Textatelier
BLOG vom: 30.08.2012

Sesam-Öffnung: Wiederbelebung des Schlosses Wildenstein

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
In der Umgebung von Biberstein AG wimmelt es von Schlössern. Im Vordergrund steht für mich das Schloss Biberstein, das als Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsstätte für behinderte Menschen dient. Im benachbarten Aarau gibt es das „Schlössli“, das den Diminutiv durch eine Erweiterung überwinden und in seinen reiferen Jahren zum Schloss werden möchte; darin ist das Stadtmuseum untergebracht. Dann ist auf die bekannten, noblen Schlösser Wildegg und Lenzburg hinzuweisen, die als historische Erlebnisorte museale und gesellschaftliche Aufgaben erfüllen. Gleich in der Nachbarschaft sind das Schloss Auenstein und in kurzer Distanz, etwas weiter aareabwärts, das Schloss Wildenstein anzutreffen. Diese beiden sind heute in Privatbesitz und somit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, sozusagen hinter Schloss und Riegel.
 
Ungestüme Wildenstein-Geschichte
Das Schloss Wildenstein, beim Ausgang des Schenkenbergertals ins Aaretal und gegenüber dem Schloss Wildegg angesiedelt, ist das geheimnisvollste von allen. Es ist eine in sich geschlossene (und wohl auch abgeschlossene) Anlage in der Form eines unregelmässigen Vierecks, wie es die Geländeform diktierte, das durch eine Ringmauer umschlossen ist.
 
Wer immer auf der Strasse von Auenstein nach Veltheim (das Schloss gehört zu dieser Gemeinde) unter dem Jurasporn, auf dem es steht, vorbei kommt, kann nicht erahnen, wie gross diese wohl im 13. Jahrhundert entstandene Anlage ist. Von der Strasse aus sieht man neben einem Turm nur gerade die südöstliche Gebäudegruppe, worin die Wohnräume untergebracht sind. Das opulente Bauwerk geht wahrscheinlich auf die Herren von Rinach, ein Dienstherrengeschlecht der mächtigen Habsburger, zurück. Um 1415 kam das Schloss in bernischen Besitz und wurde 1465 vom Luzerner Schultheissen und Schlösserspekulanten Heinrich Hasfurter erworben. Er liess die burgähnliche Anlage weiter ausbauen. Die Schlossgeschichte war auch in der nachfolgenden Zeit wegen der häufigen Besitzerwechsel äusserst lebhaft; sie ist im Buch „Die Kunstdenkmäler der Schweiz“, Band Kanton Aargau II, 1953, auf den Seiten 439 ff. nachgezeichnet.
 
Die jüngere Geschichte wurde von den Effingern geschrieben, die 1850 das vernachlässigte Schloss und den Garten wieder instand stellten. 1928 bis 1972 wurde daraus ein von Diakonissinnen betriebenes Altersheim. Die Küche und ein angrenzender Vorratsraum mit vielen grossen Einmachgläsern, deren Bügel etwas oxidiert sind, sehen noch wie damals aus. Eine Ovomaltinebüchse („4.30 FRS“, 500 g), weisse Bohnen, Leinsamen, Tequila aus Mexiko, grüner Pfeffer und angeätzte Kochsalzpackungen sind im Küchenschrank erhalten geblieben – ein gefundenes Fressen für Archäologen ist das alles jedoch nicht. Das Buch „La tricheuse“ (Die Betrügerin) liegt ebenfalls herum. Auf dem grossen „Maxim“-Elektrokochherd steht noch das ganze Pfannensortiment.
 
Später kam das Schloss in den Besitz von Max Gautschi (bzw. der Gautschi-Tron-Stiftung Schloss Wildenstein). Es gab einige Veränderungen (so wurden 2003 Kunststofffenster eingebaut), die Denkmalschützer erschaudern lassen, immerhin aber auch Zeitzeichen sind, und natürlich wieder ersetzt werden sollen. Auch ein Dachstuhl von 1445 wurde formlich verändert; dessen Zurückführung in den vorangegangenen Zustand ist nicht vorgesehen.
 
