Textatelier
BLOG vom: 06.09.2012

Der Londoner Herbst: Beerenauswahl für jedermann

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Die ersten Brombeeren habe ich vor 2 Wochen auf dem Wimbledon Common gesammelt. Viele waren noch sauer und mussten mit Zucker bestreut werden. Die gestern Gesammelten schmeckten entschieden süsser. Ich war wohl der 1. Beerensammler. Die Beeren sind gratis – nicht ganz – mein Handrücken war zerkratzt. Das nimmt man in Kauf.
 
Auch die Reben haben dieses Jahr, vom Regen ausgiebig begossen, weitschweifig ihre Ranken über die Mauer ausbreitetet. Der Farbwechsel von Grün auf Blau haben die gefrässigen Waldtauben sofort entdeckt. So deckte ich den uns zukommenden Teil ab. Nur das Rotkehlchen findet unter den Maschen Einschlupf. Ermunternd spreche ich ihm zu: „Bediene dich nach Herzenslust!“
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Unser Sohn Mark besuchte uns gestern Abend und wurde tüchtig bemuttert. Endlich kriegte auch ich wieder einmal ein saftiges Steak, mit Reis und Salat serviert. Diesmal war ich der Küchenmeister. Die Steaks brutzelten in der gusseisernen Bratpfanne. Im Garten war der Tisch gedeckt. Die Tageswärme hielt bis nach 7 Uhr an. Wir plauderten, als der Abend windlos verstrich. Mellow trifft auf Englisch solch’ milde Herbsttage – und solche Tage sind gezählt und wertvoll. Um diese Jahreszeit jubeln die Singvögel nur mehr gedämpft zirpend. Die Brut ist flügge geworden. Der Futterneid ist erloschen. Auch ihnen wartet ein Beerenschmaus auf, wenn sich die Heckendornbeeren röten.
 
Diesmal übersetzte ich mein „Hubertus van Aken Geschichtlein“ für Lily und Mark. Ich frage nie, was sie davon halten. Aber Mark fand das treffende Wort: „latent“. Also Hubert hatte sein in ihm schlummerndes Talent entdeckt. Das hat mich gefreut, denn genau diese Absicht habe ich in meinem Blog angepeilt.
 
Ein Familientreffen steht bei uns am nächsten Samstag an, worauf wir uns allesamt freuen. Eric und seine Frau Fari (Lilys Schwester) treffen bei uns aus Sao Paulo (Brasilien) ein. Wir werden uns wie zuvor, bald auf Englisch, bald auf Französisch unterhalten – und hin und wieder flunkere ich auf Deutsch dazwischen. Dann meldet sich Eric auf Elsässisch, was den Spass erhöht. Auch die persische Sprache fliesst mitunter ein.
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Das treibt meine Gedanken auf die Vorteile von Mischehen zwischen verschiedenen Nationalitäten. Das trifft auch auf die waschechten Schweizer zu, so etwa, wenn Welsche mit Deutschschweizern den Ehebund eingehen. Das trifft auch zu, wenn ein Appenzeller eine Bündnerin heiratet. Religionsunterschiede sind wenigstens für uns bedeutungslos. Nicht so die kulturell bereichernden Unterschiede. Sie sind für mich der „Spirit of Life“, dem Titel der Ausstellung „Masterpieces of Islamic Art“ (aus der Aga Kahn Museum- Kollektion) gemäss. Ich selbst bin ein „Mischkind“; meine Mutter stammt aus Flandern (Belgien), mein Vater aus der Bergwelt in Graubünden; er hat einen romanischem Einschlag.
 
In Wimbledon, wie auch in anderen Stadtteilen von London, fallen mehr und mehr Rassenschranken dahin. Damit werden auch jene der Religion zunehmend bedeutungslos. Das beschwingt meine Hoffnung, dass auch die Fanatiker  je länger desto weniger dagegen ausrichten können.
 
Beeren gibt es für alle. Ein paar Kratzer müssen hingenommen werden.
 
Hinweis auf das erwähnte Hubertus-Blog
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