Textatelier
BLOG vom: 17.11.2012

„Äpfel der Hesperiden“: Köstliches aus der goldenen Quitte

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Die im Herbst an einem unscheinbaren Baum hängenden goldgelben, flaumigen Früchte der Quitte (Cydonia oblonga) erfreuen nicht nur das Auge, sondern später auch den Gaumen. Die Früchte verführen zum Hineinbeissen, und jeder, der einmal eine Quitte so gekostet hat, erlebte sein blaues Wunder: Sie ist hart und schmeckt herb, im rohen Zustand also fast ungeniessbar. Erst durch Wärmebehandlung wird sie weich und entfaltet ein unvergleichliches Aroma. Der Duft setzt sich aus 150 flüchtigen Aromastoffen zusammen. Da können kein Apfel und keine Birne mithalten. Die Shirin-Quitte, die in der Türkei angebaut wird, kann man auch im rohen Zustand essen.
 
Kenner schätzen die Quitte als Saft, Gelée, Mus, Fruchtpaste, Bowle, Quittenessig, Quittenwein, Quittenlikör, Quittenschnaps, Quittenbrote, Quittenkuchen oder Quittenschnitze. Was wir besonders lieben, ist die Quittenmarmelade und das Quittengelée. Verena Krieger, die früher Rezepte in der Zeitschrift „Natürlich“ publizierte, schrieb einmal das Folgende: „Der Quittengelée ist unbestreitbar der König unter meinen Konfitüren. Sein delikates Aroma und seine zarte rotgoldene Farbe bringen auch Leute ins Schwärmen, die sonst meine wenig gesüssten Einmachschätze nicht besonders gern haben.“
 
Es gibt aber auch die heilende Quitte. Der Pflanzenschleim der Quitte ist wirksam bei Entzündungen des Rachens, bei Husten und Bronchitis.
 
Der Quittenpapst
Früher war die Quitte, die wie Apfel und Birne zu den Kernobstarten und Rosengewächsen gehört, in vielen Gärten zu finden. Aus den Gärten unserer Zeit ist sie fast verschwunden. Wenn ich durch Schopfheim streife, sehe ich nur wenige Quittenbäume.
 
Die Quitte wurde als ein fast vergessenes Obst bezeichnet. Vielleicht lag es daran, dass die Quitte ein arbeitsintensives „Image“ hat. Sie lässt sich nämlich nicht so leicht verarbeiten wie Äpfel und Birnen. Auch fand der Geschmack nicht immer nur Freunde.
 
Heute erlebt die Quitte zum Glück eine Renaissance. In letzter Zeit wurde in diversen Zeitschriften und auch im Fernsehen für die Quitte geworben. Als Beispiel möchte ich eine Sendung des Bayerischen Fernsehens (www.br-de) erwähnen. Am 01.11.2012 wurde der Quittenpapst, Öko-Obstbauer und Quittenwinzer Marius Wittur aus Eisenheim (Landkreis Würzburg, Bayern), vorgestellt. Er hat sich den wahrscheinlich ältesten Quittenbäumen in Franken angenommen. Oft waren die uralten Bäume verwildert, versteckt und vergessen. Der Quittenpapst setzte alles daran, die Bäume zu erhalten und auch weiter zu vermehren. Er stellt aus den Quitten Weine und andere Produkte her. Aus ganz Deutschland erhält Wittur Quitten zur Bestimmung zugesandt. 60 Quittenarten soll es geben.
 
Ich finde Menschen, die sich für die Erhaltung alter Sorten einsetzen, auszeichnungswürdig. Sie leisten durch ihr Engagement Unersetzliches für die Natur und den Menschen. Als ich Walter Hess Infos über den Quittenpapst zusandte, schrieb er mir in einer E-Mail am 11.11.2012 dies: „Der Quittenpapst ist mir sympathischer als der Papst im Vatikan. Er ist nützlicher.“ Ich empfinde das genau gleich.
 
