Textatelier
BLOG vom: 22.12.2013

Der menschliche Körper: unübertroffenes Weltwunder Nr. 1

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Zum E-Mail-Ritual gehört es, einem Bekannten eine eindrückliche Bilderdokumentation zuzustellen, die irgendein anonymer Wohltäter mit Feingefühl irgendwo auf der Welt zusammengestellt hat. Oft sind es von zarter Musik unterlegte Abfolgen von liebevoll präparierten Fotografien über Länder, Naturschönheiten, Menschen, Kunstwerken, Luft- oder Bodenaufnahmen, wie es sich gerade ergab, Meisterwerke der Foto- und Bildbearbeitungstechniken.
 
Dieser Tage sandte mir mein Bruder den Link http://isis.bei.funpot.net/d.php?id=79b872a7e7b9c0d3&l=de, der zu einer besinnlichen Geschichte führt, in der „das Geheimnis des Glücks“ verborgen ist. Studenten mussten „Die sieben Weltwunder der heutigen Zeit“ aufschreiben. Sie notierten das, was ihnen als Weltwunder einst eingetrichtert worden war: Pyramiden von Ägypten, Taj Mahal in Indien, Grand Cañon in den USA, Panamakanal, Empire State Building in New York, Petersdom Rom und Chinesische Mauer. Eine Studentin aber tat sich schwer, kam nicht so richtig voran („denn es gibt so viele Wunder“), und wurde gebeten, vorzulesen, was sie aufgeschrieben hatte: 
-- Das Sehen
-- Das Gehör
-- Das Gefühl
-- Der Geschmack
-- Der Geruch
-- Das Lachen
-- Die Liebe. 
„Wir benutzen diese Fähigkeiten täglich, aber können wir ihren Wert nach richtig schätzen?“, heisst es dazu. Die wertvollsten Sachen könne der Mensch weder kaufen noch bauen.
 
Der Zufall wollte es, dass ich gerade am Tag vor der Begegnung mit dieser Präsentation in einem Antiquariat den „Atlas der Anatomie des Menschen“ (Thieme Verlag, Stuttgart 2003) erworben hatte, in dem 542 Tafeln mit exakten anatomischen Tafeln vereinigt sind. Sie stammen von Frank H. Netter (1906‒1991), der in New York lebte, eine ärztliche Ausbildung hatte und im Verlaufe seines Lebens fast 4000 Zeichnungen zur makroskopischen Anatomie, zur Histologie, Embryologie, Physiologie, Pathologie, zu Diagnoseverfahren, Krankheitsmanifestationen usf. geschaffen hat. Dabei ging es ihm in erster Linie um die „klärende Darstellung eines Themas“, und dementsprechend sind sie als Unterrichtsstoff von grosser Bedeutung.
 
Dem Wirrwarr von Knochen, Muskeln, Blutbahnen, Nerven, Lymphen usf., der durch das Haut-Organ sorgfältig verpackt ist, kommt man eigentlich nur mit den Mitteln der Zeichenkunst einigermassen bei, wie ich von den Wissenschaftlichen Zeichnerinnen Sonja Burger (Wildegg AG) und Sabine Hofkunst (Coudrefin VD) gelernt habe; aus beruflichen Gründen hatte ich mit diesen beiden Künstlerinnen häufig Kontakt, lernte sie kennen und ihre Talente schätzen.
 
Sie müssen abstrahieren, einfärben und die Einzelteile beschriften, um die Übersicht über das menschliche Innenleben zu behalten. Legte man die verschiedenen, nach Themen gestalteten Zeichnungen übereinander, sähe man nicht mehr durch. In dem erwähnten Buch gilt deshalb eine einzelne Zeichnung zum Beispiel den Arterien der seitlichen Kopf- und Halsregion; die nächsten Tafeln wenden sich den Venen, dann den Nerven, den Lymphgefässen und Lymphknoten zu. Das heisst also, jeder Teil sei dermassen kompliziert konstruiert, dass eine breite Auffächerung unumgänglich ist, will man den Überblick einigermassen behalten. Dieser ist dann wieder in sektorielle Einzelteile aufgesplittet.
 
