Textatelier
BLOG vom: 29.06.2012

Bischofszeller Rosentage: Gewachsenes und Hingestelltes

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Der Besuch des oberthurgauischen Städtchens Bischofszell ist eine Hinwendung an die Vergangenheit, wie wir sie uns aufgrund von alten Bildern und Schriften vorstellen. Bestaunt man das Bijou des Orts, das prachtvolle Rathaus an der Marktgasse, fühlt man sich in die verspielte Rokoko-Zeit zurückversetzt, die aus dem Spätbarock herauswuchs.
 
Das Rathaus gehört zu den schönsten der Schweiz, was seine äusseren und inneren Werte anbelangt. Unmöglich, an ihm vorbeizugehen, ohne sich von der Beschwingtheit des Zierrats vor der klaren, geradezu klassischen Hauptfassade bezaubern zu lassen. Diese filigran ausgeschmückte, einzigartige Architekturschöpfung wurde nach Plänen des Italieners Johann Gaspare (Kaspar) Bagnato nach dem Brand von 1743, der den Vorgängerbau zerstört hatte, in den Jahren 1747‒50 erbaut. Im etwas erhöhten Parterre, das über eine zweiläufige Aussentreppe mit einem meisterhaft geschmiedeten Geländer von Isaak Lauchenauer zu erreichen ist, und im 1. Geschoss sind Ziergitter angebracht, die dem würfelförmigen, dreigeschossigen Bauwerk mit dem Mansardwalmdach das Fluidum der Leichtigkeit des Seins anhauchen. Der Fensterkorb und das Gitter vor dem federleicht wirkenden Balkon in der 1. Etage von Benjamin Wehrli sind weitere Meisterstücke der Handwerkskunst. Ins Holzportal wurde von Franz Josef Ott eine Scheinperspektive geschnitzt, und die Türklinken haben das Aussehen von Meerjungfrauen, die wahrscheinlich vom „Schwäbischen Meer“ (Bodensee) hierher ins Trockene geflüchtet sind.
 
Bischofszell ist eine Ansammlung von wertvoller historischer Bausubstanz, wozu auch prächtige Riegelbauten wie das besonders charaktervolle Restaurant „Muggensturm“ gehören. Sie bringen etwas Ländliches ins Städtchen. Solchen Fachwerkhäusern begegnet man übrigens in den umliegenden Dörfern des Bezirks Bischofszell in Fülle. Das heutige Stadtbild, im 18. Jahrhundert nach Plänen des unglaublich produktiven Teufener Baumeister-Talents Hans Ulrich Grubenmann entstanden, wirkt geschlossen, verträumt und befindet sich abseits grosser, beunruhigender Durchgangsrouten. Das Innere der Häuser zeichnet sich durch weite Hausdielen (Grubenmann war ja auch ein meisterhafter Brückenbauer) und Küchen aus, die wohl 5 bis 6 Mal so gross wie die heutigen Küchen sind, in den Vorfabriziertes aufgewärmt wird (auch solches aus der Konservenfabrik im Ort, d. h. aus der modernen Bischofszell Nahrungsmittel AG). In den Häusern der Wohlhabenden gibt es gross dimensionierte Wohn- und Schlafstuben, auch Festsäle.
 
Der Ortsname Bischofszell wird durch das Schloss, das die Jahrzahl 1424 trägt, gerechtfertigt – hier residierte der bischöfliche Vogt. Die Entstehung des Orts wird auf das ehemalige Chorherrenstift St. Pelagius zurückgeführt; vermutlich ist es eine Gründung des Konstanzer Bischofs Salomo I. (838‒871). Es brannte mehrmals nieder, wie das früher sozusagen der Normalfall war. Dem heiliggesprochenen Pelagius aus Ungarn, der sich weigerte, dem christlichen Glauben abzuschwören und enthauptet wurde, ist auch die Stiftskirche gewidmet, eine dreischiffige Pfeilerbasilika. Brutalitäten bis hin zu Kriegen haben die Menschen schon immer fasziniert, nicht erst seit dem Aufkommen der boulevardisierten Medien; wichtig ist einfach, dass man persönlich unbehelligt bleibt.
 
Das Städtchen Bischofszell liegt in erhöhter Position in der Nähe der Einmündung der mäandrierenden Sitter in die Thur. Unterhalb des alten Ortskerns gibt es Fabriken wie den erwähnten Lebensmittelbetrieb und moderne Wohnbauten.
 
Im Zeichen der Rose
Bischofszell kann nicht mit einer A4-Seite aus verbalen Pinselstrichen nachgezeichnet werden; man kann es nur punktuell andeuten. Und noch schwieriger wird dies, wenn es seine Hochblüte als Rosenstadt mit der Rosen- und Kulturwoche feiert, wie sie am 23.06.2012 zum 11. Mal begann. Die Innenstadt wird bei dieser Gelegenheit von einem Rosenmeer überflutet. Zur Rosenwoche (www.bischofszellerrosenwoche.ch) gehören zahlreiche Veranstaltungen mit Musik, Gesang, Lesungen, auch kulinarische Rosenspezialitäten wie Rosenwürste, Rosenpizza, Rosenglacé und Rosentee. Das Programm ist üppig.
 
