Textatelier
BLOG vom: 15.11.2012

Petraeus und die Superlative – Sprachkunde aus den USA

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Heroismus – das ist die Gesinnung eines Menschen,
 welcher ein Ziel erstrebt,
gegen das gerechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt.
Heroismus ist der gute Wille zum Selbst-Untergang.“
Friedrich Nietzsche: „Unschuld des Werdens“
 
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Zur Seifenoper rund um die Vier-Sterne-Generäle David Petraeus und John R. Allen sowie zu den Zickenkriegerinnen Paula Broadwell und Jill Kelley habe ich materiell nichts beizutragen. In diesem Zusammenhang geht es mir lediglich um einige Aspekte sprachlicher Natur als Interpretationshilfe.
 
Lauter Helden
Die Amerikaner haben ein ausgesprochenes Talent entwickelt, aus beliebten und hochgespielten Personen Stars, Helden und Superhelden zu machen. Dieser Blödsinn ist, wie jedermann weiss, auf den Schund aus Hollywood und die Comics zurückzuführen, wo dem Bösen immer ein Superman entgegen steht, der es besiegen muss, damit die simple Welt der Amerikaner wieder in Ordnung ist. Wer das ewig gleiche Strickmuster einmal durchschaut hat, was ja nicht allzu schwierig ist, langweilt sich vor diesen kindischen Banalitäten, wobei ich normal vernunftbegabte Kinder nicht etwa beleidigen möchte.
 
Weil es auf dieser Erde soviel Böses gibt, sind die uneingeschränkt guten US-Amerikaner, nachfolgend schlicht Amerikaner genannt, natürlich aufgerufen, dieses auf allen Erdteilen zu bekämpfen, zu bestrafen und die Täter zu vernichten, ein göttlicher Auftrag. Sie haben sich als Weltpolizei ausgerufen. Zur Weltarmee. Wenn sie in den Krieg ziehen und im betroffenen Land nichts als Scherbenhaufen hinterlassen – siehe Irak, in den sie ab März 2003 mit erfundenen Argumenten vorerst mit Bomben und dann zusammen mit der aufgebotenen Koalition der Willigen eingezogen sind –, dann brauchen sie einen Ober- bzw. Superhelden. An seinem Status darf nicht gerüttelt werden. Um den einst von ihnen lebhaft unterstützten Saddam Hussein zu stürzen und zu ermorden, wurden allein unter irakischen Zivilisten (laut Wikipedia-Angabe) zwischen 115 000 und 600 000 Todesopfer hingenommen, wobei man sich die Mühe des genaueren Zählens ersparte, im Gegensatz zu den toten US-Soldaten, die auf den Mann genau erfasst sind: 24 219. Die Zahl der umgekommenen irakischen Soldaten schwankt zwischen 28 800 und 37 400. Da kommt es weniger drauf an.
 
Und in Afghanistan kamen die Amerikaner gegen die Taliban nicht auf. Die Details rund um ihre Niederlage sind bekannt. Die verängstigten Kriegshelden schleichen sich allmählich davon.
 
Der grosse Kriegsheld
Zuletzt, als die Invasionstruppen die sinkenden Schiffe zu verlassen begannen, war General Petraeus der auserwählte Kriegsheld, vor allem in der Zeit zwischen dem Oktober 2008 und dem Juni 2010. Der Superman fungierte als Befehlshaber im Zentralkommando über die US-Streitkräfte im Irak, Afghanistan sowie überall auf der Welt, wo die US-Krieger gerade für Unruhen sorgten. Eine seiner herausragenden Leistungen: Er rief nach immer mehr Soldaten für den Einsatz in Afghanistan, wo den primitiv ausgerüsteten Taliban einfach nicht beizukommen war. In den eingebetteten Medien des treu ergebenen Westens wurde er, obschon beide Kriege mit Niederlagen für die Amerikaner endeten, als Held und als moralische Autorität gefeiert. Das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ seinerseits hat kürzlich eine Helden-Ausgabe herausgebracht, um das zu bekräftigen. Die letzte Seite der Zeitschrift ist der Petraeus-Verehrung gewidmet, dem grössten Helden der Gegenwart. Diesen Artikel verfasste eine gewisse Paula Broadwell (siehe unten).
 
Feldherren, die Kriege verloren haben, gingen einst als Versager in die Geschichte ein. Heute ist das ganz anders. In den Medien wurde der hochdekorierte General Petraeus – die Auszeichnungen und Ehrungen fanden im Brustbereich seiner Uniform kaum Platz – als Muster-Militär gefeiert: kühl, asketisch, ein Vorbild für Redlichkeit und Tapferkeit ... und als ein Patriot sowie als ein perfekter Ehemann. Denn nur familientreue Ehemänner können in den USA einen Kriegsheldenstatus erlangen, was bei der dortigen Beliebtheit von Kriegen selbstverständlich mehr als nur ein gewöhnlicher Held ist. Bei solchen Eigenschaften erlangte „Mister Disziplin“ noch mehr Ansehen als brillanter Militärstratege, geeignet für eine brillante Karriere, für eine heroische militärische Laufbahn, bevor er zum US-Chefspion avancierte – zum Leiter des mächtigsten Geheimdiensts der Welt (CIA).
 
