Textatelier
BLOG vom: 07.09.2012

Bio-Bauern stehen der Massenproduktion bloss im Wege

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Im Moment verfolgt mich das Thema Landwirtschaft mit dem Schwergewicht Bio-Bauerntum auf Schritt und Tritt. An der Rohmilch-Tagung in der Forschungsanstalt für Biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG vom 29.08.2012 wurde mir am Beispiel USA bewusst gemacht, wie sehr die Bio-Kleinbauern mit ihrer individuellen, oft antiquierten, naturangepassten Wirtschaftsweise der vereinheitlichenden, globalisierenden Agroindustrialisierung (Stichwort: Marktöffnung) im Wege stehen. In den USA werden sie auf der Grundlage von frei erfundenen Zwecklügen mit polizeilicher Gewalt in den Ruin getrieben, in anderen, weniger kampferprobten Ländern geschieht dasselbe auf subtilere Art: Existenzvernichtung.
 
Im Weiteren haben mich verschiedene interessierte Bekannte auf Fernsehsendungen aufmerksam gemacht, etwa auf einen ARD-Bericht vom 03.09.2012 über offensichtliche Bio-Betrügereien in Deutschland („Alles Bio, alles gut? – Die Wahrheit über Bio-Tiere“), und einen Internet-Bericht „Die Bio-Lüge“ von einem Verein „Die Tierfreunde“ in Siegen D, der mir bisher unbekannt war. Bei solchen Aktionen quält mich jeweils die Frage, wieso sich ein angeblich gemeinnütziger Verein, offenbar alleiniger Besitzer der Wahrheit, ausschliesslich auf die Bioproduzenten einschiesst und die konventionelle Intensivproduktion mit ihren oft unerträglichen Zuständen in Frieden lässt. Man müsste differenzieren: Haben es Biotiere wenigstens etwas besser als Nutztiere auf konventionell wirtschaftenden Betrieben? Was kann man tun, damit es all den missbrauchten Tieren besser geht? Das Ideal des Bio-Standards muss flächendeckend verbreitet werden. Das schliesst nicht aus, nicht eingehaltene Versprechungen im Bio-Bereich zu entlarven, anzuprangern. Doch Verbesserungsansätze müssten gefördert statt im Keime erstickt werden. Die naturnah und auf ethischen Grundlagen wirkenden Bauern sollten nicht übersehen werden. In der Schweiz, gerade auch in meiner nächsten Umgebung, kenne ich viele Biobauern aus eigener Anschauung, für die ich die Hand ins Feuer lege.
 
Medien müssen sich, um das Publikum bei der Stange zu halten, auf Extreme einschiessen. Woher die mit der Wackelkamera aufgenommenen Ekel-Bilder aus Intensivställen jeweils stammen, ist nicht immer genau auszumachen. Wenn einem ungenügend einheimisches Material zur Verfügung steht, kann man immer noch auf Schockaufnahmen aus den USA zurückgreifen und sie mit lokalem Material vermanschen. Das TV-Publikum ist ja nicht gerade zum kritischen Hinschauen erzogen und wird wahrscheinlich nichts merken. Der gute Zweck heiligt alle Mittel. Doch die Wirkung kann nur erzielt werden, wenn die Sendungen so seriös sind, wie man es von den (Bio-)Bauern erwartet, wenn die Glaubwürdigkeit gegeben ist.
 
Kein Zweifel: In verschiedenen Ländern gibt es auf Biohöfen verwerfliche Zustände, was auch für ungenügende, liederliche Kontrollen hinweist. Das ist deshalb besonders verabscheuungswürdig, weil man ja an Biobauern besonders hohe Anforderungen stellt. Insgesamt ist aber doch unverkennbar, dass der allergrösste Teil der Biobauern und auch der Kleinbauern, die keiner Organisation angeschlossen sind, eine akzeptable bis wegweisende Arbeit leisten. Wäre dem nicht so, sähen sie sich nicht einer ständigen Angriffswelle aus der Industrielandwirtschaft und deren Lobbyorganisationen ausgesetzt, wofür sich Medien gern einspannen lassen. Ablenkungsmanöver.
 
