Textatelier
BLOG vom: 29.05.2013

Legionellen: Die Fahndung nach Bakterien in Wasserrohren

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Als sich im Jahr 1976 Veteranen der American Legion zum jährlichen Treffen in einem Hotel in Philadelphia trafen, konnte keiner ahnen, dass sich bald darauf eine Tragödie ereignen würde. 182 von mehr als 4000 Teilnehmern erkrankten an einer akuten Pneumonie. Es starben 29 Personen (Letalität 16 %). Zunächst waren die Ärzte ratlos, warum es zu einer solch hohen Erkrankungszahl kam. Erst 6 Monate später wurde der auslösende Erreger identifiziert. Es handelte sich um Legionella pneumophila. Von nun an sprach man von der Legionärskrankheit. Und woher kamen die Erreger? Aus der Klimaanlage des Hotels.
 
Warum ist das Thema für mich interessant und ein Blog wert? Unser Hausverwalter eröffnete uns anlässlich einer Eigentümerversammlung, dass im Herbst 2013 in unserem Haus eine Legionellenprüfung anstehe. Insgesamt sollen in Deutschland 2.1 Millionen Gebäudebesitzer verpflichtet werden, eine solche Prüfung durchzuführen.
 
Gab es in der Vergangenheit weitere Fälle von Erkrankungen mit Legionellen? Schon 1968 kam es zu einer Epidemie in Pontiac (Michigan). Die Krankheit forderte dort keine Todesopfer. Die Patienten litten und dem „Pontiac-Fieber“. Es handelte sich um eine fiebrige, grippeähnliche Erkrankung mit einer Inkubationszeit von bis zu 2 Tagen. Damals wusste man nicht, dass die Infektion mit Legionellen 2 unterschiedliche Verlaufsformen zeigen, eben die Legionärskrankheit (schwere Lungenentzündung, Inkubationszeit: 2 bis 10 Tage, in seltenen Fällen bis zu 2 Wochen) und das Pontiac-Fieber.
 
1999 kam es im holländischen Bovenkarspel zu einer Erkrankung durch 2 verseuchte Whirlpools. 233 Personen waren betroffen, 22 starben. In Murcia (Spanien) wurden die Legionellen über Kühl/Klimaanlagen verbreitet. Es kam zu 805 Erkrankungen und 3 Todesfällen. 2010 gab es in Neu Ulm durch ein Rückkühlwerk 65 Erkrankungen und 5 Todesfälle.
 
Wie das Bundesamt für Gesundheit der Schweizerischen Eidgenossenschaft (www.bag.admin.ch) berichtete, werden in der Schweiz jährlich 190 bis 250 Legionellose-Fälle gemeldet. In Deutschland gelangen die Erkrankungszahlen in die Tausenden.
 
Wo vermehren sich Legionellen?
Zwischen 70 und 90 % sind an den Erkrankungen die Art Legionella pneumophila Serogruppe 1 bedingt. Aber es gibt noch 21 andere Arten, die menschenpathogen sind. Diese kommen jedoch selten vor.
 
Legionellen sind übrigens in allen wässrigen und feuchten Umgebungen anzutreffen. Solange sie sich in ihrem natürlichen Ökosystem befinden, verursachen sie keine Probleme. Der Mensch ist hier leider selbst schuld. Durch den gesteigerten Komfort und dem überhandnehmenden Freizeitverhalten (Warmwassersysteme, Klimaanlagen, Sprudelbäder wie Jacuzzi, Whirl Pools, Wasserversprühung z. B. bei künstlichen Wasserfällen, Fontänen, Wasserrutschen) vermehren sich die eingeschleusten Legionellen rasant.
 
Die Legionellen vermehren sich zwischen 30 °C und 45 °C optimal. Laut dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (www.lgl.bayern.de) erfolgt ab 50 °C kaum noch eine Vermehrung; bei etwa 5 °C und noch tiereren Temperaturen ist diese ebenfalls nicht mehr möglich. In diesem Temperaturbereich sterben die Bakterien langsam ab. „Eine sichere und mit steigenden Temperaturen zunehmend raschere Abtötung findet erst knapp oberhalb von 60 °C statt.“ Die Bakterien vermehren sich besonders gut in Wassersystemen, in denen Wasser nicht konstant erneuert wird.
 
