Textatelier
BLOG vom: 19.11.2013

Die absichtsvollen Vergesslichkeiten und die Ausflüchte

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Ich bin in ein gewisses Alter gekommen, in dem ich mir absichtlich Vergesslichkeiten erlauben darf. Zugegeben es sind kleine, nebensächliche Vergesslichkeiten, die ich mir zugestehe. Meine Gedanken sind dabei anderswo und wollen nicht vom Krimskrams abgelenkt werden. Umgangssprachlich entschuldigt man sich angesichts solcher lässlichen Vergesslichkeiten mit: „Ich habe das verschwitzt (vergessen)“.
 
Nicht länger an einen beruflichen Kalender gebunden, wirble ich manchmal Wochentage durcheinander, mache aus dem Mittwoch einen Dienstag, ganz einfach, weil Wochen, meiner Meinung nach, immer rascher verstreichen. Dabei gewinne ich einen Extratag, um Versäumtes aufzuholen. Und kommt das Wochenende, sitze ich wieder richtig im Kalender! Ich habe mein Pensum absolviert. So einfach ist das.
 
Auch diesen Sommer wurde die Nachbarschaft, wir inbegriffen, eingeladen, die von Gärtnern gehegten und aufgeputzten Gärten unserer Strasse entlang zu besichtigen. „Dazu habe ich keinerlei Lust“, sagte ich, und Lily weiss, wenn ich etwas wirklich meine. „Warum klopfst du die Gärten nicht mit Gisela zusammen ab?“ schlug ich vor. Es tut mir gut, wenn ich mich von Verpflichtungen dieser Art befreien kann.
 
Manchmal kann man sich einer formalen Einladung, oft mit Krawattenzwang verbunden, nicht entziehen. Das hat seine Konsequenzen: Man ist verpflichtet, mit einer Gegeneinladung aufzuwarten. Zum Glück kann diese auf sich warten lassen … Mit befreundeten Familien und Bekannten bin ich gern mit dabei. Wir brauchen dann nicht im „small talk“ zu versinken und können stattdessen zwangslos plaudern, spassen und lachen.
 
Telefonüberfälle von Firmen via Telemarketing, meistens um die Essenszeit abends, die uns etwas „andrehen“ (verkaufen) wollen, mag ich ganz und gar nicht. Immerhin kann man sie leicht abwimmeln. Ich weiss sofort Bescheid, worum es geht, wenn der Anrufer unseren Familiennamen falsch ausspricht, wie das gemeinhin in England der Fall ist. Fragt jemand nach dem Haus- oder Wohnungsinhaber, antworte ich, dass dieser für längere Zeit abwesend sei. Das beendet in der Regel den Anruf. Die einfachste Art, um Anrufe aus „call centers“ zu entkommen, genügt der Hinweis, dass ich grundsätzlich keine „unsolicited calls“ (unaufgeforderte Anrufe) beantworte. Allenfalls bitte ich um ein schriftliches Angebot. Die bleiben meistens aus. Basta cosi!
 
Ruft jemand von einer der vielen Wohlfahrtsorganisationen an, verweise ich auf Lily, die für solche Kontakte zuständig ist, und füge nötigenfalls rasch hinzu, falls Lily mich nicht überhört, dass sie leider verreist sei. Im Schweizerdialekt nennt sich diese Vorgehensweise „abschüffele auf andere“.
 
Hurtig füge ich hinzu, dass Lily regelmässig mehr als ihr Scherflein an Bedürftige auf der Strasse aushändige. Viele Ketten von Wohlfahrtsläden lassen das Hilfspersonal gratis arbeiten, doch nicht so ihre Verwalter, die tolle Saläre einsacken. So wird das Einkommen abgerahmt, bis zuletzt nur ein Bruchteil davon karikativen Zwecken zufliesst. Neuerdings werden Leute mehr und mehr aufgefordert, eine monatliche Gabe als Dauerauftrag über Kredit- oder Debitkarten an die Wohlfahrtsorganisation zu überweisen.
 
Alljährlich erscheint im Frühling und Herbst ein netter älterer Herr vor der Haustür und sammelt für das Rote Kreuz. Er geht bei uns nicht leer aus.
 
Auch gegen unaufmerksames Verkaufspersonal habe ich etwas und entfliehe dem Geschäft schnurstracks. Inzwischen weiss ich, wo ich zuvorkommend und mit Sachkenntnissen bedient werde.
 
In einer Seitenstrasse hat sich ein altmodischer Laden erhalten. Der Sturm hat bei uns einen Marmortisch umgeblasen und in 3 Teile zerstückelt. Der alte Ladenbesitzer konnte mir im Nu das geeignete Klebemittel für die Reparatur reichen. Gleichzeitig kaufte ich bei ihm einen altmodischen Reisigbesen. Brauche ich Schrauben und Nägel, kann ich sie bei ihm in kleinen Tüten kaufen. Dank ihm brauche ich nicht in einem Einkaufszentrum herumzuirren.
 
Und was sonst noch? Ich bin beileibe kein Brummbär und kann unter Umständen auch ganz aufgeschlossen und leutselig sein.
 
 
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