Textatelier
BLOG vom: 21.08.2012

Insel Fehmarn in der Ostsee: Natur, Kultur und Technik

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Wenn man von Süden nach Norden schaut, beginnt die Bundesautobahn A1 in der Eifel; ein Verbindungsstück, das nach Rheinland-Pfalz und ins Saarland führt, ist noch im Bau. Also zielt die erste Abfahrt der Autobahn auf den Ort Blankenheim.
 
Die Autobahn hat verschiedene Namen, nämlich Eifelautobahn, Hansalinie und Vogelfluglinie. Sie führt über Köln durch das Ruhrgebiet nach Münster, von dort nach Bremen, weiter bis Hamburg, an Lübeck vorbei bis nach Fehmarn, ist 628 km lang. Ich fahre öfters ein grosses Stück dieses Wegs vom Ruhrgebiet bis in den Lübecker Raum. Heute sind wir weiter gefahren: Das Ziel auf den Schildern zeigte Puttgarden an. Puttgarden ist ein Hafen auf Fehmarn. Von dort kommt man per Fähre nach Dänemark.
 
Richtig: Fehmarn ist eine deutsche Insel. In jüngster Geschichte, nämlich bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, war Fehmarn die grösste bundesrepublikanische Insel. Jetzt ist die grösste Insel Deutschlands Rügen. Fehmarn liegt vor der Halbinsel Wagrien an der Lübecker Bucht als Teil der Ostsee, und sie ist mit dem Festland über die Fehmarnsund-Brücke als Teil der Vogelfluglinie verbunden. Zurzeit ist eine weitere feste Fehmarn-Beltquerung in Planung, so dass das Brücken- und Tunnelnetz auf dem Weg von Mitteleuropa nach Skandinavien komplettiert wäre. Der Fehmarnsund, also das Stück vom Festland bis zu Insel, ist nur 1300 m breit, also nicht der Rede wert. Dänemark ist nicht weit, dort heisst die Insel Femern. Inzwischen hat ganz Fehmarn den Status einer Stadt; alle Dörfer sind eingemeindet.
 
Wie ganz Schleswig-Holstein, so heisst das nördlichste Bundesland, hat auch die dazu gehörende Insel Fehmarn eine interessante Geschichte. Erst vor 4300 Jahren wurde die Insel vom Festland abgetrennt. Die Slawen waren auf der Insel. Bei der Ostkolonialisierung im 12. und 13. Jahrhundert kamen neue Siedler ins Land, aus Niedersachsen, Friesland und anderen Gegenden. Zwischen 1713 und 1864 gehörte die Insel den Dänen, danach den Preussen. Besonders an 2 Katastrophen wird heute noch erinnert, an die Sturmflut 1872, die ein Drittel der Insel heimsuchte und an den Untergang des Segelschulschiffes Niobe (1932).
 
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) unterhält ein Wasservogelreservat in Wallnau auf Fehmarn. Der Besuch ist lohnenswert. Nach allgemeinen Informationen über den Vogelflug mit den langen Winterreisen, die „magnetgesteuert“ sind, kann man einen Rundweg machen. Auf dem Rundweg gibt es Holzbauten mit Fensterschlitzen, sogenannte Beobachtungsverstecke, die auf Seen hinaus zeigen. Von dort aus kann man verschiedene Vögel beobachten und fotografieren. Auf einem kleinen Aussichtsturm standen, als wir das oberste Stockwerk erreicht haben, 2 Vogelbeobachter mit einem starken Fernglas und einer Kamera mit einem riesigen Objektiv. Die zu beobachtenden Vögel sind nämlich so weit weg, dass man mit blossem Auge nur etwas grössere schwarze Punkte entdecken kann. Genannt werden Kampfläufer, Austernfischer und Säbelschnäbler. Die Männer waren wortkarg, kommt es doch darauf an, sich möglichst geräuschlos den Tieren zu nähern. Das ist auch erforderlich, will ich einen der zahlreichen Frösche in den Tümpeln ringsherum, die mit Schlingpflanzen und Seerosen bewachsen sind, fotografieren, wenn er einen Hopser aus dem Wasser macht. Er ist sind so schnell, dass mir das nicht gelingt, nur eine Aufnahme, bei dem der Kopf des Frosches gerade über der Wasseroberfläche herausschaut und der Körper genau darunter.
 
