Textatelier
BLOG vom: 09.04.2014

Wird das Naturschauspiel Rheinfall demnächst zum Reinfall?

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
 
Der Rheinfall ist für die Schweizer so etwas wie ein Nationalheiligtum. Im Verlaufe der Schulzeit gibt es mit Sicherheit einmal eine Schulreise zu jenem imposanten Naturschauspiel auf dem Gebiet der Gemeinden Neuhausen SH (rechtsufrig) und Laufen-Uhwiesen ZH (linksufrig), und bei dieser Gelegenheit kann auch gleich die etwa 4 km entfernte Stadt Schaffhausen (rheinaufwärts) besucht werden. Rund 1.5 Millionen Ausflügler besuchen pro Jahr den Wasserfall. Wenn ich in der Nähe bin, mache ich einen Abstecher und nehme ein Auge voll: in jüngster Zeit war ich am 16.04.2009 und am 29.09.2010 dort.
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Von Wasserläufen und Seen wird man immer wieder angezogen. Vom Schloss Laufen reisst es einen förmlich die Treppe hinunter zum tosenden, stiebenden Wasser. Besonders eindrücklich ist das von Lebenskraft erfüllte Naturobjekt bei Hochwasser, wenn die Gischt aufzuschreien droht. Im Durchschnitt stürzen pro Sekunde etwa 600 m3 Wasser über die Kaskaden. Verschiedene Kajakfahrer haben den Sprung in die Tiefe überlebt.
 
Rund um den Wasserfall befinden sich gut ausgebaute und sichere Wanderwege und sogar eine Aussichtsplattform auf der Zürcher Seite, das „Känzeli“. Bereits beim Abstieg vom Schloss Laufen zu dieser Plattform öffnen sich immer neue Perspektiven, denn der Rheinfall ist nicht einfach 23 m auf einer Breite von 150 m abstürzendes Wasser, sondern ein von der Natur während Jahrtausenden gestaltetes, landschaftliches Kleinod, ein Naturkunstwerk. Das Wasser saust um den Rheinfallfelsen (ein besteigbarer Felsen und der Sage nach ein Seelentanzstein). Die Überreste der ursprünglich steil abfallenden Kalksteinflanke der einstigen Abflussrinne machen den Fall stufig, kaskadenartig. Deshalb handelt es sich um einen besonders schönen Wasserfall. Unten kann mit Ausflugsbooten auf dem Kolkbecken nahe zum heran brausenden Wasser gefahren werden.
 
Geradezu als Aberwitz mutet es an, dass der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen und das Parlament jenes Kantons diesen Rheinfall durch den Bau eines neuen Wasserkraftwerks verstümmeln wollen; der Kantonsrat stimmte am 02.12.2013 mit 44:5 Stimmen zu. Die unüberlegt bzw. aus wahltaktischen Gründen von Bundesrätin Doris Leuthard gleich nach dem Fukushima-Tsunami übers Knie gebrochene Energiewende zeigt hier ihre hässlichste Fratze: Überall muss versucht werden, noch ein paar Kilowattstunden herauszupressen.
 
Am 18.05.2014 werden die Schaffhauser Stimmbürger über eine Änderung des Wasserwirtschaftsgesetzes abstimmen. Im Falle einer Zustimmung würden der Bau eines neuen Flusskraftwerks und der Höherstau des Rheins beim Kraftwerk Schaffhausen ermöglicht. Danach würden bis zu 1/5 weniger Wasser über den Rheinfall donnern. Die Rheinkraftwerke Neuhausen AG haben vorgeschlagen, das Wasser vor allem nachts zur Stromgewinnung abzuzapfen, wenn es kaum Touristen gibt. Doch die Verlockungen, auch tagsüber Elektrizität zu produzieren, kann in diesen verwirrten Energiewendezeiten, deren Folgekosten die Konsumenten und Steuerzahler immer schmerzhafter treffen, nicht aus der Welt geschafft werden. Denn nur so könnte das ohnehin penible Kosten-Nutzen-Verhältnis noch etwas verbessert werden.
 
Bemerkenswerterweise hat das Projekt für eine Mehrnutzung des Rheinfalls die Unterstützung der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) bekommen. Protest gab es wenigstens vonseiten der Gewässerschutzorganisation Aqua Viva-Rheinaubund: „Für uns ist der Rheinfall absolut unantastbar, es handelt sich um ein einmaliges Naturdenkmal“, sagte Gewässerschützer Stefan Kunz zu „10vor10“. Wie „aqua viva“, „Die Zeitschrift für Gewässerschutz“ in der Ausgabe 2014-1 schreibt, sei dies ein „fahrlässiger Entscheid der Politik, bleiben doch die Konsequenzen der Gesetzesänderung völlig unklar. So wurden Beeinträchtigungen auf den Rheinfall nicht ansatzweise geprüft.“
 
Was dem Volk unter Euphemismus „Energiewende“ angedreht wird, erweist sich als gigantische Umweltzerstörung, so dass Atomkraftwerke vergleichsweise zu den Umweltschutzmassnahmen gezählt werden müssen. Die alternativen Folgen: Landschaftsbilder-Verwüstungen durch riesige, lärmige Windräder (Vogelshreddern), die zwar zunehmend in die Kritik geraten, und mit öffentlichen Geldern hoch subventionierte Solaranlagen, deren Entsorgung noch ungelöst ist, sodann neue Übertragungsanlagen (Hochspannungsleitungen), die Wiederbelebung von alten Kohlekraftwerken, die als Dreckschleudern fungieren, Ausbau der Wasserkraft, nicht nur in Schaffhausen, sondern auch bei den letzten frei fliessenden Gewässerstrecken, Kleinkraftwerke, Pumpspeicherwerke, erderschütternde Fracking-Abenteuer usf. Hinzu kommen der Verlust an kernenergie-technischem Wissen, die Störung von Bandenergie produzierenden Anlagen durch Überschussstrom, wenn das Angebot die Nachfrage übertrifft.
 
Die Bedrohung des Rheinfalls als Energiewende-Folge müsste aufrütteln. Doch der gegen die Atomenergie eingeschossene Medienmainstream spielt das herunter, lässt kaum eine Diskussion darüber aufkommen. Ein Reinfall mehr.
 
 
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