Der Retter: Samuel Wehrli
Das neueste Schlosskapitel schreibt jetzt der Unternehmer Samuel Wehrli aus Suhr AG, Eigentümer der Dobi-Inter AG (wozu die Beauty-Fachmärkte in Zürich-Altstetten und in Etoy gehören). Er hat das Schloss Mitte September 2010 für 2,575 Mio. CHF über eine Immobilienfirma ersteigern lassen. Die Anlage mit den 63 Zimmern bzw. Räumen, die ihren Vorzeigecharakter noch nicht erreicht hat, soll demnächst für 6 bis 8 Mio. CHF renoviert werden. Die Arbeiten sind bereits angelaufen. Die grosse Natursteinmauer beim Eingangsbereich ist stabilisiert. Der Eingang ist der vermutlich von Hans Ulrich Spillmann, Villnachern, nach 1762 erstellten Scheune mit den 3 Treppengiebeln zugewandt. Die baufällige, altersmüde Mauer hätte den nächsten Winter wohl kaum überstanden. Auch einige Gartenmauern sind bereits wieder in Ordnung gebracht. Das Ganze wird planerisch zu einer Schlosszone zusammengefasst werden, in der Gesetze gelten, die vom Mittelalter mitbestimmt sind.
 
Samuel Wehrli (69), hinter dem man eher einen Kranzschwinger denn ein Kosmetik-Unternehmer vermuten würde, und seine nette, ebenso gastfreundliche Frau Hannelore empfingen am Sonntag, 26.08.2012, uns Mitglieder der Bürgerlichen Vereinigung Biberstein (BVB) im stimmungsvollen, gepflästerten Schlosshof mit dem sechseckigen Brunnen von 1627. Durch persönliche Beziehungen war es sozusagen möglich geworden, das Losungswort „Sesam öffne dich“ wie im Märchen über Ali Baba wirkungsvoll einzusetzen, und wir, die 35 Besucher, kamen uns wie Ali Babas 40 Räuber vor, die in eine geheime Felsenzone eindringen konnten und dort einen Schatz vorfanden.
 
Der neue Schlossherr erzählte locker über die Geschichte, die Gegenwart und Zukunft des Schlosses. Er strotzt vor berechtigter Zuversicht; denn die Mauern sind noch heute überraschend gut zuwege. Die Dächer wurden dicht gemacht und sind in einem sehr passablen Zustand. Einige Sorgen bereitet ein aggressiver Holzpilz.
 
Das Berner Wappen soll nicht ersetzt werden, zumal das Schloss ja, wie erwähnt, um 1415 in bernischen Besitz kam. Es hatte diesen und einen früheren Berner Feldzug (1389) schadlos überstanden. Nicht mehr zu retten ist die einstige zweistöckige Kapelle, von der praktisch nichts mehr vorhanden ist. Dafür sind die Kachelöfen in den Wohngemächern noch in einem brauchbaren Zustand; ihr Innenleben soll durch den Einbau moderner Einsätze aufgewertet werden, damit sie ihre Funktion bei grösserem Wirkungsgrad erfüllen können, ohne ihre äussere Schönheit einzubüssen. Samuel Wehrli und seine Frau wissen ja schliesslich, wie man zur Schönheit Sorge tragen kann.
 
Das Besitzerehepaar Wehrli will im Oktober 2013 ins Schloss einziehen, es als Wohnhaus zu eigenen Zwecken wiederbeleben. Eine Barockmöbelsammlung, die nur noch einen standesgemässen Rahmen braucht, ist vorhanden. Auch anderweitig soll dem Schloss neues Leben eingehaucht werden. Der Schlosshof wird umgebaut werden, so dass er für Veranstaltungen besser taugt. Einen Teil der Anlage wird der Schweizerische Maler- und Gipsermeisterverband belegen und seine Zinnsammlung mitbringen. Auch eine Studentenverbindung wird hier Unterschlupf finden. Ein Restaurant ist ebenfalls vorgesehen. Einer der Türme soll zu einem Aussichtsturm werden. Das Schloss wird dadurch der Öffentlichkeit allmählich grossenteils zugänglich, und darüber freut sich jedermann, ein Gewinn für den Kulturkanton Aargau.
 
