Textatelier
BLOG vom: 11.08.2013

Hinschied Heinz Suter: Nachruf, verfasst von Pirmin Meier

Einleitung: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Verfasser des Nachrufs auf Heinz Suter: Pirmin Meier, historiografischer Schriftsteller, Rickenbach LU
 
 
Noch in diesem Monat August 2013 wollten wir uns auf dem Eichberg (Seengen AG) treffen. In einer E-Mail vom 03.07.2013 schrieb mir Heinz Suter: „Deine Eichberg-Idee ist vorzüglich und soll realisiert werden; ich bin am Fusse des Eichberges in Seengen geboren worden. Halbtageweise bin ich wegen der Physiotherapie besetzt! Thema: Auf zwei Füssen und Beinen gehen lernen! Die Fortschritte sind enorm; auf die Übungen und das Üben kommt es an!
 
Vom 15. bis 27. Juli 2014 befinde ich mich auf einer Reise nach Ulaanbaatar (Ulan Bator, Mongolei). Vom 30. Juli bis 2. August 2013 bin ich im Schwarzwald, weil ich den 1. August meiner Familie und dem Hund nicht antun will. Die pausenlose Knallerei mit grossen Kalibern ist nicht auszuhalten."
 
Zu dem Treffen mit den üblichen tiefgründigen politischen Gesprächen, die für mich immer lehrreich und inspirierend waren, kam es leider nicht mehr: Am 28.07.2013 ist Heinz Suter in der Mongolei verstorben. Ich konnte die Nachricht, die mir Pirmin Meier am 07.08.2013 zukommen liess, kaum fassen. Es wurde etwas einsamer um mich.
 
Der bekannte Schweizer Autor und Biograf Pirmin Meier kannte den verstorbenen Heinz Suter eingehender noch als ich; die Kontakte begannen früher und mit seinem bewundernswerten Talent, Menschen darzustellen, kann ich mich nicht messen; dafür erhielt er mehrere Literatur- und Kulturpreise. Zu seinem opulenten (im Sinne von reichlichen und vorzüglichen) Werk gehören ein biografischer Diskurs über „Bruder Klaus von der Flüe“ (1997), ein „Kurzer Führer durch Leben und Werk von Reinhold Schneider“ (1972), ein Lebensbild von „Paracelsus. Arzt und Prophet“ (1993) usf. Hinzu kommen brillante Landschaftsdarstellungen („Landschaft der Pilger. Geheimnisvolle Orte im Herzen der Schweiz“, 2005; „Licht und Schatten über den Wassern: Vierwaldstättersee“ 2007; „Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen“ 2011) und neben vielen anderen Werken auch prägnante politische Schriften: „Fundamentalismus, eine neue Bedrohung?“ (1989); „Politik, Prinzipien und das Gericht der Geschichte“ (2007) und viele andere mehr. Wenn der Schriftsteller Hansjörg Schneider (in: „Sokrates und de Sade in Helvetien“, 2001) Pirmin Meier als „eigenständigsten, eigenwilligsten Schriftsteller seiner Generation“ bezeichnete, muss man dieser Charakterisierung zustimmen.
 
Umso mehr freut es mich, dass P. Meier fürs Textatelier.com den Nachruf auf Heinz Suter mit der ihm eigenen Sprachvirtuosität verfasst hat. Hier die biografische Notiz im Wortlaut:
 
Heinz Suter, eine besonnene Stimme der Politik ist verstummt
 
Pirmin Meier
 
Heinz Suter, bis 2006 Direktor der Aargauischen Industrie und Handelskammer und langjähriger FDP-Grossrat, starb am 28. Juli unerwartet in jenem Hotel von Ulan Bator, das dem Palast der mongolischen Handelskammer benachbart ist. So hatte sich sein Sohn Thomas (42) die aargauisch-mongolischen Beziehungen nicht vorgestellt, als er den Sarg des Vaters die Hoteltreppe hinunter tragen musste.
 
Nach einer Phase mit gesundheitlichen Problemen ging für Heinz und Rosmarie Suter im Juli ein Herzenswunsch in Erfüllung. Zwar nicht mit der Transsibirischen Eisenbahn, wohl aber per Flugzeug begab sich das Ehepaar in die Hauptstadt der Mongolei. Keine zufällige Destination. Die Gattin des Sohnes Thomas und Mutter des Enkels Romeo ist gebürtige Mongolin. Da machte ein plötzlicher Rückfall für Heinz Suter einen Spitalaufenthalt in der Fremde notwendig. Demselben zog der Aargauer ein baldiges Zusammensein mit der Familie im Hotel vor. Dass er dabei plötzlich dahingerafft würde, war mehr, als was sich seine Lieben vorstellen konnten. Nach einem beeindruckenden buddhistischen Ritual blieb Suters nichts anderes übrig, als die sterblichen Überreste in einer Urne zur endgültigen Verabschiedung in der reformierten Kirche Gränichen (16. August 2013, 14 Uhr) mit nach Hause zu nehmen.
 
Dr. iur. Heinz Suter, geboren am 1. November 1944 in Seengen als Sohn des Bautechnikers Theodor Suter und der Margrit Suter-Hächler, studierte nach der Bezirksschule in Gränichen und der Kantonsschule in Aarau (Matura 1964; Mitglied der Zofingia) in Zürich und fand seine erste Stelle im Finanzdepartement unter Regierungsrat Leo Weber. Der Student Heinz Suter, der von der Generation her noch ein sogenannter 68er hätte sein können, war wie diese zwar ein politisierter junger Mann, aber andersherum und durchaus bürgerlich. Als Mitglied der liberalen Verbindung Zofingia, zu deren Gründergeneration u. a. noch Erstunterzeichner der Bundesverfassung von 1848 wie Jakob Robert Steiger gehört hatten, setzte sich Heinz Suter als Zofinger nachhaltig nicht nur für die gesellschaftliche, sondern vorab auch für die politische Profilierung der Verbindung ein. Das war ihm wichtiger als das Militär, welches ihm weniger lag. Ohnehin stand für den Juristen Suter weniger eine Karriere als Anwalt, in Politik und Militär im Vordergrund, wie sie damals noch für viele nahe lag, sondern ein qualifiziertes Engagement in der Verwaltung. Dass hier freiheitliche Grundsätze genau so wichtig sind wie in der Wirtschaft, war für ihn schon längst bevor „New Public Management“ Mode wurde (dem er misstraute wie allen blossen Trends) eine Lebensrichtlinie.
 
Entscheidend für seine Laufbahn wurde 1973 die Berufung zum Sekretär des Aargauer Verfassungsrates, wofür sich Nationalrat Julius Binder(CVP) und AT-Chefredaktor Samuel Siegrist (FDP) stark gemacht hatten. Als Profi unter 200 Amateuren dirigierte Suter von der Aarauer Pelzgasse aus die unter sechs Verfassungsratspräsidenten kaum geführte Totalrevision der aargauischen Kantonsverfassung. Dem Geschehen Profil gaben der dem Rat nicht angehörende Verfassungsredaktor Prof. Kurt Eichenberger und Bundesrichter Carl Hans Brunschwiler sowie die künftigen Regierungsräte Thomas Pfisterer und Kurt Wernli. Ohne Heinz Suter aber ging in diesem Sonderparlament ohne Regierung nichts.
 
Nicht nur für die jeweiligen Verfassungsratspräsidenten Julius Binder, Ernst Haller, Oberstdivisionär Hans Trautweiler, Hans-Martin Steinbrück, Fritz Stäuble und Immanuel Leuschner war er jeweils die rechte Hand mit je „pfannenfertiger“ Vorbereitung jeder einzelnen Plenumssitzung. Auch „kleine“ Ratsmitglieder und Aussenseiter konnten sich auf seinen Rat verlassen. Einerseits wusste er diplomatisch dem einen oder anderen Übereifrigen den Unterschied zwischen Verfassung und Gesetz klar zu machen und auch, dass eine Verfassungs-Totalrevision nicht mit universaler Weltverbesserung zu verwechseln ist. Andererseits war es bei grundsätzlichen Verfassungsproblemen nicht dienlich, wenn keine Alternativen vorgeschlagen wurden. So beispielsweise bei der Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat, bei welcher Frage sich zumal reformierte Pfarrherren mit SP-Parteibuch und katholische Kirchenvertreter nicht genug hervortun konnten mit dem Lob der vergleichsweise gut geregelten Verhältnisse im Kanton Aargau, die tatsächlich mit der stossenden feudalistischen Kirchengesetzgebung im Kanton Zürich nicht vergleichbar sind. Trotzdem wäre gerade auch das aargauische System nicht näher erklärt und begründet worden, wenn es nicht durch entsprechende Gegenanträge auf Trennung von Kirche und Staat in Frage gestellt worden wäre.
 
In seiner Zeit als Sekretär des Aargauer Verfassungsrates schloss Heinz Suter noch seine juristische Dissertation ab. Dies war nicht etwa Ausdruck einer ruhigen Kugel, die er in seinem Amt keineswegs schieben wollte, sondern ein höchst grundsätzlicher Ausdruck seiner Tätigkeit: „Wertpluralismus und Recht“ lautet nämlich der Titel der Arbeit, die 1979 bei Schulthess in Zürich erschien. Dies war genau die Aufgabe, welche die sehr grundlegende aargauische Verfassungsrevision als eine Art Modell zur gesamtschweizerischen von 1999 zu erbringen hatte. Was also Heinz Suter hier leistete, war geistige Synergie im besten Sinne, ein konstruktiver Beitrag zur Weiterentwicklung des Rechts im Grundsätzlichen. Im Büro des Ratssekretärs fielen mir die Publikationen meines Lehrers in politischer Philosophie, Hermann Lübbe, auf, so etwa das Buch „Theorie und Entscheidung“ (1974).
 