Die Eröffnungsfeier fand in der Stadtgraben-artigen Vertiefung beim Rosengarten Känzeli ab 10 Uhr statt, und ich konnte das Geschehen vom Rosengarten beim Schloss aus gut überblicken. Die Stadtmusik Bischofszell leitete das Gesamtkunstwerk Rosenwoche rassig ein; eine gelenkige junge Dame, die ebenso gut eine Kunstturnerin sein könnte, schwang den Dirigentenstab, sorgte für Tempo, bis dann das zart schmelzende Thurgauerlied („Oh Thurgau Du Heimat, wie bist du so schön, wie bist du so schön!! Dir schmücket der Sommer die Täler und Höh'n!“) eine getragenere, besinnlichere Tonabfolge erzwang.
 
Die adrette und dabei bescheiden wirkende Rosenkönigin aus dem Rosendorf Steinfurth D (Stadtteil von Bad Nauheim), Henrike Duda, war da, und auch Stadtrat Gerhard Hahn und weitere Delegierte aus dem Nachbarland überwachten die Einweihung der „Rosen an der Stadtmauer“, die sie aus Steinfurth mitgebracht hatten. „Mit Rosenaugen versteht man sich auf Anhieb“ wurde in einer Ansprache gesagt. Der Bischofszeller Stadtammann Josef Mattle sprach in wohlgesetzten Worten ins Mikrofon und war dann ein treuer Begleiter der Rosenkönigin bei einer Besichtigungstour durch das Städtchen. Die Rose als Symbol von Liebe, Freundschaft und Freude, die seit Jahrhunderten auch in der Weltliteratur ihren Platz erobert hat, eignet sich sehr gut als Objekt der Verbindung von Menschen, Städten und Völkern.
 
Markt im Zeichen der Rose
Es war wohl nicht anders zu machen: Die Ausschmückung der Innenstadt glich eigentlich einem einzigen grossen Rosenjahrmarkt. Gewerbebetriebe aus der Rosenbranche präsentierten ihr Angebot, aber auch Keramiker, Maler, Metall-Skulpteure, Stein-Bildhauer zeigten ihr Angebot, und vereinigte Rosenfreunde belegten ihre Begeisterung für die viel besungene Königin der Blumen. Nostalgische Ausstellungsstücke trugen zur Rosenromantik bei – bis hin zum „Röseligarten“, zum Rosenklanggarten, zu Brunnen, die von Rosen umrankt waren und im Sonnelicht die Pflanzenschönheiten spiegelten. Als besonders eindrücklich empfand ich die Rosenbilder-Ausstellung unter dem Motto „In voller Blüte“ des Ostschweizer Künstlers Alois („Wiesy“) Imhof im Rathaus. In Pastelltönen exakt wiedergegebene, poesievolle Rosenblüten (auch Seerosen), Vorlagen für die Meditation, schmückten das Treppenhaus und benachbarte Räume.
 
Alles war sehr liebevoll und aufwendig gemacht. Aber wenn die Rosen an einem Ort nicht wachsen, sondern einfach in einem Container für befristete Zeit hingestellt sind, entwickelt sich unwillkürlich eine Art von Parkplatzgefühl, ein Abstellplatz. Dieses Abstellgelände, so grandios es als Kulisse auch sein mag, lässt das Gefühl der Einheit nicht aufkommen; die Pflanzen sind nicht mit der Umgebung verbunden, stehen einfach da. Und eine durchkomponierte Gestaltung fehlt, weil jeder Aussteller das ihm zugeteilte Revier individuell nach Lust und Laune ausfüllt.
 
Solche Eindrücke kann man leicht überwinden, wenn man sich den Details zuwendet, den einzelnen Rosen, den Farben der traubigen bis rispigen Blütenstände, den Formen, der Rhodologie insgesamt – der Wissenschaft der Rosen. Genauso, wie unablässig versucht wird, die Rosen durch züchterische Anstrengungen noch weiter veredelnd zu verschönern, versucht auch dieses Bischofszell sein gewachsenes Ortsbild sozusagen noch zu toppen, zu überbieten. Man kann an Schönheiten gar nicht genug bekommen, weitet sie auf die gesamte Umgebung aus, gemäss 3. Strophe des Thurgauerlieds, der volksverbindenen kantonalen Hymne: O Heimat, wie blüht dir im sonnigen Glanz, im sonnigen Glanz, von Dörfern und Feldern ein herrlicher Kranz.“
 
Der terminliche Zufall wollte es, dass ich tags darauf eine bescheidene Rosenfreundin in Domat-Ems GR besuchte, eine Schwägerin, die sich eben anschickte, ihren 80. Geburtstag zu feiern. Ihr Rosengarten ist vor ihrem kleinen Einfamilienhaus gewachsen, fest verankert, liebevoll gepflegt. Er steigt auf einer aufgeschütteten Rampe sanft an. Die Rosenbäumchen, welche die niedrigere Pflanzenanmut oben überragen, sind das Resultat eines jahrelangen Gestaltungswillens und -geschicks.
 
Auch Bescheidenheit ist eine Zier und kann ebenso wie die Überfülle beeindrucken.
 
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