Quittenlehrpfad und Quittenwein
Im Volkacher Ortsteil Astheim (Landkreis Kitzingen, Bayern) gibt es auch einen Quittenlehrpfad. Die Strecke ist 4 km lang und führt durch ein Landschaftsschutzgebiet. Hier sind alte knorrige Quittenbäume und alte Quittensträucher zu bewundern, und der Interessierte kann sich weiterbilden. Auf 12 Info-Tafeln erfährt der Besucher Interessantes und Wissenswertes rund um die Quitte (www.mustea.de).
 
Bei Mustea werden auch die Mostquitten des fränkischen Quittenprojekts verarbeitet und zu hochwertigen Quittenweinen ausgebaut (www.mustea.de/weinkeller.html).
 
„Äpfel der Hesperiden“
Die Quitte kam von Vorderasien in die Mittelmeerländer. Im alten Griechenland wurden diese Früchte „Äpfel der Hesperiden“ oder „Äpfel der Schönheit“ genannt. Vor 2000 Jahren gab es auf Kreta schon Quittenplantagen.
 
Machen wir doch einmal einen kurzen Abstecher in die griechische Mythologie. Im Garten der Hesperiden hüteten 3 Töchter des Hesperos Schafe mit goldenem Vlies. In diesem Garten wuchsen „goldene Äpfel“, die von einem Drachen bewacht wurden. Ferner wird berichtet, wie Atalante einen Wettlauf mit Hippomenes verlor. Sie bückte sich nämlich nach den „goldenen Äpfeln“, die Hippomenes fallen gelassen hatte. Diese „goldenen Äpfel“ waren keine Äpfel, sondern Quitten. Diese Geschichte beweist, dass der Quittenbaum schon in alten Zeiten eine Wertschätzung genoss.
 
Hippokrates, griechischer Arzt und Begründer der wissenschaftlichen Heilkunde (400−370 v. u. Z.), empfahl Quittenzubereitungen gegen Durchfall und Fieber.
 
Von Griechenland kam die Quitte zu den Römern. Zur Zeit des Plinius d. Ä. (23−79. u. Z.) legte man Quitten in Empfangszimmern der Männer aus oder brachte sie vor die Bildsäulen der Nachtgottheiten. Die Römer bezeichneten die Quitte als „Malum cotoneum“ (Baumwollapfel). Beliebt war eine Konfitüre aus Quitten und Honig. Plinius beschrieb schon mehrere Quittenarten. Auf 2 Wandbildern in Pompeji sind einige Varietäten dargestellt.
 
Der lateinische Name Cydonia leite sich wahrscheinlich von der kretischen Landschaft Kydonia (mit der Stadt Kydon, dem heutigen Chania) ab.
 
Nördlich der Alpen wird die Quitte seit dem 9. Jahrhundert angebaut. Im „Capitulare de villis“ Karls des Grossen (785 u. Z.) finden wir die Quitte unter der Bezeichnung „cotonaris“. In der Schweiz und in Süddeutschland fand die Quitte ihre grössten Liebhaber. Hier gab es lange Zeit die meisten Quittenbäume.
 
Eheglück und Liebesmittel
Quitten waren im alten Griechenland und im Europa des 16. Jahrhunderts als anregendes Liebesmittel geschätzt. Die Quitte galt als Sinnbild der Fruchtbarkeit und eines glücklichen Ehestandes. Aus diesem Grund trugen Brautleute während der Hochzeit Quitten in der Hand, oder es wurden ihnen beim Hochzeitsmahl Quitten vorgesetzt. In anderen Gegenden mussten die jungen Bräute, bevor sie ins Hochzeitsgemach traten, eine Quitte verspeisen. Auch wurde früher die Empfehlung ausgesprochen, Mütter sollten doch reichlich Quitten essen, damit sie kluge Kinder bekämen (jetzt wird mir erst klar, warum es in der Schweiz und in Süddeutschland – also in quittenreichen Ländern – so kluge Kinder gibt bzw. gab!).
 
