BLOG vom: 16.01.2014
Aufs Wohlfühlen kommt's an, im Leben, in der Grammatik
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Norddeutschland
Es gibt Wörter in der deutschen Sprache, mit deren Hilfe sich ganze Geschichten konstruieren lassen. Eines dieser Wörter ist wohl:
Der junge Mann fühlte sich einfach wohl. Er schaute nicht nur wohlgemut in die Zukunft, er hatte sogar Wohlgefallen an einer wohlgenährten und wohlmeinenden jungen Dame gefunden. Und diese junge Dame war seinen Absichten wohlgesinnt. Der Wohlklang ihrer Stimme umschmeichelte wohlig seine Gefühle und bereitete ihm Wohlbehagen. Zudem war sie noch wohlsituiert, ja selbst wohlhabend. Für ihn war sie eine Wohltäterin. Wenn er mit ihr zusammen war, empfand er ein wohliges Gefühl. Auch bei ihren Eltern war er wohlgelitten, sie betrachteten ihn wohlmeinend mit Wohlwollen. Sie hatte eine wohltuende Wirkung auf ihn. In ihrem Zuhause genoss er die wohlschmeckenden Gerichte, ihren wohlriechenden Duft und nach dem Essen die wohlklingenden Töne, die sie dem Klavier entlockte. Jawohl, das Leben war schön, nicht nur bei dem Wanderlied von Justinus Kerner mit dem Ruf „Wohlauf noch getrunken, den funkelnden Wein!“ Denn er wurde in die Tat umgesetzt und erzeugte ein wohliges Bauchgefühl, als sie sich „Wohl bekomms und zum Wohlsein!“ zuprosteten. Mitsingen wollte er im Theater beim Faust I von Goethe, als in Auerbachskeller das Lied erklang: „Uns ist ganz kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen!“
Das dauerte wohl eine ganze Weile, bis er das Sprichwort in Goethes Gedichten fand: „Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.“ Zuerst wollte er nicht, aber dann gestand er sich ein, dass er ab und an unter Unwohlsein litt. Das Gefühl blitzte wohl zum ersten Male auf, als die Schwester seiner Angebeteten, wohl ein wenig eifersüchtig auf das Paar die Bemerkung fallen liess: „Er hat wohl wieder all dein Geld ausgegeben.“ Es stimmte, er hatte finanziell nur wenig zu bieten und in ihrer Beziehung war er wohl oder übel dem Wohl und Wehe seiner Freundin ausgeliefert. Auch wenn sie ihrer Schwester entgegnete: „Das ist doch wohl meine Sache!“ Da half auch nicht der Satz: „Wohl dem, der gelernt hat, was er nicht ändern kann.“ Das Wohlgefühl schwand. Seine Freundin fühlte etwas und fragte: „Dir hat es wohl die Petersilie verhagelt!“, als er seine schlechte Laune merken liess. Und auf die Aussage ihrer Schwester hin angesprochen, meinte sie nur: „Wenn du dir diesen Schuh anziehst, dann wird er dir wohl auch passen!“ Das hob seine Laune auch nicht, er fühlte sich bei der Sache immer unwohler.
Das Gefühl verstärkte sich, ihm war nicht wohl in seiner Haut. So verabschiedete er sich wohlweislich eines Tages von ihr mit den Worten „Gehab dich wohl!“ Zuerst nahm sie diesen Satz nicht ernst, meinte noch: „Sei nicht übermütig! Wenn dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis!“ Doch dann wurde ihr bewusst, dass es ihm wohl ernst war. Und so endete eine im Grunde wohlgemeinte Beziehung mit ihrem Gruss „Lass es dir wohl sein und wohl ergehen!“
*
Diese Geschichte habe ich geschrieben, nachdem ich Anfang des Jahres „wohl“ gleich bei 2 Artikelüberschriften an einem Tag in der Zeitung entdeckte: „Ärzte bewerten Schumachers Zustand wohl optimistischer“ und „Blindgänger war wohl eine britische Luftmine“.