Daraus ergibt sich ein noch grösserer Zwang für Bio-Organisationen und Bio-Kontrolleure, die Einhaltung der einschränkenden Vorschriften durchzusetzen, wo immer dies Bauern nicht von sich aus und als Selbstschutzmassnahme getan haben. Das Tierwohl, gesunde Böden und Lebensmittel, die diesen Namen noch verdienen, haben Priorität. Es gibt zwingende Gründe dafür: Der Grossagrowirtschaft, dem Agrobusiness nach US-Muster, kommen Skandale von Biohöfen sehr gelegen. Sie können an solchen Beispielen suggerieren, dass die Einheitsbauerwelt von Monsantos Gnaden mit der totalen Vereinnahmung der Landwirtschaft halt doch die Beste sei ...
 
Die Schweiz ist ein überschaubarer Raum, und auch unsere Landwirtschaft, die sich zu rund 80 % der Fläche auf Wiesen und Weiden bis hinauf auf die Alpen abspielt, ist kein Buch mit 7 Siegeln. Die Tierhaltung ist auch dort möglich, wo kein Ackerbau in Frage kommt, etwa in Steillagen. Ohne die Milch- und Weidefleischproduktion gäbe es in unserem Land, das sich für einen industrialisierten, grossflächigen Anbau nicht eignet, bestenfalls eine Rumpf-Landwirtschaft auf reiner Kunstdünger-Basis. Unsere Auslandabhängigkeit wäre im Ernährungssektor enorm, und wir müssten viele minderwertige Nahrungsmittel importieren, was keine Preis-, aber eine Qualitätsfrage ist.
 
Das abschreckende „Emmi“-Beispiel
Selbst ein Schweizer Milchkonzern wie Emmi mit dessen beherrschender Stellung verliert in den USA unter der dortigen largen Gesetzgebung offenbar jede Hemmung und produziert einen minderwertigen Gruyère, der traditionell ein Rohmilchkäse ist bzw. sein sollte. Für Milch, die zu Rohmilchkäse verarbeitet wird, darf im Prinzip keine Silage verfüttert werden, weil sich sonst in der Milch Buttersäurebakterien bilden, die so freundlich sind, Fehlgärungen und Spätblähungen hervorzurufen, wobei auch der Geschmack getrübt wird. Das sind wertvolle erzieherische Massnahmen. Mir hat schon in den 1980er-Jahren ein Bakteriologe erklärt, ein Tropfen Silomilch in einem Emmentaler-Käsekessi genüge, um den gesamten Inhalt unbrauchbar zu machen. Ich habe das dann im „Aargauer Tagblatt“ so geschrieben, wurde anschliessend aus Fachkreisen übel attackiert, nicht etwa, weil es nicht stimmte, sondern weil man das damals noch nicht sagen durfte. Dass die Tierfütterung einen entscheidenden Einfluss auf den Zustand der Milch hat, durften die Konsumenten nicht erfahren. Inzwischen sind solche Probleme beseitigt: Mit verschiedenen Tricks wie der Lysozym-Zugabe (ein Enzym), UHT-Torturen kann man die Sporen in der Silomilch umbringen oder durch Zentrifugation ausscheiden.
 
Am Produktionsstandort der Emmi-Roth-Tochterfirma in Monroe (Wisconsin) wird mit minderwertiger, spottbilliger US-Industriemilch (Silomilch für etwa 30 Rappen/kg, pasteurisiert und bactofugiert = zentrifugiert) hergestellt. Das schädigt das Ansehen des aus Rohmilch produzierten, schmackhaften, würzigen Gruyèrekäses. Dass sich ein führender Molkereikonzern eine solche Imageschädigung leistet, ist schwer fassbar. Aber es ist ein weiteres deutliches Indiz dafür, wohin die globale Vermassung führt.
 
