Textatelier
BLOG vom: 11.01.2013

Londoner Tube (U-Bahn) feiert den 150. Geburtstag

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Am 9. Januar 2013 bestiegen Lily und ich die District Line in Wimbledon um 6:30 Uhr abends. Am 9. Januar 1863, also vor 150 Jahren, fuhr die 1. U-Bahn, von einer Dampflokomotive gezogen, von Paddington nach Farringdon. Damit war die Metropolitan Line eröffnet. Lüftungsschächte entliessen damals die aufgestauten Dampfwolken der Lokomotive ins Freie.
 
Unser Fahrziel war die High Street Kensington Station. Diesmal war ich der Gastgeber eines Familientreffens im persischen Restaurant Mohlsen. Das Datum war gleichzeitig der Geburtstag unseres Sohns Adrian. Dieser gekoppelte Anlass kam mir sehr gelegen. Ohne zwingenden Grund vermeide ich die U-Bahn, ganz besonders während der Stosszeiten.
 
Wir mussten uns in Wimbledon durch die Menge der Heimkehrer von ihrer Arbeit in der Stadt schlängeln. Wimbledon ist die Endstation der District Line. Langsam fuhr der Zug gegen das Schienenende des Bahnsteigs. Staräugig und hastig flutete die Masse von Fahrgästen aus dem Zug. Der leere Wagen war mit Zeitungen übersät, mit Plastikflaschen und Bechern, und unvermeidlich auch mit den Hüllen von Snacks und Speiseresten.
 
Die gesamte U-Bahn hat 270 Stationen und ein Schienennetz von über 400 km Länge, wovon die Hälfte in die sogenannten „tubes“ (Röhren) eingebettet ist. Jährlich schleust die U-Bahn rund 1 Milliarde Passagiere über 11 Linien ins und durchs Zentrum von London bis tief ins Metropolitanland ausserhalb der Stadt. Mit 74 km ist die Central Line die längste U-Bahn-Strecke. Die Bakerloo Line hat die meisten Windungen, welche die Räder zum Krächzen bringen.
 
Vor der Einfahrt in die High Street Kensington Haltestelle formen die Schienen ein weiten Rundbogen, der ebenfalls schrill auf die Ohren einwirkt. In dieser Haltestelle hatte ich Lily mit einem Kniefall meinen Heiratsantrag gemacht … Ich mag Haltestellen, die in eine Arkade münden, wie jene an der High Street- und South Kensington. Als wir nach einer halbstündigen Fahrt über Treppen in die Nacht emporstiegen, hielt ich kurz inne und besah mir den schmiedeisernen Aufbau dieser Arkade, der von einem runden Oberlicht umrahmt ist.
 
Wie in Paris gibt es auch in London viele sehenswerte Metrostationen, teils noch mit viktorianischen Kacheln verziert. Mein Augenmerk gilt dort jeweils auch den Plakatanschlägen. Zu den sehenswerten Haltestellen zählen: Gloucester Road mit der langen Plakatwand, Baker Road mit Silhouetten von Sherlock Holmes, Tottenham Court mit Mosaiken von Eduardo Paolozzi.
 
Ungleich einfacher als in Paris ist die genial konzipierte Übersichtskarte des gesamten Londoner Schienennetzes. Jeder Tourist findet sich damit leicht zurecht. Zum Wahrzeichen der „tube“ ist das sogenannte „roundel“, der rote Kreis, vom Wort „Underground“ auf blauem Band durchschnitten. So lassen sich die U-Bahn Haltestellen leicht auffinden. Auf die Zugfenster ist dieses „roundel“ mit dem Vermerk „No Smoking“ aufgeklebt. Der blaue Dunst ist verbannt, mitsamt den Zigarettenstummeln.
 
Viel zu lange blieb der Unterhalt der „tube“ vernachlässigt. Jetzt werden alte Stromleitungen, die dauernd Signalpannen auslösen, nach und nach ersetzt. Die Rolltreppen müssen eine gewaltige Belastung aushalten und versagen immer wieder: Die langen Auf- und Abstiege von und zu den Metrolinien müssen dann zu Fuss bewältigt werden. Das veraltete Rollmaterial wird jetzt sukzessive ersetzt. Diese Instandstellungsarbeiten sind notwendig und sehr aufwendig, und sie bedingen, dass viele Stationen deswegen oft übers Wochenende ausser Betrieb gesetzt werden müssen.
 
Hinzu kommt der Bau der Crossrail-Verbindung (vergleichbar mit der französischen RER) mit ihrer Länge von 118 km. Der Tunnelaushub hat 2011 begonnen. Dieses 2-Milliarden-Pfund-Projekt erstreckt sich von der Westflanke in Maidenhead durch Londoner Knotenpunkte hindurch ostwärts bis Shenfield. Die Heathrow Terminale werden mit einbezogen. Es muss angenommen werden, dass dieses Projekt die Funktion der „tube“ beinträchtigen wird.
 
Jahrelang war ich werktags auf die U-Bahn angewiesen gewesen, zuerst zwischen South Kensington und Mansion House, unterwegs zur Upper Thames Street ins Zentrum der jüdischen Pelzhändler, später zwischen South Kensington und Ealing. Nachdem ich meine Beraterpraxis gegründet hatte, fuhr ich aus Zeit- und Kostenersparnisgründen mit der Metro zu verschiedenen Endstationen in meist trostlose Aussenbezirke, um von dort aus mein Ziel per Bus oder Taxi zu erreichen. Darüber gibt es wenig zu berichten.
 
Behinderten ist der Zugang zur U-Bahn erschwert. Rolltreppen hin oder her, gilt es immer und überall bei den Aus- und Eingängen kurze Treppen zu bezwingen. „Mind the gap“ warnen Lautsprecher, wo immer sich ein gefährlicher Abstand zwischen Türen und Bahnsteig auftut. Auch Frauen mit einem Kinderwagen haben Schwierigkeiten, es sei denn, ein galanter Passagier stehe ihnen bei.
 
Während des Blitzkriegs der deutschen Luftwaffe flüchteten die Bewohner in die tief gelegenen Bahnsteige der U-Bahnen. Das hat viele Leben gerettet und ist ein weiterer Grund, dieses Jubiläum zu begrüssen und zu feiern.
 
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