Textatelier
BLOG vom: 21.11.2013

Eine anonyme Agglomeration: Linthgebiet – quo vadis?

 
Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
 
Seit 2003 betreute ich im „Hochwasserschutzprojekt Linth 2000“ (www.linthwerk.ch) den Bereich Umwelt. Dank der Lektüre der lokalen Medien und zahlreicher Diskussionen durfte ich sowohl Land und Leute als auch die Entwicklung des Verkehrs und der Siedlungen im Linthgebiet und rund um Zürich erleben: Für die gute Zusammenarbeit, wesentliche Erkenntnisse und die Hilfestellung zu diesem Artikel danke ich besonders dem Linthingenieur Markus Jud. Während der häufigen Fahrten auf der A3 zwischen dem Fricktal, wo ich wohne, und dem Glarnerland fielen mir die vielen Gemeinsamkeiten der Entwicklung rund um Zürich auf. Frick und Näfels haben beide einen Autobahnanschluss, eine barocke Kirche und sind ungefähr gleich weit von Zürich entfernt. Beide verzeichneten, trotz ihrer unterschiedlichen Lage, in den letzten Jahren eine rasante bauliche Entwicklung: Flache Einkaufszentren und Parkplätze belegen wichtige Flächen. Die noch vorhandenen Grünflächen werden mit Gebäuden gefüllt. Die Kirchen, die früher von weitem sichtbar waren, werden in die anonyme Agglomeration eingepackt. In Glarus Nord sind im letzten Jahrzehnt über 1000 neue Wohnungen entstanden („Südostschweiz“, 23.12.12).
 
Die Linthebene zwischen Zürich- und Walensee ist in einer stürmischen Entwicklung begriffen. Einerseits betreiben die Landwirte auf den nach dem 2. Weltkrieg meliorierten Böden eine intensive Landnutzung, die weit über das landschaftsverträgliche Mass hinausgeht. Gülleschwaden stinken zum Himmel. Vor dem Einwintern müssen die Güllegruben leer sein. Überdüngte Wiesen reichen bis an die in die Ebene ausufernden Siedlungs- und Wohngebiete. Weil die Pflanzen im Winter den Dünger gar nicht aufnehmen können, verschwinden die Nährstoffe in den Drainagen. Im Frühjahr sind die Flächen wieder für die neuen Güllegaben frei.
 
Im Linthgebiet wird niemand ernsthaft bestreiten, dass seit dem 2. Weltkrieg sowohl die Gesellschaft, die Landschaft als auch die politischen Strukturen eine sich ständig beschleunigende Entwicklung über sich ergehen lassen mussten. Der materielle Wohlstand und die Veränderungen werden weitgehend von Faktoren bestimmt, die regional nur wenig beeinflusst werden können. Um von den globalen Märkten, von der günstigen Energie und vom starken Franken profitieren zu können, muss man sich dem Wachstum verschreiben. Behörden, Unternehmer, Analysten und die Mehrheit der Bevölkerung glauben, den Herausforderungen der Zukunft nur durch ein Noch-Mehr gewachsen zu sein. Die Bemühungen, günstige Rahmenbedingungen für weitere Ansiedlungen zu erzwingen, neue Nutzungen finanziell zu fördern und Hoffnungen zu schüren, wirken oft hektisch und kurzsichtig. Der Verschleiss und die Vereinheitlichung der Landschaft werden in Kauf genommen. Die ständige Erreichbarkeit, die Betriebsamkeit und die Beachtung unzähliger Schlagzeilen und Werbebotschaften gelten für jeden aktiven Menschen als normal. Versicherungen, medizinische Unterstützung, Konsum, Freizeit, Sport, Ferien, Pflege von Traditionen decken alle beliebigen Reste der individuellen Bedürfnisse moderner Einwohner und Nomaden ab.
 