Ich erkannte, dass das kleine unscheinbare Wörtchen „wohl“ interessanter ist als es auf den ersten Blick erahnen lässt. Es kann als Adjektiv im Sinne von „gut“, „gesund“, „etwa, ungefähr“ und „sicher, wahrscheinlich, vermutlich“ auftreten, als Abtönungs- bzw. Modalpartikel, die das Gesagte modifiziert („Ich habe wohl nicht richtig gehört?“), als Adverb („wohlan“, „wohlauf“), sowie als Nomen und als Verb in vielen verschiedenen Zusammensetzungen.
Es hat im Laufe der Zeit eine Bedeutungsentwicklung erfahren, so wie es bei Dr. Albert Waag, („Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes – ein Blick in das Seelenleben der Wörter“, Lahr i.Br., 1921, 4. Auflage, S. 107) erläutert wird:
„Ebenfalls als eine Folge übertreibender Verwendung und darauf eintretender Rückwirkung ist es zu betrachten, wenn einige andere verstärkende Adverbien, die jedoch ihres Ursprungs Positive sind, ihre Bedeutung im Laufe der Zeit abgeschwächt haben. So ist es vorgekommen, dass die Versicherungen ‚gewiss’ und ‚wohl’, obgleich deren Grundbedeutung uns noch vollständig bewusst ist und in anderm Zusammenhang ungeschwächt zur Geltung kommt (‚es ist gewiss’, ‚er handelt wohl’, ‚es ist ihm wohl’, stark betont) (…) aus einer Bekräftigung sich zum gewöhnlichsten Ausdruck der Unsicherheit entwickelt in Sätzen wie ‚er wird wohl kommen’, ‚er handelt wohl klug’, ‚er mag wohl manchmal den Mut verloren haben’; (..) keineswegs eine Zustimmung, dass alles Gesagte ‚gut’ ist, sondern bisweilen im Gegenteil die Einleitung für den heftigsten Widerspruch.“
So sind die Zeitungsüberschriften gemeint: als Unsicherheit!
Das ist aber noch nicht alles. Der Komparativ „wohl, wohler, am wohlsten“ ist nur zulässig bei der Bedeutung von „gesund“ und „behaglich“, aber nicht im Sinne von „gut“, da muss es z. B. heissen: „Es hat ihm nicht nur wohl, sondern besser, wenn nicht am besten gefallen!“
In Hinsicht auf die Getrennt- und Zusammenschreibung in Verbindung mit Verben hat es uns die neue Rechtschreibung wahrlich nicht einfach gemacht: Verbindungen mit dem Verb „sein“ schreibt man getrennt: „Dabei ist mir nicht wohl gewesen!“ Zusammen oder getrennt darf man „sich wohlfühlen/ sich wohl fühlen; es ist ihm wohlergangen/wohl ergangen“ schreiben. Nur getrennt ist „Sie wird es wohl tun; wohl wollen“ im Sinne einer Vermutung oder Wahrscheinlichkeit richtig. Immer zusammen allerdings wird es im Sinne von Wohltun oder Guttun geschrieben: „Die Reise wird dir wohltun“, schreibt man zusammen. Die Getrenntschreibung wäre aber im Sinne einer Vermutung oder Wahrscheinlichkeit richtig.
Beim Partizip I oder II kommt es darauf an, ob wohl im Sinne von „vermutlich“ gebraucht wird. Dann darf nur getrennt geschrieben werden; zusammengeschrieben hat die Bedeutung von „gut“ und „sorgfältig“: „ein wohl gehütetes (also vermutliches) Geheimnis“ ist etwas anderes als ein „wohlgehütetes Geheimnis“! Das gilt aber nicht bei Komparativen: „ein wohlgenährteres Baby sieht man selten!“ Zusammengeschrieben wird auch, wenn feststehende Verben zugrunde liegen, wie „wohlgehalten, wohlgemut, wohltuend“.
Ich nehme an, das Lernen dieser Unterschiede werde wohl einige Kopfschmerzen machen, wohl wahr!
Quellen:
Rheinische Post vom 07.01.2014, Düsseldorf.
Eine ausführliche Erläuterung zum Wort „wohl“: Adelung, Johann Christoph, Grammtisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Elektronische Volltext- und Faksimilie-Edition nach der Ausgabe letzter Hand Leipzig 1793-1801, in http://de.academic.ru/dic.nsf/grammatisch/53876/Wohl
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