Wer beispielsweise aus dem Urlaub kommt, sollte unbedingt die Wasserleitungen durchspülen. Die Ansteckung erfolgt nicht von Mensch zu Mensch, sondern durch das Einatmen von zerstäubten Wassertröpfchen.
Gefordert wird eine Heisswassertemperatur von 60  °C am Boilerausgang bzw. 55 °C im Leitungssystem. Die Kaltwassertemperatur sollte unter 20 °C liegen.
 
Zu beachten ist auch, dass man die Warmwasserleitungen, die sich neben den Kaltwasserleitungen befinden, isoliert, da sonst das kalte Wasser erwärmt wird.
 
Wer ist besonders gefährdet?
Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Raucher und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Dies ist beispielsweise bei Diabetikern der Fall. Die „armen“ Männer erkranken doppelt so häufig wie Frauen. Kinder sind selten betroffen.
 
Ein Fall aus der Praxis
In einem Hochhaus in Neu-Ulm fanden Prüfer erhebliche Mengen an Legionellen im Wassersystem, die dann in einem aufwendigen Prozess eliminiert wurden. Für die 500 Bewohner wurde ein Duschverbot ausgesprochen. Die Hausbewohner mussten ein halbes Jahr warten, bis sie wieder duschen konnten.
 
Eine 84-jährige Hausbewohnerin ärgerte sich und betonte, sie könne den Trubel um die Legionellen nicht verstehen. Sie setzte sich über das Duschverbot hinweg und wurde nicht krank. Hatte sie ein gutes Immunsystem oder befanden sich in ihrem Sprühkopf der Dusche keine Legionellen?
 
Welche Untersuchungen sind üblich?
Das haben wir in unserem Mehrfamilienhaus zu erwarten: Probeentnahmen an mehreren Stellen des Wassersystems. Die Wasserproben werden in einem Untersuchungsamt auf Legionellen geprüft.
 
Interessant sind Beanstandungen, die 2012 wurden in Bayern publik wurden. Es sind Folgende:
 
Anzahl Trinkwasserproben 2846
davon nicht beanstandende Proben 2450 (86,1 %)
Zahl der Beanstandungen insgesamt 396 (13,9 %)
Beanstandungen = 100 bis = 1000 KBE/100 ml 291 (10,2 %)
Beanstandungen > 1000 bis = 10 000 KBE/100ml 84 (3 %)
Beanstandungen > 10 000 KBE/100 ml 20 (0,7 %).
 
KBE bedeutet koloniebildende Einheit (< 1 KBE/Liter sind z. B. im kalten Grundwasser).
 
Was tun, wenn eine Bekämpfung notwendig ist? Bekämpfungsmassnahmen sind thermische Desinfektion, intermittierende Aufheizung des Trinkwassererwärmers auf 70 °C, Desinfektion des Trinkwassers durch Chlordioxid, Desinfektion des Trinkwassers durch UV-Bestrahlung, Desinfektion der Trinkwasser-Installation durch Peroxidverbindungen, Chlor oder Chordioxid und durch Filter. Bei den aufgeführten Akutmassnahmen gibt es Vor- und Nachteile (keine ausreichende Wirkung, unerwünschte Nebenwirkungen). Die Massnahmen sind nur erfolgreich, wenn alle Stellen des Trinkwassersystems damit erreicht werden.
 
Wir hoffen, dass in unserem Haus alles in Ordnung ist und wir in Ruhe weiter duschen können.
 
Internet
(Zu den am häufigsten gestellten Fragen gibt es fundierte Antworten)
www.badische-zeitung.de („Keimjagd im Wasserrohr“, Wissensbeitrag vom 20.04.2013).
 
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