Textatelier
BLOG vom: 13.09.2012

Begegnung mit Joachim Król ... ausgerechnet in Indien

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Mein besonderes Interesse gilt fremden Kulturen. In vielen Blogs habe ich bereits über meine Erlebnisse in Indien berichtet. Das Thema begegnete mir auch auf einer ganz anderen Art.
 
Mitte Februar 2012, ich war gerade im Lehrerzimmer beschäftigt, das direkt neben dem Empfang liegt, kam ein Herr ins Goethe-Institut und fragte nach der Institutsleitung. Weder der Leiter noch seine Stellvertreterin waren an jenem Tag im Haus. Die Sekretärin am Empfang verstand zwar ganz gut Deutsch, sprach aber nicht so viel in dieser Sprache, und so bat sie mich, mich um diesen Herrn zu kümmern. Ich sah sein Gesicht und dachte mir, irgendwie kenne ich ihn. Ich fragte direkt: „Woher kenne ich Sie?“, und er sagte, er sei Joachim Król, der Schauspieler. Er sei gerade für Fair Trade in Indien unterwegs gewesen und wolle noch ein paar Tage in Bangalore verbringen. Wenn er im Ausland sei und ein Goethe-Institut in seiner Nähe finde, besuche er es auch. Ich hatte noch ein wenig Zeit, erzählte ihm von der Arbeit dieses Instituts in Bangalore, trank mit ihm Kokosnusswasser ‒ der Kokosnussverkäufer steht immer direkt vor dem Haus – und verabredete mich mit ihm für den nächsten Nachmittag.
 
Es gibt gewiss viele Menschen, die mich darum beneiden, mit einem bekannten Schauspieler einen ganzen Nachmittag verbracht zu haben. Ich sehe das etwas anders; die Schauspielerei ist für mich ein Beruf wie jeder andere auch. Mich interessierten der Mensch Joachim Król und seine Erfahrungen und wollte ihm etwas von Indien mit auf den Weg geben.
 
Wir fuhren mit der Rikscha zum Shiva-Heiligtum. Etwas versteckt hinter Läden und einem Parkhaus gibt es ein grosses Gelände. Man kommt dort hinein, zahlt Eintritt. Die erste Figur, die man lebensgross erblickt, ist Ganesha, der Elefantengott. Man bekommt eine kleine Anzahl von Münzen ausgehändigt und geht an Metallschalen vorbei, in die man sie legt und das Gebet „Om namah shivaya“ („Ich grüsse das Gute, das Liebe, das höhere Selbst in dir“) sprechen soll, um den Segen des Gottes Shiva zu erbitten. Es folgen noch eine Reihe anderer Zeremonien. Man wird durch einen Gang mit dunklen Grotten geführt und aufgefordert, eine milchige Flüssigkeit über einen Stein zu giessen, kommt wieder ans Tageslicht und erblickt die über 30 m hohe Shiva-Figur. Es werden noch weitere Münzen zu Ehren des Gottes in einen Behälter geworfen, ein Rauchopfer und anderes ausgeführt. Jeder Besucher ist, egal welcher Weltanschauung er hat, angehalten, diese Zeremonien mitzumachen. Für westliche Besucher ist das fremd und wird vielleicht ein wenig kitschig empfunden. Der Hindu-Glaube mit seinen vielen Göttern und Avataren ist in Indien fest verwurzelt.
 
Ich wollte Herrn Król einen kleinen Einblick in diese Kultur mitgeben. Wir unterhielten uns über fremde Kulturen, und er berichtete mir, dass er vor kurzer Zeit den Film „Ausgerechnet Sibirien“, in dem er die Hauptrolle spielte, abgeschlossen habe. Er war für diesen Film wirklich in Sibirien gewesen und von der Kultur sehr beeindruckt.
 
Wieder zurück in Deutschland, hatte ich Gelegenheit, mir diesen Film anzusehen. Das Thema des Films ist nicht neu, ein vom persönlichen und beruflichen Leben frustrierter Mensch aus dem Westen sucht (und findet) sein Glück ausserhalb der bekannten Zivilisation und Kultur:
 
„Der geschiedene Logistikfachmann Matthias Bleuel wird aus einem Leverkusener Modeversandhandel von seinem Chef Fengler zu einer Dienstreise in die Verkaufsstelle des Unternehmens im sibirischen Kemerow geschickt. Um sich annähernd zurechtfinden zu können, bekommt er den Dolmetscher Artjom zur Seite gestellt, der die grössten Kulturschocks des pedantischen Deutschen abfedern soll.
Bei einem Spaziergang durch die Stadt hört er zufällig den Kehlkopfgesang der schorischen Sängerin Sajana. Er wird ihr vorgestellt und ist so fasziniert von ihr, dass er seinen Heimflug nicht antritt. Als er sie besuchen will, erfährt er, dass sie zu einem Konzert in Bergschorien gereist ist und fährt ihr nach. Als er sie schliesslich trifft, fahren sie gemeinsam zum Dorf ihrer Mutter, einer Schamanin. Matthias und Sajana kommen sich näher, doch schliesslich reist er zurück nach Deutschland. Zwischenzeitlich hat sein Unternehmen den Handel mit Russland eingestellt. Bleuel kündigt und reist zurück zu Sajana nach Sibirien.“
 
Ich habe in einem Blog vor Kurzem geschrieben, dass kein Staat der Erde „homogen“ sei, dem nicht nur ein einziger Volksstamm angehört, sondern historisch und aktuell von vielen Völkern bewohnt ist, und das gilt ganz besonders für das russische Grossreich.
 
In dem Film kommt der Protagonist in Kontakt mit einem kleinen Volk, den Schoren. Die Schoren (Eigenbezeichnung: Schor, russ. Schorzy) sind ein kleines indigenes Volk Sibiriens. Die schorische Sprache gehört zur Familie der Turksprachen. Der Film hat den Roman „Der Neuling“ von Michael Ebmeyer als Grundlage. In ihm spielen die Schoren eine wichtige Rolle, insbesondere eine schorische Musikerin und Schamanin. Dem Autor diente die schorische Musikerin Tschyltys (alias Olga Tannagaschewa) als Vorbild für die Romanfigur.
 
Das Problem der fremden Sprachen wird im Film dadurch gelöst, dass Artjom, der russische Dolmetscher, in Deutschland gelebt hat und akzentfreies Deutsch spricht, und Sajana, die Sängerin, im Goethe-Institut Deutsch gelernt hat.
 
Was der Film nicht suggeriert, ist, dass Fremde sich in einer unbekannten Kultur problemlos zurechtfinden. Zu neu und unbekannt sind Denkweisen und Zeremonien.
 
Deshalb gleicht der Schluss des Films etwa den Liebesfilmen, die mit der Hochzeit zu Ende sind. In der Realität fängt „das wirkliche Leben“ mit all seinem Auf und Ab erst dann an.
 
Und das gilt besonders für einen längeren Aufenthalt in Ländern mit ungewohnten und fremden Kulturen. Verstehen wird man sie „als Zugereister“ letztendlich nie, nur langsam wächst die Einsicht.
 
Joachim Król ist am Tag nach unserem gemeinsamen Nachmittag zurück nach Deutschland geflogen. Seine Erlebnisse in Indien, er hatte für Fair Trade ein Dorf besucht und dort ebenso fremde Eindrücke gewonnen, wird er seinen vielfältigen Auslandsbesuchserfahrungen hinzufügen.
 
Internet:
de.wikipedia.org/wiki/Ausgerechnet_Sibirien
 
Hinweis auf die vorangegangenen Indien-Berichte von Richard Gerd Bernardy
 
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst