Textatelier
BLOG vom: 22.03.2013

Tabubruch am Beispiel Zypern: Rückkehr zum Sparstrumpf?

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Gewiss, auch der Sparstrumpf unter der Bettmatratze, wie ihn angeblich unsere Gross- und Urgrossmütter gehütet haben sollen, hatte seine Nachteile. Die Diebe wussten genau, wo man ans Ersparte heran kam, und das Geld brachte weder Zinsen noch eine anderweitige Rendite. Doch unter den neuen Sitten und Gebräuchen in der Europäischen Union (EU) müssen sich die EUROpäer allmählich überlegen, ob der Sparstrumpf nicht das geeignete Mittel sei, um die absurden Inszenierungen aus Brüssel/Deutschland einigermassen heil zu überstehen.
 
Die Rede ist hier von den Geschehnissen rund ums Rettungspaket für Zypern, wie es von den EU-Finanzministern ausheckt wurde. Zypern steht vor dem Ruin. In seiner abgemilderten Version sah der Plan für die verträumte Insel im südöstlichen Mittelmeer, der als Voraussetzung für den EU-Mittelfluss ausgedacht wurde, eine Zwangsabgabe auf Bankguthaben über 20 000 Euro vor – 5.8 Milliarden Euro sollten von den Sparguthaben und Anlagekonti abgezwackt werden. Das Volk geriet in einen heiligen Zorn. Ein grösserer Blödsinn hätte den Damen und Herren Finanzexperten wohl nicht einfallen können. Denn ein amtlicher Raubzug auf Bankguthaben anständiger Sparer, eine Nacht-und-Nebel-Aktion hinter ausser Betrieb gesetzten Bancomaten und verschlossenen Banktüren, ist das Perfideste, was man ehrenhaften Menschen antun kann.
 
Der Gesetzentwurf, wie er dem zyprischen Parlament auf Brüsseler Geheiss am 19.03.2013 vorgelegt wurde, sah vor, dass Bankguthaben zwischen 20 000 und 100 000 Euro einmalig mit 6.75 Prozent, Guthaben über 100 000 Euro mit 9.9 Prozent belastet werden. Das demokratiepolitisch katastrophale Ansinnen wurde in Nikosia mit guten Gründen klar abgeschmettert: 36 Abgeordnete stimmten dagegen, 19 enthielten sich. Kein einziger Abgeordneter gab eine Ja-Stimme ab. „Nein zu neuen kolonialen Abhängigkeiten, nein zur Unterwerfung, nein zur nationalen Entehrung und roher Erpressung“, tobte der sozialdemokratische Parlamentspräsident Yiannakis Omirou in der Debatte. Man fühlt mit ihm. Zypern muss nun allerdings einen alternativen Plan vorlegen, um den drohenden Bankrott abzuwenden, der die in die Falle geratenen Sparer noch mehr schädigen würde. Denn nur wenn die Zyprioten einen namhaften Beitrag leisten, sollte Geld aus der wegen all den EU-Pleitekandidaten in der Haftungsunion ohnehin überstrapazierten EU-Kasse fliessen (benötigt werden 10 Mia. EUR, ungefähr entsprechend der jährlichen Wirtschaftsleistung der Inselrepublik). Inzwischen springt die Europäische Zentralbank (EZB) ein; Emergency Liquidity Assistance“, heisst die Verflüssigungsmassnahme. Pflästerchen auf Pflästerchen, Bestandteile der Pflästerlipolitik.
 
Die Banken auf Zypern waren vor allem wegen des Schuldenschnitts in Griechenland in Schieflage geraten – Zypern musste mitbluten. Was sich auf der kleinen Inselrepublik, die geografisch zu Asien und nicht zu Europa gehört, mit ihrem durch russische Gelder aufgeblähten, steuerparadiesischen Bankenplatz abspielt, könnte der Restwelt eigentlich egal sein, hätte nicht nur schon die Idee, dass sich ein Staat unter Umständen von den Sparguthaben seiner Bürger bedienen könnte, die Wirkung eines Fanals, eines Feuerzeichens. Die erschütternde Botschaft: Sparguthaben sind nicht mehr sicher, nicht allein auf Zypern, ein hundertprozentig funktionierendes Mittel, um Bankenstürme (neudeutsch: Bank Runs) auszulösen. Die Zyprioten haben in der Woche des astronomischen Frühlingsbeginns schon gar nicht gewagt, ihre Banken zu öffnen, was tief blicken lässt. Die 2 grössten Institute – die Bank of Cyprus und die Laiki Bank – haben ohnehin kein Geld mehr.
 
Möglicherweise springt Russland ein, um die Anlagen der eigenen Oligarchen zu retten, einen verbesserten Zugriff zu den Erdgasvorkommen im Mittelmeer südlich vor Zypern und zu strategisch bedeutenden Punkten zu erhalten – was dem Westen gar nicht passen würde. Zahlreiche russische Firmen haben ihren Sitz auf Zypern (so Norilsk Nickel usf.); der Erdgasriese Gazprom, an dem der russische Staat zu 50 Prozent beteiligt ist, wickelt zahlreiche Geschäfte über Zypern ab. Im Wesentlichen handelt es sich bei der möglichen Hilfe aus Moskau um eine Verlängerung eines russischen Kredits über 2.5 Milliarden Euro.
 