Pflanzenschleim und Pektin
Wenn wir die Inhaltsstoffe der Birne und des Apfels mit der Quitte vergleichen, fallen folgende Unterschiede auf: Der Rohfasergehalt, der Gehalt an Fruchtsäuren, Eisen und Kalium ist in der Quitte grösser, dafür ist der Zuckergehalt niedriger. Der Vitamin-C-Gehalt ist in etwa gleich (13 mg/100 g essbare Frucht). Auffallend ist der hohe Pektingehalt der Frucht. Einen ähnlich hohen Pektingehalt findet man nur bei grünen, unreifen Äpfeln. Beim Reifeprozess der Früchte wird Pektin teilweise abgebaut.
 
Was ist eigentlich Pektin? Es ist ein pflanzlicher Quellstoff bzw. Gelierstoff. Er wird zu den Ballaststoffen bzw. Nahrungsfasern gezählt. Pektin kann ein Vielfaches seines Gewichts an Wasser aufnehmen. Pektine binden im Darmtrakt Schwermetalle, Bakteriengifte, Cholesterin, Gallensäuren und bringen diese rasch zur Ausscheidung.
 
Noch einige Worte zu den Kernen. Im Kernhaus der Quitte ruhen 8 bis 16 Kerne in 2 Reihen. Sie sind mit Pflanzenschleim verklebt. Bringt man sie in Wasser, quillt die äussere, klebrige Schicht enorm. Dieser Schleim entpuppt sich, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, als mildes, kühlendes, entzündungswidriges Mittel. Die Kerne enthalten Amygdalin, Pflanzenschleim, Emulsin, Gerbstoff und fettes Öl.
 
Heilende Quitte
Der Pflanzenschleim der Quittenkerne ist hilfreich bei Entzündungen des Rachens, bei Husten und Bronchitis.
 
Zubereitung eines Sirups: 5 bis 10 g ganze Quittenkerne mit 125 ml Wasser 2 bis 3 Stunden quellen lassen. Kerne entfernen und zur schleimhaltigen Lösung etwas Eibisch-Sirup hinzufügen. Täglich mehrere Löffel einnehmen. Warum Eibisch? Eibischwurzeln enthalten genauso wie Leinsamen oder Isländisch Moos eine Menge Pflanzenschleim.
 
Pflanzenschleime legen sich wie eine feine Schicht um die Schleimhäute. Dadurch werden diese vor reizenden Stoffen geschützt, oder sie wirken bei bereits vorhandenen Beschwerden reizlindernd. Entzündungen klingen schneller ab. Die Pflanzenschleime werden übrigens nicht resorbiert, die Wirkung ist also eine rein lokale.
 
Früher fand der Kaltauszug auch in Form von kühlenden und schmerzlindernden Umschlägen Verwendung. Er wirkt auch bei Hitzepickel, aufgesprungenen Lippen und Händen. In Kriegszeiten produzierten erfinderische Menschen eine Handcreme, bestehend aus dem Schleim der Quittenkerne, Fett, Honig und Glycerin.
 
Der kühlende Quittenschleim wurde in den Vorkriegsjahren des Zweiten Weltkrieges nicht nur gegen Durchfall und verdorbenen Magen gegeben, sondern auch als Umschlag bei Gerstenkorn des Auges.
 
Das Volk setzte nicht nur den Schleim, sondern auch den Fruchtsaft bei Halsentzündungen, Bronchial- und Lungenkatarrh ein. Auch Fieberkranke schätzen den Quittensaft. Er ist jedoch nicht nur Kranken, sondern auch Gesunden zu empfehlen. Quittensaft schmeckt aromatisch, leicht herb-säuerlich und besser als Apfelsaft (das ist meine persönliche Meinung). Der Saft ist eine bekömmliche, erfrischende Köstlichkeit.
 