Die Schweizer Landwirtschaftpolitik
Der Drang zur Grösse und Vereinheitlichung zeichnet sich in der schweizerischen Landwirtschaftspolitik seit langem ab. Das Bauernhofsterben ist seit Jahrzehnten im Gange. Allein in der Zeitspanne 1990 bis 2008 hat die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe im Schweizerland um einen Drittel abgenommen; vor allem sind Betriebe unter 20 Hektaren betroffen. Inzwischen hat sich der Sterbeprozess logischerweise etwas verlangsamt, weil das Aussterben ein fortgesetztes Sterben verunmöglicht. Aber noch 2011 sind täglich 4 Schweizer Bauernbetriebe eingegangen; weil die Landwirtschaftsfläche gleich blieb, handelt es sich um einen Konzentrationsprozess, welcher der Mechanisierung, dem Grossbauerntum, dem reinen Ertragsdenken Vorschub leistet. Bodengesundheit, Tierwohl und die wertgebenden Inhaltsstoffe in den Lebensmitteln sind bedroht.
 
Die Sterberate spricht eine deutlichere Sprache als die beschönigenden Worte zur Landwirtschaftpolitik. Seit dem 01.01.1999 ist die Schweiz von einem neuen Landwirtschaftsgesetz betroffen, welches das alte aus dem Jahr 1951 abgelöst hat. Als das neue Gesetz 10 Jahre alt war, 2009, zog das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) im Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement eine Bilanz („Die Schweizer Landwirtschaft im Aufbruch“), in der nicht etwa eine Leichenschau betrieben wurde, sondern darin wurde eine reine Freude-Eierkuchen-Stimmung verbreitet. Bundesrätin Doris Leuthard verbreitete im Vorwort strahlenden Sonnenschein, auch wenn es reichlich nebulös ausgefallen war: „Die Fortschritte nach 10 Jahren sind bemerkenswert. Die Schweiz und auch unsere Landwirtschaft haben einen beachtlichen Wandel durchgemacht: Die Schweizer Landwirtschaft hat die grossen Herausforderungen der vergangenen Jahre angenommen. Sie ist heute moderner und produktiver, hat sich geöffnet und nimmt gleichzeitig mehr Rücksicht auf Tiere und Natur. Sie erfüllt ihren Verfassungsauftrag zur allgemeinen Zufriedenheit.“
 
Ja, Wandel ist immer gut. Nur so können wir uns dem US-Agrobusiness unterwerfen. Kleine Einheiten sind nur mit viel Aufwand kontrollierbar und stören das Grössenwachstum und damit den vielbesungenen Wandel, der oft einer Nachtwandlerei mit all den Absturzgefahren gleicht.
 
In der Schweiz lief sicher nicht alles schlecht. Man sieht wieder mehr Tiere (Geflügel, Rindvieh und Schweine) auf dem Freiland; die Ställe wurden offener, luftiger, tierfreundlicher als früher. Von vernünftigen Tierhaltern und Behörden wurde erkannt, dass glückliche Tiere ebenso wie glückliche Menschen weniger krankheitsanfällig sind, bessere Produktionsleistungen und eine bessere Qualität hervorbringen und entsprechende Massnahmen wurden durchgesetzt.
 
Eine Landwirtschaftszukunft, die Zukunft hat (um das abgedroschene Hohlwort „nachhaltig“ zu umgehen), muss sich in die lokale Natur einfügen, die Vielfalt pflegen, sich in Kreisläufe einbinden und selber für Kreisläufe besorgt sein. Die Produktion wie auf untadeligen Bio-Höfen, welche die Vielfalt kennen und auf denen Selbstregulationskräfte wirken, müsste allgemeiner Standard sein. Man sollte genau diese fördern, pflegen, aufwerten, von Ausrutschern befreien und zum Vorbild machen. Zum Wohle der Biodiversität – und aller Pflanzen, aller Tiere, aller Menschen.
 
Solange globale Konzentrationsprozesse andauern und man aus den bisher anstehenden Debakeln nicht bereit ist, die Lehren zu ziehen, muss man annehmen, dass das für die Schweiz total deplatzierte, naturentfremdete Agrobusiness mit Hilfe der Gentechnologie als unausgesprochenes Ziel verfolgt wird.
 
Die Lösung wird gefunden sein, wenn sich das Bauernsterben in einen bäuerlichen Geburtenüberschuss verwandelt hat.
 
Man wird ja wohl noch einigen Illusionen nachhängen dürfen ...
 
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