Eine Ebene, 3 Kantone und 2 ferne Zentren
Viele Fakten, Privilegien und Traditionen aus der Geschichte wirken heute noch im Alltag des Linthgebiets mit. Sie beeinflussen das Verhalten und die Entscheide von Bund, Kantonen, Gemeinden und Bewohnern. Ausserhalb der wirtschaftlich bedingten, „oberflächlichen“ Veränderungen können unterschiedlicher Landbesitz, Kompetenzen und Animositäten aus der Vergangenheit die Planung einer gemeinsamen Zukunft erschweren oder gar verhindern. Dem Linthgebiet gebricht es nicht nur an einer verbindenden Herkunft, sondern auch an einem Zentrum: Die wenig besiedelte, regenreiche und im Winter neblig-kalte Ebene wird nur durch die angrenzenden Hügel und Gebirge als abgrenzbares Gebiet fassbar.
 
3 Kantone haben heute einen Anteil am Linthgebiet. Nur an einem einzigen Punkt kommen sie zusammen. Typischerweise steht der Grenzstein hart am Zaun der Autobahn A3 im Dreieckswäldli zwischen den Gemeinden Glarus Nord (Bilten), Reichenburg SZ und Benken SG. Die Ortschaften gruppieren sich am Hangfuss rund um die Ebene. Diese wurde erst durch die Linthkorrektion (ab 1807) und die Anbauschlacht (Melioration der Linthebene 1941‒1964) überhaupt besiedelbar. Heute noch stehen vor allem Landwirtschaftsgebäude und Infrastrukturanlagen inmitten von intensiv genutzten Wiesen und Gemüseflächen im Linthgebiet.
 
Der traditionsreiche Kanton Glarus ist politisch in der Schweiz sehr aktiv und präsent. Glarner-Vereine gibt es in vielen Kantonen der Schweiz und an vielen Orten auf der Welt. Der Kanton erreicht nur mit einem kleinen, aber entscheidenden Teil seiner Fläche die Linthebene. Hier bekommt er Anschluss an die Autobahn und die Eisenbahn. Dank des ungebrochenen Festhaltens an der direkt-demokratischen Ausmarchung an der jährlichen Landgemeinde im Ring zu Glarus sind die Glarner enorm entscheidungsstark. Die Spanne der Möglichkeiten reicht von absolut traditionell bis zur totalen Freiheit und Offenheit. 2006 hat sich das Volk mit der radikalen Reduktion der Gemeinden von 25 auf 3 selbst überrascht. Der Entscheid wurde an einer ausserordentlichen Landsgemeinde 2007 bestätigt: Weniger Strukturen, mehr Zukunft. Die neue Organisation ist inzwischen vollzogen. Die Anpassungen der Gemeinde- und Richtpläne und die Ausmarchung der neuen Machtverhältnisse sind im Gang.
 
Der Kanton Schwyz kennt komplexe, komplizierte, verflochtene und für Auswärtige schwierig zu verstehende politische Verhältnisse. Zusammen mit den Glarnern haben es die Schwyzer im Alten Zürichkrieg (1439‒1450) verstanden, den Stand Zürich an einer territorialen Expansion an den Obersee zu hindern. Heute liegen die damals eroberten Bezirke Höfe und March wirtschaftlich voll im boomenden Speckgürtel der Metropolitanregion Zürich. Zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Freundschaft und in der Hoffnung auf mehr, beteiligen sich sowohl Glarus als auch Schwyz mit Mitgliederbeiträgen an der Promotions- und Marketingorganisation „Greater Zurich Area AG“.
 
Die Gemeinden des Kantons St. Gallen halten flächenmässig den grössten Anteil am Linthgebiet. Sie waren ehemalige Untertanengebiete, die mit militärischem Zwang durch Frankreich befreit und 1803 als neuer Kanton St. Gallen organisiert wurden. Die kantonale Verwaltung in St. Gallen ist, wie diejenigen in Schwyz und Glarus auch, relativ weit vom Linthgebiet entfernt. Der Kanton St. Gallen wendet die Vorgaben aus Bern sehr gewissenhaft an. Er hat viele Kompetenzen direkt an die Gemeinden delegiert. Ob dies seine Haltung als über lange Zeiten hinweg erzogenes Untertanenland widerspiegelt, ob dies Ausdruck des traditionellen Ostschweizer Liberalismus ist oder ob es sich für den jüngsten Kanton in diesem Gebiet einfach so ziemt, kann kaum ergründet werden. Auf jeden Fall handelt der Kanton korrekt, selbst wenn es im Linthgebiet nicht immer gern gesehen wird.
 
