Textatelier
BLOG vom: 07.11.2012

Nachbarschaftsbetreuung: Hilfsaktionen pflanzen sich fort

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)

 
Die nachfolgende anonymisierte Geschichte hat sich so zugetragen – mehr oder weniger genau, denn ich erzähle sie aus 2. Hand.
 
Sie habe bei unserer betagten Nachbarin schon lange nicht mehr nachgefragt, sagte mir meine Frau, Eva, eines frühen Samstagabends. Sie hatte aus der Bibersteiner Schlossbäckerei (ein Geheimtip) eine jener übergrossen Crèmeschnitten mitgebracht, die so vanillesüss schmecken und deren Zwischenböden aus braun gebackenem Blättertag noch stundenlang knusprig bleiben. Diese wolle sie unserer Nachbarin bringen. Dass mir selber nicht die gleiche Ehre zuteil wurde, mag mit unserer wild um sich schlagenden Körperwaage zusammenhängen.
 
Die besagte Nachbarin, N., irgendwo im Altersbereich um 88 – es kann auch etwas mehr sein –, wollte in ihrem eigenen Häuschen weiterkutschieren, selbständig bleiben, solange es irgendwie geht. Nur nicht in ein Alters- oder Pflegeheim! Daheim ist’s gut. Ihr Mann war schon vor Jahren gestorben. Sie wird aber von ihren Nachkommen, die sie regelmässig besuchen, und ebenso von Pflegerinnen täglich betreut. Natürlich vollzieht das betagte Gehirn von N. manchmal die eine oder andere Kapriole, will sich von der Wirklichkeit etwas loslösen, doch das Verantwortungsbewusstsein und fest etablierte, strenge Lebensregeln, schön geordnet, zwingen es unwillkürlich zur Vernunft zurück.
 
Als Eva mit der süssen, von einem Zuckerdach bedeckten Fracht zum Haus von N. kam, stand die Haustür offen. Die Hausherrin war eben dabei, noch eine Mission auswärts zu erfüllen, um das Wochenprogramm zu beenden. Sie hatte eine schwere Tasche mit allerhand Lebensmitteln vollgestopft, die ihr von ihren Nachkommen für den Eigengebrauch angeliefert worden waren, und den Regenschirm in Bereitstellung. Sie wolle diese Esswaren einer stark gehbehinderten Frau bringen, die darauf angewiesen sei, sagte sie.
 
Die Tasche mit dem happigen Gewicht wolle sie für N. tragen, anerbot sich Eva, wenn es so recht sei. Das Angebot fiel auf fruchtbaren Boden. Und die beiden zogen mit der Notration los, um Gutes zu tun, kamen in jeder Beziehung gut an. Die Sachen wurden gebraucht.
 
Ihre Kinder dürften davon nichts erfahren, sagte die Spenderin N. noch. Sie hatte das Gefühl, etwas Unrechtes getan zu haben. Das Stillhalteabkommen wurde vereinbart.
 
Unsere Nachbarin und ihre Begleiterin machten sich zufrieden auf den Heimweg, ziemlich steil bergan. Der Regen war etwas stärker geworden. N. war von Glücksgefühlen erfüllt. Erstaunlich, wie gut die alte Frau trotz ihrer schmerzenden Füssen die Steigung bewältigte, nichts von Erschöpfung. Als sich meine Frau nach getaner Arbeit verabschiedete, ertönte der Befehl: „Warte noch!“ N. hatte von irgendwoher ein Rosenbouquet erhalten, wählte 2 besonders schöne Blumen aus und gab sie meiner Frau mit.
 
Wir freuten uns beim Abendessen über diese Tischdekoration, sprachen über das medial gerade aufgewärmte Thema „Altenbetreuung“, waren selber gerade in Überalterung begriffen, wie wir uns eingestehen mussten. Wir Alten sind eine Last, eine Belästigung, ein Kostenfaktor – das sagt jedenfalls das Wort „Überalterung“ aus – man ist zu alt geworden, hat den richtigen Zeitpunkt zum Sterben verpasst. Wohl vergessen. Alzheimer-Spuren.
 
Nicht vergessen aber sollte man, dass es auch Alte gibt, die Alte betreuen.
 
Bis sie auch das zu tun vergessen ... wie den rechtzeitigen Eintritt ins Nirwana.
 
 
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