trinken in kleinen Schlucken vermischt die Nahrung besser mit Speichel, hilft bei der Verdauung und erzeugt mehr Sättigkeitskeitsgefühle, wodurch weniger gegessen wird.
 
5. Übergewicht als psychologisches Abwehrverhalten: Übergewicht kann ein psychischer Schutz bei Personen bedeuten, die als Kind sexuell missbraucht worden sind. Unbewusst wird damit eine Barriere gegen Übergriffe suggeriert, die als Schutzschild wirkt.
 
6. Genetische Ursachen: Es kann natürlich auch in der Familie liegen, ob jemand zu dick wird. Das kann eine legitime Entschuldigung sein. Besonders der sogenannte Fettgürtel am Bauch kann, so weisen Untersuchungen aus, von mindestens einem Elternteil vererbt worden sein (5).
 
7. Unterschiedliche Wärmebildung (Thermogenese): Es gibt Übergewichtige, die nicht anders und mehr essen als Schlanke, aber auch Schlanke, die Berge essen, ohne zuzunehmen. Diese Übergewichtigen, auch „gute Futterverwerter“ oder „kalte Dicke“ genannt, haben einen sparsameren Stoffwechsel und senken die Hauttemperatur bei Wärme schneller ab. Sie verlieren nur wenig Energie über die Haut und speichern diese lieber in Fettdepots. Die Schlanken, auch „schlechte Futterverwerter“ oder „heisse Dünne“ genannt, geben reichlich Energie ungenutzt in Form von Wärme über die Haut ab. Sind diese Menschen dennoch übergewichtig, können sie wesentlich leichter abnehmen als gute Futterverwerter (6).
 
8. Sündenbock Lebensmittelindustrie: Manche Menschen machen die Lebensmittelindustrie dafür verantwortlich, dass unsere tägliche Nahrung immer mehr chemische und andere Zusatzstoffe enthält, die der Körper nicht mehr verdauen kann, weil er in seiner evolutionären Entwicklung nicht dafür angepasst ist. Neben den sogenannten E-Stoffen enthalten die Lebensmittel zu viele dick machende Stoffe wie Zucker und Zuckerersatz, Fette u. a. Viele Menschen essen Fastfood, das Untersuchungen zufolge dick macht, oft zu schnell und gedankenlos. Ebenso wird täglicher Fleischgenuss als schädlich angesehen, besonders, wenn das Fleisch aus industrieller Fertigung kommt.
 
9. Zu wenig Bewegung: Nicht zu vergessen ist auch ein Grund für Übergewicht, dass viele Menschen sich zu wenig bewegen und keinen Sport treiben. Durch zu viel Sitzen wird der Körper träge und fördert die Gewichtszunahme.
 
Aus dieser Liste können sich Erkenntnisse ergeben, wonach ein persönlicher Einsatz doch erfolgversprechend sein könnte, also mehr Bewegung, langsameres Essen und mehr Kauen, ausreichender Schlaf und weniger essen. Bevor die Pharmazie das Thema „Schlankheit“ entdeckt hat, gab es vor allem eine Empfehlung: „FdH“, also „Friss die Hälfte“. Das scheint früher wirklich gefruchtet zu haben. Jedenfalls ist das billiger als jede Diät, die auch noch den sogenannten „Jo-Jo-Effekt“ haben kann, das bedeutet, dass nach der Gewichtsreduktion gleich wieder zugenommen wird.
 
Man kann natürlich auch beobachten, ob der Wunsch, abzunehmen, mit der damit verbundenen Änderung der Lebensqualität in Konflikt gerät und sich dafür entscheiden, zu seinem Gewicht zu stehen. Mein Eindruck ist es, dass viele das Selbstbewusstsein dafür an den Tag legen! Vielleicht denken sie dann an den Schlusssatz der Fabel bei Franz Kafka und das Schicksal der Maus: „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze zur Maus und frass sie.
 
Quellen und Erläuterungen
(2) WHO = World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation).
(3) BMI = Body Mass Index.
(4) Nach Franz Kafka: „Kleine Fabel“, vom Blog-Autor verändert.
(5) Publiziert bei Kassidy Emmerson yahoo! voices, 19.04.2007.
 
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