Textatelier
BLOG vom: 04.08.2013

Zuviel Gepäck drückt aufs Gemüt oder auf den Magen

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Erinnerungen lassen sich nicht bevormunden. Das gilt besonders für schlechte Erfahrungen, die uns beschweren. Ein empfindliches Gemüt gleicht einem Seismografen, der selbst auf lässliche Verstösse reagiert. Gedankenlos begangenes Unrecht und Grobheiten häufen sich im Verlauf des Lebens. Kleine Vorteile, die wir für uns ergattern, wiegen mit. Erhielten wir etwa einmal zu viel Wechselgeld, das wir anstandslos einstrichen?
 
In London werden die geringsten Verkehrssünden vom CCTV gefilmt. Schon am nächsten Tag bringt die Post den Bussenzettel. Am letzten Samstag parkierte ich das Auto beim Bahnhof in Wimbledon Broadway. 10 Minuten wurden mir gratis zugebilligt. Gerade ausreichend, um die Wochenendzeitung zu kaufen. Ich setzte mich wieder ins Auto, sichtete eine Verkehrslücke und wechselte hurtig die Fahrbahn für die Rückfahrt auf der anderen Strassenseite. Dabei ersparte ich mir eine Rundfahrt und 2 Verkehrsampeln, um die Fahrspur zu wechseln. Erst nachher war ich beunruhigt. Wurde ich bei meinem Wendemanöver von der Kamera erwischt? Die Strassenarbeiten für diese Parkplätze wurden vor wenigen Tagen beendet. Ich vergewisserte mich am Montag, dass noch kein CCTV eingerichtet war. Ansonsten hätte mich die Zeitung insgesamt £ 62 gekostet.
 
Es wimmelt von Gelegenheitsdieben in London. Mit solchen Bagatellen beschäftigt sich die Polizei nicht mehr. Aber sie schaltete sich sofort ein, als Gelegenheitsdiebe eine Stradivarius entwendeten, während die international berühmte koreanische Violinistin Min-Jin Kym vor 3 Jahren eine Tasse Kaffee trank. Die 3 irischen Diebe wurden erwischt. Das war kein Bagatellfall mehr. Die Diebe wollten das teure Instrument im Wert von £ 1.2 Mio. in einem Pub für £ 100 loswerden, aber fanden dafür keinen Käufer. Sie befreiten sich von diesem Gepäckstück im Kleiderschrank bei Bekannten. Trotz des Finderlohns von £ 30 000 blieb die Geige jahrelang verschollen. Die Virtuosin war „on cloud nine“ (auf Wolke 7), als sie endlich wieder mit ihrer Geige vereint war.
 
Ich bin zur Einsicht gekommen, dass selbst ein empfindliches Gemüt uns nach und nach von gewissen Mängeln, die uns bedrücken, befreit. Es bleiben noch genug davon übrig, die wir loswerden sollten …
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Das Leben wäre langweilig, wenn wir uns wie Säulenheilige verhalten müssten. Abenteuerlust treibt uns in die weite Welt, wo wir allerlei Erfahrungen sammeln – gute wie schlechte, selbst verschuldete oder nicht, woraus wir manchmal heilsame Lehren ziehen, die unseren Lebenswandel beeinflussen. Als Leute noch eng mit ihrer Scholle verbunden waren, war ihrer Abenteuerlust Grenzen gesetzt, und sie konnten sich nicht wie heute in allen Richtungen austoben. Sie kamen mit wenig Gepäck – und Geld – durchs Leben. Anders gesagt, der Schuster blieb bei seinem Leisten und behielt sein Gemüt schadlos.
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Heute wird die Kauflust mit aller Mediengewalt vorangetrieben. Die Werbung beschwört schiefe Bilder auf: Das neue Automodell fährt im Werbefilm stets auf verkehrsfreien Strassen. Die Regale der Supermärkte sind mit Fressalien aller Art vollgestopft, mit der Aufforderung wie: „buy 2 and get 1 free“. Der Kühlschrank wird vollgestopft. Dort vergessen verderben viele Nahrungsmittel.
 
Besonders in England werden die Angebote im Einzelhandel durchwegs mit den Endzahlen 9.99 oder 999 beschriftet. Das gilt selbst für Liegenschaften. So kostet eine Büchse Sardinen £ 2.99, eine Hotelübernachtung wird mit £ 69 angepriesen, ein Klappsitz für den Garten wurde von £ 179.99 auf £ 99.99 reduziert. Sogenannte Verkaufsschlager, etwa um 50 % verbilligte Polstermöbel, erweisen sich öfters als Reinfälle. Wurde der ursprüngliche Preis hochgetrieben, handelt es sich um Ausschussware und Ladenhüter? Mit solchen Kniffen wird die Raffgier angefeuert. Ist der Konsument wirklich so dumm, dass er sich mit solchen Mätzchen ködern lässt? Ich meide sie und kaufe lieber weniger und entlaste mich damit von unnötigen Ausgaben. Das wirkt beruhigend. Kommerzieller Humbug schlägt mehr auf den Magen als aufs Gemüt. Nach diesem Abstecher sei wieder ins Hauptthema eingeschwenkt.
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Heute gilt es als schick, eine Ehe gegen eine andere, wenn nicht gar 2, 3 oder 4, auf- und einzulösen. Das Scheidungsfieber grassiert. Gewinner sind die Anwälte bei der Aufteilung des Vermögens – sie streichen saftige Honorare ein. Lässt sich Mann oder Frau wie ein alter Reifen austauschen? Dabei werden gemeinsame Erinnerungen wie Abfall entsorgt. Ein neuer Bekanntenkreis muss geschaffen werden. Die skandalumwitterten Celebs (Berühmtheiten) dienen als Vorbilder, die es nachzueifern gilt. Die Leidtragenden sind die Scheidungskinder.
 
Unterdessen vermehrt sich, wie zu den Römerzeiten, die Zahl der Schwulen wie Kaninchen, wiewohl sie sich nicht geschlechtlich vermehren können. Dennoch wollen sie einander nicht nur heiraten, sondern ihr Bund soll erst noch vom Priester gesegnet werden. Die Kirche, die katholische nicht ausgenommen, will die schwindende Zahl der Gläubigen mit Zugeständnissen aufpäppeln. Ob das moralisch verwerflich ist oder nicht, bleibe dahingestellt. Mich ficht das nicht an und geht mich auch nichts an. Ausserhalb der westlichen Welt, ganz besonders in islamischen Staaten, werden die Schwulen nach wie vor geächtet, wenn nicht gar verfolgt. Das ist ebenfalls verwerflich.
 
Dank der „Fortschritte“ des von IT ermöglichten „Medienkults“ liegt Sex in allen Abarten in Filmen, Videos und im Internet jederzeit zugänglich auf. Selbst Kinder werden von Pädophilen als Sexobjekte abgerichtet.
 
Der zunehmende Missbrauch der IT, wovon, nebst E-Mails, auch Twitter und Facebook betroffen sind, wirkt störend aufs Gemüt. Anonyme Absender (von der Presse „Trolls“ genannt) drohen Frauen mit Vergewaltigung. Stella Creasy, Member of Parliament, wurde auf die unflätigste Art von einem „Troll“ verfolgt und bedroht. Ich zitiere 2 ekelhafte Texte auf Englisch: „I will rape you tomorrow at 9pm … Shall we meet near your house?????” – “Meet you in an alley, you will definitely get it.”
 
Ms. Creasy sprang Caroline Criado-Perez bei, nachdem diese Dame ähnliche “Tweets” erhalten hatte. Frau Criado-Perez schlug bloss vor, dass die Schriftstellerin Jane Austen auf der neuen 10-£-Banknote gewürdigt werde. Dieser erfreuliche Vorschlag wurde inzwischen gutgeheissen!
 
Diese „Trolls“ haben sich strafbar gemacht. Das trifft auch auf Stalker zu. Die IT hat „Twitter“ und „Facebook“ ermöglicht. Die IT sollte somit auch in der Lage sein, diesen Missbrauch zu sperren. Es muss hinzugefügt werden, dass diese „Trolls“ ihre Identität laufend wechseln. Wer sich bedroht fühlt, kann einfach „Twitter“ und „Facebook“ annullieren.
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Somit gibt es viele Arten von eigenem Verhalten oder Einflüssen von aussen, die uns aus dem Senkel werfen und unser Gemüt belasten.
 
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