Die kleine Stadt Burg ist die Hauptstadt der Insel. Das Ernst Ludwig Kirchner Dokumentationszentrum, beheimatet in der Stadtbibliothek, war leider geschlossen. Der Maler des Expressionismus hat ab 1908 einige Sommer lang hier gearbeitet. Ebenso interessant ist die Kirche St. Nikolai. Diese gotische Backsteinkirche wurde zwischen 1230 und 1250 erbaut und steht unter dem Patronat des heiliggesprochenen Nikolaus, dem Schutzherrn der Seefahrer und Getreidehändler. Interessant finde ich, dass der Eigentümer, die evangelisch-lutherische Kirche, scheinbar keine Probleme damit hat, dass diese Kirche, wie auch andere hier in Schleswig-Holstein, einen Heiligen als Patron hat, lehnte Luther doch die Heilgenverehrung ab. Sie haben aber einen anderen Status als bei den Katholiken. „Der Heilige im Sinn der Reformation ist in erster Linie Zeuge für Gottes gnädige, freimachende Gegenwart“, so Hans Martin Barth, evangelischer Theologe. (Was immer man darunter zu verstehen hat!)
 
Als wir in die Kirche kamen, übten ein Organist und ein Violonist gerade für das am Abend stattfindende Konzert. Die Akustik in der Kirche war gut, nur die Ausführung erbrachte noch ein paar schräge Töne. Sehenswert ist der dreiflügelige spätgotische St. Blasius-Altar. Wie in vielen Kirchen, hat man auch hier im späten 18. Jahrhundert Wandmalereien weiss überstrichen, Seitenaltäre entfernt oder durch Kirchenbänke verdeckt. Deshalb kann man sich nur so ungefähr vorstellen, wie die Kirche im Original ausgesehen haben muss.
 
Es gibt noch weitere touristische Aktivitäten in Burg, vor allem für Kinder, die physikalische Experimente und anderes machen können. Nicht nur für Kinder ist es im kleinen Hafen der Stadt möglich, ein U-Boot zu besichtigen. Dieses U-Boot wurde von 1966 bis 1968 in den Howaldtswerken in Kiel gebaut und gehörte bis 1998 dem 1. U-Bootgeschwader an. Zur Zeit des Kalten Kriegs war das Boot bis Mitte der 1980er-Jahre als reines Küstenunterseeboot zum Schutz von Seeverbindungswegen und für die Abwehr von Angriffen gegen die Küsten des eigenen Territoriums eingesetzt. Von 1987 bis 1988 wurde es zu einem Zweihüllenboot umgebaut, d. h. es bekam im Bereich des Druckkörpers eine zweite Hülle, die es bei eventuellen Torpedotreffern schützen sollte. Nach diesem Umbau war es der deutschen Marine möglich, U-11 auf nationalen und internationalen Manövern als Übungsziel einzusetzen. Das U-Boot war damit das einzige Unterwasserzielboot für U-Boote, Überwasserschiffe und Flugzeuge innerhalb der NATO. Während der gesamten 35 Jahre legte U-11 in 2140 Seetagen rund 177 900 Seemeilen zurück. Nach einer kurzen Einführung im U-Boot-Museum klettert man vor über eine Stahltreppe in das Boot. Es war mit 8 Torpedoöffnungen ausgestattet; die Torpedos konnten ihr Ziel „selbstständig“ finden. Kampfschwimmer konnten durch eine dieser Öffnungen das U-Boot auch verlassen. Trotz meiner 1,88 m Körperlänge war es mir möglich, meistens ohne mich zu bücken, durch das Boot gehen. Jede noch so kleinste Ecke ist ausgefüllt mit technischen Apparaturen, alles ist sehr beengt, die Schlafkojen der Mannschaft (24 Männer) klein. In voller Fahrt werden die Maschinen einen Höllenlärm gemacht haben. Wenn so ein Übungstorpedo das Boot getroffen hatte, musste es ziemlich geschwankt haben. Das Boot verfügte sogar über ein Rettungsfloss.
 
Auf so einem U-Boot zu dienen ist jedenfalls nichts für Klaustrophobiker, Lärmempfindliche und Individualisten.
 
Es gibt eine Reihe von Gegnern gegen das Projekt, eine 20 km lange Brücke über den Fehmarnbelt bis nach Dänemark zu bauen. Sie fürchten um die Zugvögel, die die Brücke kreuzen müssen. Die 4 Pylone, die sie tragen, sollen über 240 m hoch über die Meeresoberfläche hinausragen. (Zum Vergleich: der Messeturm in Frankfurt ist 257 m hoch!) Unsere Nachbarn bezahlen das teure Objekt selber; Deutschland muss nur für gute Anfahrtswege sorgen. So wie es momentan aussieht, haben die Gegner keine Chance, das Projekt zu stoppen. Und so wird man in einigen Jahren von Dänemark auf der A1 bis nach Frankreich und weiter bis nach Paris fahren können.
 
Internet
http://www.fehmarn.de/
 
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