Wir hatten Gelegenheit, den Südwestturm, welcher der Sicherung des rückwärtigen Burgplateaus diente, zu besteigen. Er befindet sich zwischen dem Riegelbauwerk auf barocken Holzsäulen an und der gezinnten Ringmauer auf der Südseite. Der Turm selber ist bis weit hinauf mit Efeu bewachsen.
 
Im Turminneren gibt es eine verschobene Abfolge von steilen Holztreppen, von denen die eine oder andere Stufe fehlt. Es ist darin stellenweise etwas dunkel, staubig, im Urzustand. In der 2. Hälfte des 18. Jahrhundert hat der Turm ein Walmdach über dem Zinnenkranz erhalten. Und die Mauern gleich darunter sind u. a. mit Schlüsselscharten durchbrochen; aus den Fensternischen sind die Holzrahmen vom Zahn der Zeit herausgenagt worden.
 
Nach dem geglückten Abstieg wurden uns Getränke, auch erfrischender Sauvignon-blanc-Wein aus Wehrlis eigenem Rebberg in Küttigen, kredenzt. Die Luft war frisch und klar, der Wein fruchtig duftend. Der Innenhof, umgeben von den Fassaden mit wellenförmig schräg in Rot verzierten Fensterläden, eine Kombination aus Zweiturm- und Rundhausburg, schien in Erwartung dessen, was in nächster Zeit noch kommen sollte, aufzublühen. BVB-Präsident Markus Schlienger dankte für die Gastfreundschaft in dieser frühen Phase mit einem Sonnenblumen-Arrangement.
 
Fahrt nach Oberflachs
Indessen warteten bei der Schlossscheune 3 doppelspännige Planwagen, von je einem Kutscher bzw. einer Kutscherin geführt. Freiberger-, Schweizer-Halbblut- und Polenpferde scharrten ungeduldig, wollten ihre Kraft entfalten. Unser Kutscher, Hans Hediger aus Rupperswil, sagte das erlösende „Hü!“, straffte die Zügel, und die Tiere legten sich ins Zeug, bewegten sich sich auf den Waldwegen mit dem griffigen Mergelbelag bis zum Naturfreundehaus in Oberflachs im Schenkenbergertal. Hinten folgte das Gespann von Ulrich Fehlmann-Rytz aus Möriken. Von den Holzbänken unter dem halbbogenförmigen Dach schauten wir in die saftig grüne Juralandschaft hinaus mit ihren Wäldern, Wiesen, Dörfern und Gewerbe- und Industriezonen sowie dem Aareband, ein hügeliges Gebiet mit femininen Formen, das zum Träumen verleitet.
 
Das „Naturfreundhaus Gislifluh“, das der Sektion Lenzburg gehört, ist ein einfacher Zweckbau mit Sattel-Ziegeldach und einem Eternitüberzug auf der Fassade, also wetterfest, wie es sich für Naturfreunde gehört. In unkomplizierter Art wurden dort ein guter Hausmachersalat und mild gewürzte Spagetti Bolognese aufgetragen.
 
Inspiriert von den Windungen der Jurawege drehte man die langen Nudeln auf die Gabel und freute sich auf die Rückfahrt zum oberen Ausgang von Auenstein in Pferdewagen, die eine gewisse Urwüchsigkeit, eine gezähmte Wildheit, mitführten und über die seltenen wilden Steine hinweg rollten.
 
Hinweis auf ein weiteres Blog über das Schloss Wildenstein
 
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst