Textatelier
BLOG vom: 07.11.2013

Bibersteiner Juraweide: Wo man alles zum Nennwert nimmt

 
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Das Gute, das so nah’ liegt, gewissermassen vor der Haustür, sollte man sehen und kaufen. Dorfläden (wie der reich assortiere Schloss-Laden in Biberstein AG mit seinem berühmten Holzofenbrot), soweit es sie noch gibt, sodann Direktvermarkter-Bauer, die man kennt, lokale Restaurants und dergleichen sollten in erster Dringlichkeit berücksichtigt werden. Alle 2 Wochen gibt es beim Restaurant „Rebstube“ in Biberstein „Jeannettes Güggeli“ aus einheimischer Haltung, die in einem fahrbaren Grill ihre Runden gedreht und Farbe angenommen haben, auch Schweinshaxen, Bratkartoffeln usf. Das „Jägerstübli“ bietet italienische Spezialitäten, und so kann man sich in der 1500-Menschen-Gemeinde recht gut über die Runden bringen, ohne weite Reise zu Shoppingzentren mit ihrem standardisierten Riesenangebot bewältigen zu müssen.
 
Die Terrasse vor dem Homberg
Die Gastwirtschaft „Juraweide“ (www.juraweid.ch) ihrerseits hat vor rund einem halben Jahr ein neues Pächterpaar erhalten: die aus Pontresina GR stammende Adriana Albertini und den Emmentaler Dominique Gerber. Die traditionsreiche Bauernbeiz, die im Sommer 1901 als Sommerwirtschaft eröffnet wurde, gehört zusammen mit dem umliegenden Landwirtschaftsgelände auf einem Juraplateau (rund 450 bis 480 m ü. M.) dem Staat Aargau. Bei klarem Wetter ist die Aussicht übers Aaretal mit seinem blubbernden Baubrei, den Infrastrukturanlagen, Feldern und Wäldern und bis zu den Alpen, welche die Sicht aufs Mittelmeer verdecken, prächtig – ein komplettes Panorama, das im Sommer von der bewirtschafteten Terrasse aus zusammen mit kulinarischen Aufrüstungen genossen werden kann.
 
Die Strasse vom Gemeindehaus gegen die Juraweide wird zurzeit bis auf die Höhe des Höhenwegs gerade etwas verbreitert und vielerorts an ihren Rändern mit Kalkquadern von den Privatgrundstücken abgegrenzt. Auf der Hochebene selber, die sich auch für Spaziergänger gut eignen, gibt's nur noch schmale Landwirtschaftssträsschen zwischen Äckern, Wiesen und Bäumen. Nach Westen kann man im Gebiet Etzget unter dem Homberg die Nachbargemeinde Küttigen AG und damit den Staffeleggzubringer im Horentäli ansteuern. Den Rückweg nach Biberstein mag man der guten Abwechslung halber z. B. den Fluewald umrundend, über den Kirchberg (Küttiger Gemeindegebiet) wählen, beerdigten Verstorbenen einen Gruss überbringen oder sich beim alten Pfarrhaus an den Hermann Burger (1942‒1989) erinnern, der dort seine Stumpen rauchte und sich für seine Dichtkunst inspirieren liess, etwa für die „Kirchberger Idyllen“, 1980 mit Blick auf das „blinkende Band“ Aare entstanden. Die Landschaft signalisierte ihm Unabhängigkeit und geistige Freiheit, die aber von einer zunehmenden Depression überlagert wurden, die er nicht mehr ertrug.
 
Die Juraweide und ihre Umgebung haben also eine schillernde Geschichte, und auch die Landschaft selber, die einst von einer Pferdezuchtgenossenschaft genutzt wurde. In den späten 1970er-Jahren war dort oben ein grosses Sportzentrum geplant, zumal die Aargauische Sport-Toto-Kommission aufgehäufte Gewinne irgendwie verpulvern wollte. Praktisch ohne Einbezug von uns Bibersteinern wurde das stille Gebiet verplant, wobei eine Zufahrtsstrasse über den Etzget von der Staffelegg-Strasse oberhalb des Dorfs Küttigen vorgesehen war – ein Landschaftsmord ohne absehbares Ende. Die Bibersteiner sammelten in ihrer Verzweiflung Unterschriften (rund 55 Prozent der Stimmberechtigten unterschrieben spontan) und setzten damit ihre Massstäbe – das „Wohnliche Biberstein“ (Name einer breit angelegten Vereinigung, die zur Zeit der Baueuphorie anderen Wertvorstellungen nachhing) ging vor. Der Regierungsrat in Aarau war als Landbesitzer in die Planung einbezogen, zeigte sich vom Bibersteiner Protest beeindruckt, liess vom Projekt, in das vorerst 10 bis 20 Mio. CHF hätten verbuttert werden sollen, ab und nahm Wohlen im Freiamt für solch ein Sportzentrum ins Visier. Auch daraus ist nichts geworden.
 
Ein sympathischer Service und Qualitätsbewusstsein
Und so kann man denn auf der Juraweide nach wie vor seine Erholung finden und in der heimeligen Gaststube mit dem vielen angedunkelten Holz seinen Durst löschen und Hunger stillen. Die Bürgerliche Vereinigung Biberstein (BVB, Präsident: Markus Schlienger) zeigte auch eine andere Nutzungsmöglichkeit auf. Sie lud auf den 05.11.2013 zur Orientierungsversammlung im Hinblick auf die Einwohnergemeindeversammlung vom 22.11.2013 dorthin ein und verband das informative Treffen mit einem Metzgete-ähnlichen Nachtessen.
 
Ich nahm die Gelegenheit gern wahr, mir ein Bild über die Wirtschaftsweise der neuen Pächter zu machen. Und ohne von irgendwelchem Lokalkolorit geblendet zu sein, darf ich post festum von einem ausgezeichneten Eindruck berichten. Die Menüs (Aargauer Bierwurst mit Zwiebeln, auch Zwiebelsauce oder aber kleine Blut- und Leberwürste, alles von Rösti und Gemüse begleitet) zeugten von ausgesuchter Qualität; die Würste nach Hausmacherart stammten aus der Hunzenschwiler Metzgerei Humbel. Die auf der Juraweide ausgeschenkten Weine stammen aus dem Aargau, seien keine „Rippenzwicker“ oder „Ranzenklemmer“, wie sich der Wirt Gerber blumig ausdrückte.
 
Die Wirtschaft laufe gut, sagte Dominique Gerber; im letzten halben Jahr seien in seiner Küche 3 Jungochsen verarbeitet worden, und zwar nicht nur die Edelstücke. Man habe ein fantasievolles, aber „gradliniges Angebot“ und sei bereit, für einheimische Stücke bis 30 % mehr als für ausländisches Fleisch aus der Massenproduktion zu zahlen. Das passe zu einer Bauernbeiz, die aber doch ein kompliziertes Unternehmen sei und in vielen Bereichen 5-Sterne-Erfordernisse erfüllen müsse. Man spürte Engagement und trotz der verhältnismässig bescheidenen Preise keine Spur von Knauserigkeit. Die Juraweid, die darf sich auch inwendig sehen lassen.
 
Das teure Wasser
Nicht mit Wein, aber mit dem mindestens ebenso wichtigen Wasser wird sich die Gemeindeversammlung zu befassen haben. Die Wasserkasse wurde zu einem Sozialfall; sie steht mit einer Schuld von 1,125 Mio. CHF bei der Einwohnergemeindekasse knietief in der Kreide. Die Wasserverbrauchgebühr muss deshalb von 1.80 auf 2.30 CHF/m3 erhöht werden. Investitionen stehen bevor; viele Leitungen sind veraltet, stammen aus der Pionierzeit der Bibersteiner Wasserversorgung (1911). Dafür spült das Abwasser einige Kosten weg. Dessen Gebühr sinkt von 2 auf 1.6 CHF/m3.
 
Der Nennwert des Wasserzählers soll pro Jahr von 14 auf 20 CHF/m3 erhöht werden. Mit dem, was das im Klartext heisst, hatte wohl nicht allein ich meine liebe Mühe; da müsste man schon eine Brunnenmeister-Ausbildung hinter sich gebracht haben. Inzwischen habe ich dies herausgefunden:
 
Der Nennwert entspricht der stündlichen Leistungsfähigkeit des eingebauten Wasserzählers:
3/4 Zoll Durchmesser entspricht 5 m3/ = 100 CHF.
1 Zoll Durchmesser entspricht 7 m3/h = 140 CHF.
1 1/4 Zoll Durchmesser entspricht 10 m3/h = 200 CHF.
1 1/2 Zoll Durchmesser entspricht 20 m3/h= 400 CHF.
2 Zoll Durchmesser entspricht 30 m3 / h = 600 CHF. 
Vizeammann Markus Siegrist führte in volksverbundener Art durch die relativ wenigen Traktanden, wobei ihm sein juristisches Wissen immer wieder zustatten kam. Er bat die 40 Teilnehmer inständig, mehr Wasser zu verbrauchen, um der dürstenden Wasserkasse Gutes zu tun. Auch bei den Bussen müssten sich die braven Bibersteiner endlich mehr anstrengen, das heisst gelegentlich über die Schnur hauen. Laut dem neuen Gemeindegesetz kann der Gemeinderat Bussen bis 2000 CHF (vorher: 200 CHF) verhängen; doch kann er dies nur tun und die Budgetvorgaben erfüllen, wenn man ihm auch Gelegenheit dazu gibt.
 
Der Gemeindesteuerfuss soll im kommenden Jahr noch auf 88 % belassen werden. Für das im Bau befindliche 12-Mio.-Schulhaus konnten vorerst 5 Mio. CHF Festgeld auf 12 Jahre für 1.9 % aufgenommen werden. Der Verkehrskreisel NK 107 vor dem Staffeleggstrassentunnel mit den Bäumen und mitwandernden Lichtpunkten am Sockel kostete 98 250 CHF, ein stolzer Preis.
 
An der Gmeind wird auch noch über einige Einbürgerungen zu befinden sein. Umstritten war, ob man vom Gebührensystem (Einbürgerungsabgabe, die heute nicht mehr mit den finanziellen Möglichkeiten des Einzubürgernden zusammenhängt, sondern einfach die Administration abdecken soll) nötigenfalls abweichen darf. Ein entsprechender Antrag für ein einzelnes Gesuch wird vorbereitet; es wurde als Härtefall gewertet. Solche Abweichungen vom Reglemente-Schematismus haben allerdings immer etwas Willkürliches an sich, die Ungerechtigkeiten aus Ungleichbehandlungen nach sich ziehen können. Nicht alles ist so einfach zu bestimmen wie ein Wasserleitungsdurchmesser.
 
Beim Verlassen der Gaststätte regnete und windete es. Hier oben, da sei eine gewisse Atmosphäre, hatte Wirt Gerber gesagt. Man müsse nur „lose, wie's im Wald obe tuet" (hören, wie es im Wald oben rausche). Es tat.
 
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