Ab 1979 amtete Suter als Sekretär, schon bald darauf als Direktor der Industrie- und Handelskammer, welches Amt er nachhaltig mit einem Grossratsmandat begleitete. Das Ratspräsidium und andere Prestigeposten strebte er nicht an. Das hatte dann allerdings den Nachteil, dass seine Kandidatur in den Nationalrat 1995 im Vergleich zu Personen, die stärker im Fokus der Öffentlichkeit standen, erfolglos blieb. Suter musste in diesem Sinne angesichts der auch bei bürgerlichen Parteien überfälligen Frauenförderung hintan stehen. Während zweier Amtsperioden gehörte Heinz Suter überdies noch dem Gemeinderat von Suhr an, der starken Vorortsgemeinde von Aarau, im Mittelalter die „Muttergemeinde" der späteren Stadt.
 
Die Stärke des Direktors der Aargauischen Industrie- und Handelskammer war und blieb die „Hintergrundpolitik“. In dieser Eigenschaft gehörte Suter zu den wenigen in der FDP, die bürgerliche Politik strategisch formulieren konnten. Sein 2007 veröffentlichtes Buch „Freiheitliche Politik für den Mittelstand – Handwerkszeug praktischer Politik“ gilt als sein unterschätztes Vermächtnis. Dass die reflektierten bürgernahen Thesen vom NZZ-Freisinn wie auch von smarten Reformkräften wenig aufgegriffen wurden, gereichte der einstigen Staatspartei nicht zum Vorteil.
 
Heinz Suter gehörte zu den Politikern unserer Heimat, die währschaftes geistiges Brot gebacken haben. Für Daniel Knecht, Präsident der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, trauert die AIHK um eine Persönlichkeit, die „wirtschaftliche und politische Verantwortung konsequent mit einer den KMU entsprechenden Praxisnähe zu verbinden wusste“. Knechts Vorgänger Dr. Hans-Peter Zehnder, CEO der Zehnder Group, ergänzte: „Heinz Suter war das ordnungspolitische Gewissen der AIHK. Sein Denken und Handeln orientierte sich unbeirrt von äusseren Einflüssen an den liberalen Grundsätzen und an der marktwirtschaftlichen Ordnung.“
 
Heinz Suter blieb nach seiner Pensionierung im besten Sinne politisch interessiert. Zu denjenigen, bei denen er nicht nur Beachtung, sondern höchste Achtung fand, gehörte sein langjähriger Weggefährte, der für unabhängige Stellungnahmen wie wenige prädestinierte Publizist Walter Hess. So habe ich denn aus der Internet-Publizistik des Bibersteiners entnommen, wie sehr sich Heinz Suter in späten Jahren über die Eurokrise Gedanken gemacht hat. Für einen liberalen Demokraten mit einem Hintergrund, wie über ihn nur die wenigsten Politiker verfügten, war die Tragikomödie von Griechenland nicht nur eine ökonomische und finanzielle, sondern vor allem eine demokratische Katastrophe. Denn die Verbindung ökonomischer und finanzieller Lösungen mit dem Gedanken von Freiheit und Demokratie war für Heinz Suter die Lebensaufgabe schlechthin. Wobei nicht zu vergessen ist, dass er ein gütiger und getreuer Ehemann und Familienvater war, der seine liebe Gattin Rosmarie unter anderem dadurch ehrte, dass er sich in seiner spätesten wichtigsten Publikation über das Handwerkszeug praktischer Politik „Heinz Suter-Rehmann“ nannte.
 
Ich durfte in meinem Leben nicht wenige bekannte Politologen und auch national und zum Teil international bekannte Politiker und Politikerinnen kennenlernen. Von Heinz Suter weiss ich nur so viel, dass die meisten dieser Politologen und Politiker von ihm eher hätten lernen können als umgekehrt, wiewohl der Verstorbene in Sachen Lernfähigkeit wiederum Massstäbe gesetzt hat. Zwar ist klar, dass man in einem Nachruf starke positive Akzente setzt. Es musste meines Erachtens nun aber einmal gesagt werden, dass es Persönlichkeiten gibt jenseits des grossen Schaufensters der Öffentlichkeit, die ich zu den bedeutenden Aargauern und Schweizern unserer Zeit rechne. Ein Mensch dieser Art hiess Heinz Suter-Rehmann. Sein Ableben in der Fremde, gleich in der Nähe der mongolischen Handelskammer, steht in diesem Sinn für die globale Breite eines Horizontes, der jedoch stets im heimatlichen Gränichen geerdet war, einem massiv unterschätzten Dorf im Kanton Aargau, wie mir ein Herr Zehnder mal versicherte. Der Familie Suter gebührt angesichts des Verlustes eines höchst liebenswerten Menschen ein von Herzen gefühltes Beileid.
 
P. M. 
 
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