Die Wirtschaft, der Motor für das Wachstum im Linthgebiet, befindet sich in keiner der Kantonshauptstädte, sondern in der Metropolitanregion Zürich. Es ist weniger die Stadt selber als vielmehr das Konglomerat aus Macht, Firmen und Geld, das sich rund 60 Autominuten um den Flughafen Kloten angesiedelt hat, das Karrieristen anzieht und sich immer weiter ausbreitet. Autobahnen, S-Bahnen und Verbindungen aller Art führen ins Umland. Je nach Wochentag, Tageszeit und Jahreszeit (Ferien) erfahren die Verkehrsträger unterschiedliche Belastung und erreichen zeitweise sogar ihre Belastungsgrenzen.
 
Vom Geld Zürichs allein könnten die Schweizer nicht so föderalistisch und dezentral leben, wie sie es gewohnt sind. Deshalb sorgt die Bundespolitik in Bern für einen machtmässigen und finanziellen Ausgleich. Die Förderung wirtschaftlich benachteiligter Regionen, die Strukturerhaltung und die Stützung „armer“ Wirtschaftszweige werden in Bern organisiert. Alle, die irgendein Anliegen politisch rechtfertigen und durchsetzen können, beanspruchen und bekommen Förderbeiträge. Ohne solche erlahmen die Eigeninitiativen. Damit die Gerechtigkeit für alle gewahrt bleibt, werden die Beiträge an einheitliche Kriterien, Anträge, Bedingungen und Kontrollen geknüpft. Die Gelder glätten nicht nur die wirtschaftlichen Unterschiede der Regionen, sondern auch deren kulturelle und landschaftlichen Eigenarten.
 
Vom Durchgangsland zum Stadtrand
„Unsere Landesgeschichte ist Verkehrsgeschichte, und unsere mittelalterliche Machtpolitik war Verkehrspolitik.“ Dies schrieb der damalige Bundesrat Willi Ritschard im Vorwort zu einem Buch über den Gotthard (Wyss-Niederer). Im Verlauf der Schweizer Geschichte war die Linthebene ein Durchgangsland und eine oft umkämpfte Region. Der Schiffsverkehr brachte den Berechtigten Zolleinnahmen. Als Beispiel sei der Turm in der Grynau erwähnt, wo sich die Linth und der Jakobsweg kreuzten. Hier erhob die Oberallmeindkorporation Schwyz Zoll, bis die Bundesverfassung von 1848 die Zölle innerhalb der Schweiz beseitigte.
 
Die Linthebene ist dank der Autobahn und der Eisenbahn eine Durchgangsregion geblieben. Die Route durch den Gotthard bietet die kürzeste Verbindung für Personen und Schiffscontainer von der Nordsee ans Mittelmeer und umgekehrt. Trotzdem folgen viele Reisende und die elektrischen Leitungen der alten Verbindung via Linth, Rhein und Bündnerpässe nach Italien oder Österreich. Vom Geld der Fernreisenden und von den transportierten Gütern bleiben kaum ein Anteil und schon gar kein Gewinn in der Region.
 
Die Verkehrszunahme ist ein gutes Mass für das Wachstum einer Region. Alle Autofahrer kennen die Autobahn von Zürich nach Graubünden. Das Linthgebiet hat reichlich Autobahnanschlüsse und viele noch nicht überbaute Flächen. Für die Autobahn A3, von Zürich kommend, steht in der Linthebene erstmals Platz zur Verfügung. Bei Reichenburg befindet sich das einzige klassische Autobahnkleeblatt der Schweiz. Es ersetzt die historische Wegkreuzung zwischen dem Pilgerweg von St. Gallen und Einsiedeln und dem Schifffahrtsweg auf der Linth. Der alte Turm in der Grynau zeugt von der früheren Bedeutung. Leider sieht der moderne Autofahrer weder den Turm noch die Grosszügigkeit des technischen Bauwerks. Bäume (Ersatzaufforstungen) verstellen den Blick. In Bilten zwängt sich die Autobahn zwischen Linth und Siedlungsgebiet. Die platzsparende Auf- und Abfahrt muss den Verkehrsbedürfnissen genügen. Industriezonen in unmittelbarer Nähe, hüben und drüben der Linth, warten auf Investoren und wecken Erwartungen. In Niederurnen erschliesst der schwungvolle Anschluss das Glarnerland. Der wachsende Verkehr erfordert neue Umfahrungsstrassen in den Ortschaften Richtung Glarus. Der Autobahnanschluss in Weesen ist eine Kombination zwischen Kleeblatt (Reichenburg) und Strassenkreuzung (Bilten). Er sorgt für die erstklassige Erschliessung von Glarner Industrieflächen in der Linthebene. Sind das die Bauten und Anlagen, die die Touristen in die angrenzenden Ferienregionen locken werden?
 
Wenn der Baudirektor des Kantons Glarus feststellt „Verkehr ist eine Grundlage des Wohlstandes“ („Südostschweiz“, 08.04.12), meint er damit zweifellos den hausgemachten Pendler-, Freizeit- und Ausflugsverkehr. Menschen sind seit Generationen auf ihrem Weg zur Arbeit, zur Ausbildung und neuerdings auch für ihre Hobbys unterwegs. Wenn es gelingt, die Reisegeschwindigkeit zu erhöhen, können Ziele in weiterer Ferne „erpendelt“ werden.
 
Mit dem „Glarner Sprinter“ erreichen die Bewohner der Glarner Dörfer seit 2004 Zürich in gut einer Stunde. Nicht nur die akzeptable und akzeptierte Reisedauer, sondern auch die Werbung mit dem angeschrieben Zug brachte neue Bewohner in den Kanton Glarus. Der Verkehr auf der Autobahn A3 nimmt von Jahr zu Jahr zu. Das Wachstum der Siedlungen nährt den Verkehr. Die Erhaltung der gewohnten Reisedauer verlangt laufend nach neuen Strassen und Anschlüssen. Der neu gestaltete Anschluss Lachen an die Autobahn beispielsweise „verflüssigt“ den Mehrverkehr durch Pendler und Kunden von Einkaufszentren. Die Reisezeit wird neuerdings sogar zu einem Teil der Arbeitszeit. Selbst im Auto bedienen Pendler Geräte zur geschäftlichen Kommunikation.
 
Der Verkauf von Land und Dienstleistungen
Aus der Entwicklung der letzten 60 Jahre lässt sich dieser aktuelle Trend ablesen: Die Dörfer des Linthgebiets wachsen um die Ebene herum zusammen. Die gut bebaubaren Korridore zwischen Benken und Reichenburg sowie zwischen Schänis und Bilten werden die Ebene quer unterteilen. Ausgehend vom Obersee, werden immer mehr Strassen, Umfahrungen, Anschlüsse, Tunnels und Bahnen nötig sein, um den zunehmenden Verkehr rasch und einigermassen frei von Staus abwickeln zu können. Lärmschutzwände, Tunnels, Bäume und Gebäude verwehren zunehmend die Ausblicke auf die Landschaft, die Ebene und die Berge. Infrastruktur- und Freizeitanlagen mit entsprechenden Erschliessungen und Parkplätzen beanspruchen weitere Flächen ausserhalb der Siedlungen.
 
Die rege Bautätigkeit zeigt, dass es genug eingezontes und handelbares Land gibt. Die Regionen unternehmen Anstrengungen, das Wachstum in Gang zu halten. Man muss versuchen, sich aus der Masse der Konkurrenten rund um Zürich abzuheben. Leider schlafen die andern ebenfalls nicht. Oft werben die beauftragten Spezialisten mit den gleichen Methoden und Anpreisungen von Vorzügen und Landschaften für andere Orte.
 
Was weiss die Schweiz von der Linthebene? Herzlich wenig – und dies mit abnehmender Tendenz: Im Zeitalter, wo die Schweizer Kriegsgeschichte an Mittelschulen hinter globale Themen rückt, verlieren die Schlacht bei Näfels und die Linthkorrektion durch Hans Konrad Escher von der Linth an Erinnerung und Präsenz. Die Zeit der SJW-Heftli (Schweizerisches Jugendschriftenwerk), der fantasievollen Schulwandbilder und der Reisenden, die auf der Fahrt die Landschaft betrachten, scheint vorbei zu sein. Handys, Laptops und Gratiszeitungen erheischen die Aufmerksamkeit der Rastlosen. Die Landschaft verliert die Geschichte im Bewusstsein der Menschen und wird zur austauschbaren Kulisse.
 
In der Kehrichtverbrennungsanlage Linthgebiet (in Niederurnen) wird aktuell der Abfall von 250 000 Personen mustergültig verwertet, verbrannt und in Energie umgewandelt („Südostschweiz“, 16.03.13). Wenige Abwasserreinigungsanlagen konzentrieren immer mehr Schmutzwasser aus entfernten Gebieten. Umschlags- und Recyclinganlagen an der Autobahn vermitteln den Eindruck von Industrie- und Restlandschaften vor der heimischen Bergkulisse. Der Wunsch nach weiteren Einkaufs-, Lager- und Dienstleistungsbetrieben an den Autobahnausfahrten ist ungebrochen.
 
Konzerne folgen günstigeren Bedingungen
Die Kantone gestalten ihre Steuergesetze so, dass für die Schaffung neuer Arbeitsplätze möglichst günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden. Als 2012 die Carlsberg AG (vormals: Feldschlösschen) 150 bis 200 Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich von Rheinfelden nach Ziegelbrücke verlegte, löste dies in Glarus grosse Freude aus („Südostschweiz“, 24.12.12). Im Aargau blieb der Ärger über den entsprechenden Verlust nicht aus. Er führte sogar zu einer parlamentarischen Frage im Nationalrat (Ruth Humbel, Fragestunde vom 17.09.12). Der zuständige Bundesrat antwortete ausweichend. Welche steuerlichen Vorteile der Kanton Glarus der Carlsberg AG gewährte, ist nicht bekannt. Unbekannt ist auch, wie viele frühere Mitarbeiter jetzt neu von Rheinfelden nach Ziegelbrücke zur Arbeit pendeln. Sicher ist nur dies: Sobald der internationale Konzern irgendwo auf der Welt noch günstigere Bedingungen und die entsprechende Infrastruktur angeboten erhält, wird er seinen Sitz sofort wieder verlegen.
 
Die Natur, die Seen, die Berge: Hoffnung dank Raumplanung
Naturschutz und Raumplanung sind, im Gegensatz zur Landwirtschaft, Sache der Kantone. Wegen zahlreicher Verflechtungen, finanzieller Beiträge und einer zunehmenden Zahl von rechtlichen Erlassen nimmt der Bund immer mehr Einfluss auch auf kantonale Zuständigkeiten.
 
Der Einfluss des Bunds auf die Art und Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung in der der grünen Linthebene ist sehr gross. Im Rahmen der Anbauschlacht wurde die untere Linthebene (SZ, SG) von 1941 bis 1965 mit grossem Aufwand und sturer Konsequenz entwässert, erschlossen, mit Aussiedlungen und Pumpwerken versehen, um Ackerland aus Riedland zu gewinnen. Die meisten der jungen, organischen und wassergesättigten Böden eignen sich unter den vorherrschenden klimatischen Bedingungen (1600 mm Niederschlag pro Jahr) trotz Meliorationsgräben, Unterhalt und Pumpwerken nicht für eine ackerbauliche Nutzung. Der Boden ist zu nass. Grosse Flächen mit torfigem Untergrund sind sogar für die heute betriebene Nutzung als gedüngtes Grünland ungeeignet: Gülle und Dünger verschwinden rasch in den Drainagen. Blacken müssen regelmässig chemisch bekämpft werden. Viele der Betriebe und Aussiedlerhöfe haben eine (wirtschaftlich) zu kleine Fläche. Die Bewirtschafter müssen weiteren Erwerbstätigkeiten nachgehen. Etliche nutzen den Betrieb im Nebenerwerb, in der Freizeit, nachts und an Wochenenden. Die Gemüseproduktion unter Plastik nimmt zu.
 
Für die nächste 4-Jahresperiode der Direktzahlungsbeiträge 2014 bis 2017 hat das eidgenössische Parlament über 14 Milliarden Franken für die Landwirtschaft bewilligt. Ohne sie kann ein moderner Landwirt nicht mehr leben. Dafür muss er Auflagen von Bern, die keinerlei Rücksicht auf die Besonderheiten der Linthebene nehmen, akzeptieren. Der Gleichmacherei der Landschaft setzt einzig das Klima Grenzen.
 
Das 1998 von der Eidgenössischen Linthkommission (seit 2004: Linthkonkordat der Kantone SZ, GL, SG, ZH) begonnene und bis 2013 realisierte „Hochwasserschutzprojekt Linth 2000“ hat im Linthgebiet zahlreiche Untersuchungen, Begleitplanungen, Projekte und Realisierungen ausgelöst. Angefangen bei der Analyse der Landschaft über das „Landwirtschaftliche Vorprojekt Benken Plus“ und das „Entwicklungskonzept Linthebene“ (EKL 2003) bis hin zu zahlreichen Mitwirkungen und Verfahren wurde kantonsübergreifend geplant, bewilligt und umgesetzt. Die Erfahrungen bestätigen, dass die Linthebene noch eigene Naturwerte hat, dass diese zu ihrer vollen Entwicklung und zur Erhaltung seltener Pflanzen und Tiere grössere, ungedüngte Flächen und dauerhaft angepasste Nutzungen brauchen.
 
Das „Projekt Linth 2000“ hat die Hochwassersicherheit erhöht, mehr Natur und mehr Erlebnisse für Menschen geschaffen und dank der Zusammenarbeit auch für mehr regionale Identifikation und Gemeinsinn gesorgt.
 
Erstmals hat 2012 eine koordinierte Raumplanung der Kantone Entscheide für die Erhaltung der offenen Landschaft und über den Verzicht auf publikumswirksame Einkaufszentren im Linthgebiet getroffen. Die Richtpläne sind die Führungsinstrumente der Kantonsregierungen. In diese Richtpläne wurden die geplanten grossen Einkaufszentren der Ikea in Schänis und der Glaruspark in Mollis nicht aufgenommen. Damit können entsprechende Baugesuche nicht bewilligt werden. In den Standortgemeinden regte sich einiges an Unmut über die kantonale Einmischung. Für die Planung der Zukunft ist es aber unverzichtbar, dass eine übergeordnete Instanz mit Blick fürs ganze Linthgebiet die Absichten der Gemeinden beurteilt und nötigenfalls lenkt.
 
Die begonnene Entwicklung gibt Hoffnung, dass die Region verstärkt zusammenarbeitet und die Stärken sowie die verbliebenen Schönheiten des Linthgebiets fördert und bewahrt. Bei neuen grossen Vorhaben sind nicht nur die künftigen Auswirkungen zu beurteilen. Es ist auch zu prüfen, ob und wie ungünstige Zustände aus der Vergangenheit gemildert oder eliminiert werden können. Dazu braucht es Mut, und die Verantwortlichen dürfen die Auseinandersetzung und den Ärger nicht scheuen.
 
Ausblick
Die Redensart der Vorfahren „Nobel muss die Welt zu Grunde gehen“ gehört 60 Jahre später längst zur Guten Alten Zeit. Das Erdöl ist nicht versiegt, die Eisen- und Autobahnen bewältigen nie geplante oder vorgesehene Verkehrsströme, und den Schweizern geht es heute so gut wie nie zuvor. Die technische Entwicklung und die Anpassungsfähigkeit der Menschheit haben bisher alle prophezeiten Katastrophen überstanden. Aber die offene Landschaft, der Raum, die Weite, die Ruhe und die Natur werden weiter abnehmen.
 
Literatur
Bundesamt für Strassen, ASTRA: „Verkehrsentwicklung und Verfügbarkeit der Nationalstrassen“, Jahresbericht 2011.
Keller, Heiner: „Eschers Erbe in der Linthebene. Abgeleitete Gewässer – ungebändigte Hoffnungen“, Verlag hier + jetzt, Baden 2007.
Wyss-Niederer, Arthur: „Sankt Gotthard“, Via Helvetica, Editions Ovaphil S.A., Lausanne 1979.
www.greaterzuricharea.ch (Stand März 2013)
 
 
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