Textatelier
BLOG vom: 14.09.2013

Langes Warten aufs Essen, bis der Geduldsfaden reisst

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Im Urlaub in Dithmarschen im Norden von Deutschland gingen meine Frau und ich abends in ein Ausflugslokal, das Fischspezialitäten anbietet und etwas abseits eines kleinen Dorfs direkt an der Mündung der Elbe liegt. Das Wetter war gut, und so setzten wir uns an einen Tisch auf der Terrasse und blickten auf das Wasser und die grossen Schiffe, die in Richtung Hamburg oder in Richtung Norden unterwegs waren.
 
Die bestellten Getränke kamen schnell, die Bedienung war nett. Das Essen dauerte und dauerte. Nach 40 Minuten fragte ich nach und die Serviererin erzählte uns, dass ein Koch ausgefallen sei und sein Ersatz sich ein wenig schwer tue. Dann setzte sich eine Familie mit 2 Kindern neben uns. Sie bestellte Getränk, wählte das Essen aus, und kurz darauf waren alle verschwunden, hatten allerdings ihre Sachen am Tisch gelassen.
 
Sie waren wohl mit den Kindern auf den Spielplatz gegangen oder liefen mit ihnen herum. Nach einer guten halben Stunde kamen sie wieder. Wir erwähnten, dass es doch sehr lang dauern würde, bis unser Essen, das wir zu diesem Zeitpunkt schon mehr als eine Stunde vorher bestellt hatten, endlich komme. Die Mutter erzählte uns, das wüssten sie, und das hätten sie bereits einkalkuliert. Sie seien aus der Gegend und kämen trotzdem immer wieder, weil es so gut schmecken würde.
 
Es dauerte noch einmal eine halbe Stunde, bis das Essen endlich aufgetragen wurde. Wir beobachteten, wie die anderen Gäste, die bereits vor uns da waren, nach und nach bedient wurden. Dann waren wir an der Reihe. Der Fisch schmeckte wirklich hervorragend. Dann kam die Bedienung noch einmal an den Tisch, fragte, ob wir zufrieden seien, entschuldigte sich für die lange Wartezeit und bot uns einen Nachtisch auf Kosten des Hauses als Kompensation an.
 
Wir waren Feriengäste. Die Aussicht aufs Wasser war schön. Die Bedienung war freundlich und konnte nichts für die Verzögerung. Vielleicht deshalb waren wir geduldig. Es gab noch einen Grund, warum wir blieben: es war das einzige Restaurant im Umkreis von 25 km.
 
Wir wurden mit einem sehr schmackhaften Mahl entschädigt.
 
90 Minuten Wartezeit sind sehr lang. Was ist denn angemessen? Bisher empfanden wir 40 Minuten in Ordnung, länger sollte es nicht sein.
 
In jenen schönen Spätsommertagen gingen wir in Begleitung eines Freundes in ein Gartenrestaurant hier an unserem Wohnort Viersen. Hinter einer Hecke ist eine Reihe von länglichen Tischen aufgebaut, an denen Stühle angelehnt sind. Im Hintergrund ist ein kleiner Spielplatz für Kinder, sogar mit einem Sandkasten. Es war Abend, und die Bänke waren gut gefüllt mit Gästen im fortgeschrittenen Alter; die meisten von ihnen hatten bereits ein Getränk vor sich stehen.
 
Die Auswahl an Gerichten war beschränkt. Es waren keine Schnellgerichte, aber einfache, nicht kompliziert oder aufwendig zuzubereitende Mahlzeiten. Die Getränke kamen nach einigen Minuten.
 
Die Unterhaltung floss dahin. Die Gläser wurden langsam leer. Nach 40 Minuten fragte ich nach, und eine der 2 Damen, die bedienten, sagten beruhigend, es dauere nicht mehr lange.
 
Wir unterhielten uns am Tisch darüber, wie unser Enkelkind mit seinen 5 Jahren auf das Warten reagieren würde, er hätte mit seinen Fäustchen rhythmisch auf den Tisch geschlagen und laut das Hungerlied gesungen: 
Wir haben Hunger, Hunger, Hunger,
haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst!
Wo bleibt das Essen, Essen, Essen, wo die Wurst? 
Nach weiteren 15 Minuten sagte die Bedienung, der Koch sei mit unserer Bestellung beschäftigt. Wir warteten. Jedes Mal, wenn die Bedienung mit Tellern in unsere Richtung kam, gingen wir davon aus, dass das Essen für uns bestimmt war. Nein, nach und nach bekamen alle die Damen und Herren ihre Mahlzeit.
 
Ich erkannte, dass der Koch die Bestellungen chronologisch abarbeitete, eine nach der anderen. Bei mehr als 20 Bestellungen vor unserer dauerte das natürlich. Die Bedienung erklärte uns, das Essen für uns sei bald fertig und komme in 5 Minuten.
 
Wir waren hungrig, es war bereits 21 Uhr, 2 Stunden nach der Bestellung, und dann riss mir der Geduldsfaden.
 
Ich stand auf, ging die 20 m zur Theke, sagte, jetzt wollten wir nicht mehr warten, und ich bezahlte die Getränke. Die Bedienung sagte noch, das Essen komme jetzt doch, aber ich erwiderte: Es muss eine Grenze geben! Dann verliessen wir das Gartenlokal.
 
Im Ort fanden wir das Gasthaus eines Italieners. Wie uns die freundliche Bedienung später erzählte, hatte er sein Lokal erst vor etwa einem Jahr geöffnet, werde aber dennoch inzwischen gut besucht. Es ist eines dieser italienischen Restaurants, die keine Pizza anbieten, dafür eine ausreichende Auswahl von Pasta und anderen Köstlichkeiten.
 
Wir sassen zwar nicht im Grünen, aber doch aussen vor dem Lokal. Es war eine angenehme Atmosphäre. Das Essen kam nach 20 Minuten und schmeckte hervorragend. Die Bedienung und der Koch erkundigten sich, ob wir zufrieden seien. Es ergab sich noch eine nette Unterhaltung über Italien und seine Schönheiten. Wir hatten uns wohlgefühlt.
 
Ich zog eine Lehre aus dem Abend: Hätten wir im ersten Lokal noch länger gewartet, wäre die Stimmung nicht besser geworden. Vielleicht war das Essen auch nicht so besonders schmackhaft gewesen. So ärgerlich der Aufbruch auch war, so mündete er doch in einen sehr erfreulichen Abschluss.
 
Wir gingen gesättigt und zufrieden nach Hause. Vielleicht musste es ja so sein!
 
Ich erkundigte mich im Internet nach der Rechtsprechung. Ich war mit der Weigerung, noch länger zu warten, vom Vertrag, den ich durch die Bestellung eingegangen war, zurückgetreten. War das rechtens?
 
Ich hätte sogar mehrere Möglichkeiten gehabt. Ich hätte die Rechnung um 20‒30% kürzen können, so entschieden das Amtsgericht Hamburg und jenes in Karlsruhe. Der Rücktritt nach einer angemessenen Frist ist ebenso mein Recht. Die angemessene Frist haben wir durch mehrmaliges Nachfragen gesetzt. Die Speisen müssen dann nicht mehr bezahlt werden. 45 Minuten Wartezeit müsste man allerdings bei einfachen Speisen akzeptieren, die Zubereitung eines 4-Gänge-Menues darf auch einmal 2 Stunden betragen, ein Festessen 1,5 Stunden.
 
Quelle
 
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