Bildgebende Diagnoseverfahren wie Ultraschall und das Röntgen sind entsprechend schwierig zu interpretieren, und viele Diagnostiker hegen den Wunsch, direkt in den Organismus hinein schauen zu können, etwa durch Magen- oder Darmspiegelungen. Aber selbst bei solchen Diagnoseverfahren sind die Interpretationen nur ausgesprochenen Fachexperten möglich und noch immer mit gewissen Unsicherheiten verhaftet.
 
Das alles ist unendlich kompliziert und als eindeutiges Wunderwerk der Natur zu erkennen, dem man die grösstmögliche pflegliche Behandlung angedeihen lassen müsste. Zweifellos ist der Mensch perfekt gebaut, sein Verhalten aber erfüllt in aller Regel keinerlei höhere Ansprüche. Vor allem im Gehirn als Steuerungszentrale scheinen etwelche Verdrahtungen nicht ganz gelungen zu sein, ansonsten es nicht zu so viel Pech, Pleiten und Pannen kommen würde.
 
Gerade die Fragen rund um ein vernünftiges Mass scheinen immer wieder falsch beantwortet zu werden. Beispiel Bewegung, die einen Organismus in Schwung und damit gesund erhält. Übertreibungen wir spitzen- und spritzensportliche Leistungen aber, führen sie zu schweren Schäden bis zur Invalidität. Risikosportarten kalkulieren schwere Schäden bis hin zum Tod direkt ein. Beispiel Ernährung: Falsche und falsch dosierte Nahrung inkl. Getränke können das Stoffwechselgeschehen zur Entgleisung bringen. Beispiel Psyche: Seelische Störungen, was auch immer ihr Ursprung sein mag, können das körperliche Geschehen in den Ruin treiben.
 
Wo sind die Grenzen zwischen Vernunft und Unvernunft? Im Anatomiebuch ist ein doppelseitiges Bild von Frank H. Netter und seinem Arbeitsplatz zu sehen. Der Illustrator hält eine dicke, handgedrehte Zigarre in der linken Hand. Er scheint sich damit behaglich zu fühlen, was ich nachvollziehen kann.
 
Die Zahl der wahren Lebenskünstler, die Genuss und Gesundheiterhaltung unter einen Hut bringen können, ist gering, und mit dem Gesundheitszerfall scheint alles immer dramatischer zu werden. Die Kosten für die Krankheitsbehandlungen steigen ungebremst, wozu auch beiträgt, dass Analyseverfahren immer detailgenauer werden und zu krankstempelnden Faktoren wurden. Die Präventivmedizin, die ich immer als Massnahmen zur Krankheitsvermeidung verstanden habe, wurde zu einer Früherfassung von Gesundheitsschäden und zog dadurch eine entsprechend verlängerte Therapiedauer nach sich. Man sagt zwar, die Segnungen von Chirurgie und Medizin, die unter anderem erstaunliche Leistungen hervorbringen, aber auch Schäden verursachen können, hätten dazu geführt, dass die Menschen immer älter würden, und mit der zunehmenden Anzahl von Lebensjahren wachse das Krankheitsrisiko eben an.
 
Gewiss, der alternde Körper verliert an Saft, Kraft und Regenerationsfähigkeiten. Wer im mittleren bis höheren Alter glaubt, so weiterfahren zu können wie als 20-, 30- oder 40-Jähriger, irrt sich, wird eines besseren belehrt. Er muss, wenn möglich, bevor er dazu gezwungen wird, seinen Lebensstil auf ein altersgemäss verträgliches Mass zurückfahren, von Masslosigkeiten und Überforderungen Abstand nehmen, sich kasteien, sich züchtigen, von Übertreibungen lassen ...
 
... damit das Wunderwerk weiterläuft, seine Aufgaben erfüllen kann. Wem das einwandfrei gelingt, gerät in Verdacht, ein weiteres Weltwunder geschaffen zu haben. Wobei man weiss, wie selten solche sind, abgesehen von jenem innerhalb der Naturgesetze, die wir als Selbstverständlichkeiten hinnehmen.
 
 
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