Der Superman galt jetzt erst recht als ein Führer mit höchstentwickeltem, genialem Geist, der in einem durchtrainierten Körper wohnte. Er hatte an der Universität Princeton einen Doktortitel in Politikwissenschaft mit einer Studie erworben, die das Debakel der US-Streitkräfte in Vietnam thematisierte. Er wusste also genau, wie man Kriege verliert. Seine weitere Ausbildung durfte er in der „Eliteschmiede der US-Armee in West Point“ absolvieren und brachte es zu einem der „mächtigsten Männer der Welt“, zum „King Dave“, wie man ihn auch noch nannte, wenn alle übrigen Superlative aufgebraucht waren – wohl im Anklang an David, den 2. und grössten König Israels und Vorfahre Jesu. Man hätte ihn treffender Goliath genannt, den riesigen Krieger der Philister, der dem Alten Testament zu einer attraktiven Story verhalf und dem die simple Steinschleuder des jungen David zum Verhängnis wurde.
 
Hochtrainiert
Für US-Helden reicht ein grosser Geist allein nicht aus; als weitere Zutat braucht es auch den durchtrainierten Körper. Aus diesem Grund trieb King Dave jeden Tag Sport, schonte sich nicht. Mit der erwähnten Paula Broadwell, einer hübschen Vorzeige-Soldatin im Rang eines Hauptmanns der Reserve, machte er Tag für Tag harte Langstreckenläufe, wobei, rennend, gleich auch noch der Biografie-Inhalt vorbereitet wurde. Natürlich hätte er sich niemals herabgelassen, mit jeder Joggerin, die schon bei Meile 3 Mühe mit dem Atmen hat, solche Elitetrainings zu unternehmen. Paulas körperliche Form wurde von Petraeus eingehend getestet. Sie bestand den Test, konnte sie als Triathletin doch locker mit seinem Lauftempo von 4 Minuten pro Kilometer mithalten. Hätte das Jogging-Techtelmechtel länger angehalten, wäre die Welt wohl Zeuge von neuen Weltrekorden im Langstreckenlauf geworden. Es hat nicht sollen sein.
 
Solche Läufe bestärken das Heldentum, das es auch in der Industrie gibt. Wer die Karriereleiter emporsteigen will, tut gut daran, jeden Morgen, gut einsehbar, total verschwitzt im Geschäft einzutreffen, sich den Schweiss abzuduschen und damit zu beweisen, dass eine brutale Fitnesspflege als Voraussetzung zum Management betrachtet wird. Im Büro kann man sich dann wieder etwas ausruhen. Soviel zum Grundsätzlichen.
 
Die Superwoman Broadwell hatte ebenfalls die Elite-Akademie West Point besucht und war dort in ihrem Jahrgang angeblich Fitness-Champion, versteht sich; und auch die Harvard-Universität gehört zu ihren Ausbildungsstätten. Zudem ist sie verheiratet und Mutter von 2 Kindern, was aber weniger zählt.
 
Bei Petraeus kam zu all seinen vielfältigen Verpflichtungen noch hinzu, dass er gemeinsames, schwer knackbares Gmail-Konto, wie es auch die Terroristen und Konsorten zu schätzen wissen, unzählige Liebes-Mails an Paula verfassen musste, wenn die beiden nicht beisammen sein konnten. Paula versandte zudem Droh-E-Mails an eine Petraeus-Familienfreundin, Jill Kelley, die hochverschuldete Tochter eines libanesischen Einwanderers, die einen glamourösen Lebensstil pflegt. Das Schuldenmachen ist in den USA hochangesehen.
 
Und wer sich angesichts solcher leitender, sportlicher und literarischer Parforce-Leistungen frägt, wie all das von Petraeus denn zeitlich zu bewältigen sei, erhielt zur Antwort, das nimmermüde Genie abe den Schlaf eben auf wenige Stunden reduziert. Vorbildlich: Für alle Erfolgstypen empfiehlt es sich, den Schlaf möglichst abzuschaffen, ansonsten ihre Erzählungen, übermenschliche Leistungen betreffend, unglaubwürdig werden. Motto: Manager schlafen nicht, fast nicht, arbeiten immer, fast immer jedenfalls.
 