Yves Rocher erwähnte in seinem Pflanzenbuch eine originelle Anwendung des Pflanzenschleims. Er diente zur Erstellung traditioneller weiblicher Haartrachten.
 
Kleines Fazit
Wie wir gesehen haben, führte die Quitte lange Zeit zu Unrecht ein Schattendasein. Sie ist ein einheimisches Obst mit nicht unerheblicher gesundheitlicher Wirkung. Aus der Quitte lassen sich kulinarische Köstlichkeiten zaubern. So finden wir unter www.chefkoch.de 307 Quittenrezepte.
 
Wer ein Plätzchen in seinem Garten hat, sollte nicht vergessen, ein Quittenbäumchen zu pflanzen. Die meisten Quittensorten sind selbstfruchtbar. Ein Baum im Garten reicht aus, um eines Tages genügend Quitten ernten zu können.
 
Anhang
Zusammensetzung der Quitte (je 100 g essbarem Anteil)
 
Wasser
83,1 g
Eiweiss
 0,4 g
Fett
 0,5 g
Kohlenhydrate
 7,3 g
Organische Säuren
 0,9 g
Ballaststoffe
 5,9 g
Mineralstoffe
 0,4 g
 
 
Einzelne Inhaltsstoffe in 100 g essbarem Anteil
 
Kalium
185 mg
Magnesium
    8 mg
Kalzium
   10 mg
Eisen
 0,6 mg
Vitamin C
 13,0 mg
Saccharose
 640 mg
Reduzierte Zuckerarten            
6680 mg
Apfelsäure                          
 930 mg
 
Energiegehalt (der verdaulichen Bestandteile aus 100 g essbarem Anteil): 161 kJ = 38 kcal
 
Internet
www.br.de (Stichwort: Quittenpapst)
www.mustea.de (hier können Quittenprodukte bezogen werden)
 
Literatur
Gloor, Barbara: „Begehrtes Einmachobst: Wolliger Apfel“, „Natürlich“, Nr.11-1992.
Krieger, Verena: „Quittengelée, die exklusive Abwechslung fürs ,Kafi-Vollkorn“, „Natürlich“, Nr. 11-1992.
Scholz, Heinz: „Die Quitte – ein fast vergessenes Obst“, „Natürlich“, Nr. 11-1992.
Der kleine Souci, Fachmann, Kraut: „Lebensmitteltabelle für die Praxis“, wvg, Stuttgart 2004.
 
Hinweis auf weitere Blogs über Obst und Gemüse von Heinz Scholz
 
 
Hinweis auf weitere Blogs von Eisenkopf Werner
Der neue Kirchen-Teufel 2024 ist BLAU
Deutsche Bauernproteste als Mosaikstein gegen grüne Weltbeglücker
Kommunale Walliser Foto-Stative und Rätsel zur Mischabelgruppe
"65" ist in Deutschland offenbar das neue "42"? HABECK-Heizungs-Science-Fiction?
"KLIMA-PASS" vorgeschlagen - Betrug mit Meeresspiegel als Einwanderungshilfe?
84 Millionen im Klammergriff eines Polit-Clans?
Wird deutsche Politik jetzt zum "GeTWITTERten Comic" ?
Die EU für Schweizer - einmal anders betrachtet (Teil 2)
Die EU für Schweizer - einmal anders betrachtet (Teil 1)
SOCIAL-MEDIA und die Freude an der Nicht-Existenz
KLIMA - Extreme Hitze und Trockenheit gab es bereits oft und schlimmer
Extremhochwasser und Hunderte Tote an der deutschen Ahr - seit 1348 aufgezeichnet
Will die CH der BRD in die totale Zwangswirtschaft folgen?
Ketzerworte zur CO2-Gesetzgebung und CH-Abstimmung am 13. Juni 2021
Flaggenchaos durch Schottlands Austrittswunsch aus GB