Der österreichische Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister qualifizierte den Ukas aus Brüssel so ab: Ich bin empört über die Dummheit der EU-Eliten, weil sie nicht das Geringste von Wirtschaftsgeschichte zu wissen scheinen.“ Er fügte bei, die Euro-Politiker hätten keinen Fehler ausgelassen, der zwischen 1930 und 1933 gemacht worden sei ‒ da seien etwa die Sparpolitik generell, die Länder gegeneinander auszuspielen oder Volkswirtschaften, die sich als Firmen begreifen. Der spanische Ökonom José Carlos Diaz kommentierte die Vorgänge mit der Feststellung, in Europa gebe es kein Zeichen intelligenten Lebens. Hoffentlich lesen das die Schweizer Sozialdemokraten und übrigen linksorientierten Masochisten, die der EU partout beitreten wollen.
 
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den geplanten EU-Raubzug zusammen mit Finanzminister Wolfgang Schäuble mitinitiierte und mittrug, hatte noch 2008 den deutschen Kleinsparern versichert, ihr Geld sei sicher. Das gilt nun nicht mehr, vorerst jedenfalls nicht für ein anderes EU-Land.
 
Was in Bezug auf das wirtschaftlich unbedeutende Zypern, wo die Steuern niedrig sind und die Finanzinstitute kaum kontrolliert worden waren, ausgedacht wurde, kann auch die anderen, sich ständig vermehrenden Pleitestaaten und am Ende die gesamte EU betreffen. Schliesslich wäre es ein Verstoss gegen die Gleichbehandlung aller Mitglieder der EU, nur gerade die zyprischen Sparer (einschliesslich der Grossanleger, worunter auffallend viele Russen) auszunehmen. Die in einem Euro-Land angelegten Gelder müssen ab sofort als unsicher betrachtet werden. Nur hier? In der Schweiz wurde im Herbst 2012 eine „Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) über die Insolvenz von Banken und Effektenhändlern“ in Kraft gesetzt, worin der Finma die Möglichkeit eingeräumt wird, zur Sanierung einer Bank die Umwandlung sämtlicher Einlagen in Eigenkapital anzuordnen. Das schliesst den Zugriff auf Spareinlagen nicht aus (Quelle: Kurt Schiltknecht in der „Weltwoche“ 2013-12).
 
Solches segelt im Rahmen der europäischen Wirtschaftspolitik unter dem Motto differenzierte, wachstumsfreundliche Haushaltssanierung“. Den Bürgern, die sich von nun an vor dem staatlichen Diebstahl fürchten müssen, helfen solch euphemistische Worthülsen gar nicht. Die EU-Staaten versinken Tag für Tag stärker in der Krise, zu der noch wachsende soziale Spannungen kommen. In den Hülsen explodieren vorerst Knallpetarden.
 
Das ist nicht alles. Durch unreflektierte, geradezu haarsträubende Ideen via Brüsseler Machtzentrale werden Anleger und Märkte verunsichert, woraus ein kolossales Tohuwabohu resultiert, das die Retter wieder mit neuen Stolpersteinen anreichern, über die sie trottelig stolpern.
 
Besonders schwerwiegend sind bei diesem politischen Dilettantismus Vertrauensbrüche, unter denen die Zugriffe auf private Sparbatzen wirksam sind. Das bedeutet auch eine Bevorzugung der Schuldenmacher, die von den Kapitaldiebstählen nicht betroffen sind – wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren. Die Verschuldeten sind nackt, wie die am Strand von Petra tou Romiou auf Zypern einer Muschel entsprungene Göttin der Liebe und Begierde, Aphrodite, aber nicht so schön.
 
In Zypern machen die Götter Urlaub, heisst es in der touristischen Werbung. Im Gegensatz zu den Normaltouristen dürften sie nicht in Euro bezahlen; denn Götter leben gratis und brauchen keine Unterstützung.
 
Meinen ersten Besuch auf Zypern machte ich 1995 (als Individualtourist), wobei mir der damals noch abgetrennte türkische Norden einen besonders starken Eindruck hinterliess. Der Grenzübertritt von Süden aus durch die Uno-Abschrankungen wurde im griechischen Teil nicht gern gesehen; ich kümmerte mich nicht darum und wurde in Nordzypern als Rarität empfangen und in einer Staatslimousine herumgeführt. Heute ist immerhin ein Handelsverkehr zwischen den beiden Inselteilen möglich. Doch der Norden ist international mit Ausnahme der Türkei noch immer nicht anerkannt; er ist ein Sondergebiet der EU, beherbergt rund 280 000 Einwohner und bezahlt mit der türkischen Lira als Währung. Je weniger Berührungen Nordzypern mit der EU in ihrem heutigen desolaten Zustand hat, umso mehr dürfte es sich darüber freuen.
 
In den Medienberichten zum missglückten Rettungspaket bleibt Nordzypern meistens ausgeklammert. Denn dieser noch immer durch eine von der Uno gesicherte Grenzlinie abgetrennte Inselteil ist von den „Rettungspaketen“ und den A- und B-Plänen nicht betroffen. Die Bankgeschäfte funktionieren dort normal. EU-Normen und -Gesetze gelten nicht, auch wenn dieser Teil seit 2004 formell zur EU gehört. Im Wesentlichen hat dort die Türkei das Sagen (30 000 türkische Soldaten sind dort stationiert), die sich aber dennoch tolerant verhält.
 
Wer nicht zur Zwangsgemeinschaft EU mit ihren Zwangsabgabenfantasien gehört, hat die besseren Karten. Was passiert, wenn der Euro zerbricht?
 
 
Hinweis auf ein weiteres Blog über Zypern
09.12.2009: Zypern: Von Erlenblättrigen Eichen und Johannisbrotbäumen
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