Der Zickenkrieg
Der Rest ist ebenso bekannt. Petraeus’ Seitensprünge wurden aufgrund eines Zickenkrieg-E-Mail-Verkehrs bekannt. Broadwell forderte mailend und drohend Kelley auf, gefälligst die Finger von Petraeus zu lassen. Als das ans Licht kam, stand der verheiratete Asket (60) plötzlich als Casanova mit abgesägten Hosen da. Die Verherrlichungsindustrie schaltete von Dur auf Moll, auch in Bezug auf Paula (40). Sie galt jetzt als karrierebesessen, eitel, rachsüchtig. Der sexbesessene Oberspion musste als CIA-Chef zurücktreten und kann sich das Langstreckenlaufen nun sparen.
 
Held bleibt Held
Barack Obama hatte sein erstes gravierendes Problem in seiner soeben angelaufenen 2. Amtsperiode und entschloss sich, das Scheitern und Fallen des Superhelden als politisches Geschäft zu nutzen. Petraeus, nun nicht mehr zu gebrauchen, durfte seinen Status als Elite-Superheld behalten. Obama danke für den „ausserordentlichen Dienst“, den der Vier-Sterne-General den USA erwiesen habe; er habe das Land „sicherer und stärker“ gemacht, ohne dies näher zu erläutern. Er schloss Holly Petraeus, die betrogene Ehehälfte des Vorzeigehelden, in seine Gedanken und Gebete ein. „Ich wünsche ihnen nur das Beste in dieser schwierigen Zeit“ (Obama). Das wünsche ich Obama auch.
 
Mysteriöser Rücktritt
Man weiss nicht so recht, ob die Beziehungen Daves zu Paula der einzige Rücktrittsgrund war. Selbst der Rücktrittszeitpunkt war Anlass für wilde Spekulationen, ebenso das Rätsel „Bengasigate“ (Ermordung des US-Botschafters, Christopher Stevens, und von 3 weiteren Amerikanern in Libyen, der um Verstärkung gebeten hatte). Zusammenhänge? Verschleierung? Verschwörungstheorie?
 
Die Bundespolizei FBI, die über Petraeus’ Ausschweifungen längst informiert war, hätte den Fall am liebsten unter dem Deckel gehalten, wahrscheinlich im Gedenken an ihren ehemaligen kriminellen Direktor J. Edgar Hoover, der im Sexualleben von Politikern und Prominenten herumstochern liess und die Erkenntnisse für Erpressungen benutzte. Sie ist an Erfahrungen gereift, und sah richtig.
 
Ehebruch läuft nicht immer so glimpflich wie bei Bill Clinton ab, der eine Praktikantin verführte und als grosser Staatsmann, um die US-Terminologie zu strapazieren, gilt. Die Potenz älterer Herren ist ja ein untrügliches Zeichen für deren Erwähltheit, wenn ich die Bibel richtig interpretiere. Man kann das im 1. Buch der Könige ganz am Anfang nachlesen. Das sehr schöne Mädchen Abischag vermochte im alternden König David Wärme zu erzeugen, womit das heilige Feuer der sexuellen Potenz gemeint ist, ohne das es keinem König gestattet war, zu herrschen.
 
Das scheint im heutigen, hin und wieder betont prüden und hochreligiösen Amerika nicht immer zu gelten. Und das Herumstochern brachte noch einen 4-Sterne-General, ebenfalls ein Musterbeispiel an professioneller militärischer Führung, John R. Allen, in Bedrängnis, wahrscheinlich zu Fall. Im Oktober 2012 war Allen (58) von Obama zum Oberkommandierenden der Nato nominiert werden, Anfang 2013 sollte er in sein Amt als oberster Weltkrieger eingeführt werden.
 
General Allen ist im Moment US-Oberkommandierender in Afghanistan – wo die USA ihre „Schutztruppe“ Isaf haben, wie die Deutschen damals etwa in Namibia, wo es um die Ausrottung der angestammten Bevölkerung ging. Gegen Allen wird im Zusammenhang mit der Petraeus-Affäre wegen „unangemessener“ E-Mails an die Freundin des gestrauchelten CIA-Chefs, Jill Kelley, ermittelt. Das FBI liest gerade etwa 30 000 Seiten an Korrespondenz.
 
Die Sprache
Wie gesagt: Es ging hier um rein sprachliche Dinge – um die verbale Heldenverehrung nach US-Muster, aus der sich auch in anderen als den englischen Sprachräumen ein ganz neuer Wortgebrauch entwickelt hat. Der Begriff Held, der früher noch für ausserordentliche Leistung hinsichtlich Stärke und Tapferkeit verwendet wurde, ist heute so abgedroschen wie das Wort Elite (Auserlesene) und Super (Spitze, das Allerbeste). Alles, was aus Amerika kommt, ist heldenhaft, gehört zur Elite und ist super. Es ist high (hoch, edel) – bis zu den High Schools (bei uns die letzten Jahre der Volksschule).
 
Selbst verlorene Elitekriege mit ihrem unermesslichen Elend ändern nichts an dem euphorisierenden Sprachgebrauch, der global Nachäffer findet. Echt super.
 
 
Hinweis auf ein weiteres Blog mit Bezug zu Petraeus
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