Textatelier
BLOG vom: 11.04.2014

Das Gelbe vom Ei: Idiochromatische Idiome und Idiotien

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
„Idio“ ist ein Wortbestandteil, kommt also nicht selbstständig vor, er deutet nur auf etwas Eigenständiges hin. Er leitet sich aus dem Griechischen ab und hat die Bedeutung „eigen, selbst, eigentümlich, besonders“.
 
Mein Lexikon führt 8 verschiedene Wörter auf, die damit beginnen und die unterschiedlicher nicht sein können:
 
-- „Idiochromatisch“, grch. „einfarbig“, ist eine Bezeichnung für farbige, nicht zusätzlich gefärbte Kristalle. Sie bekennen Farbe, sozusagen!
-- „Idiom“, grch. „Eigentümlichkeit“, bezieht sich auf die Sprache eines Menschen, einer Region oder einer Mundart. Die Menschen reden dort, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist!
-- „Idiophon“, grch. „Eigentöner“, ein Musikinstrument oder alles, das durch Schlagen, Schrapen, Schütteln, Zupfen oder Reiben in Schwingung versetzt werden kann und dadurch ein Klangträger wird. Jedes schlägt also eine eigene Tonart an!
-- „Idiorhythmie“, grch. „Eigenmass“, eine Lebensform orthodoxer Mönche, die für sich leben und nur zu Gottesdiensten zusammen kommen. Ob es alles Eigenbrötler sind?
-- „Idiosynkrasie“, grch. „jeweils besondere Mischung“, Synonym für Allergie, eine allgemeine Überempfindlichkeit des Körpers gegen bestimmte Stoffe. Der Mensch wird zu einer Mimose.
-- „Idiotie“, grch. idiotes, „Privatmann, Laie“, medizinisch die schwerste Form des angeborenen oder frühkindlich erworbenen Schwachsinns. Jetzt endlich verstehe ich, warum manchmal gefragt wird, ob die Schwachsinnigen nicht die Normalen sind, und wir die Abweichler! Und wenn ich jetzt jemanden als „Idiot“ bezeichne und damit meine, er ist kein Fachmann, ist das dann noch eine Beleidigung?
 
Die Bedeutung des Wortes „Idiotikon“ kann leicht gefunden werden, es ist eine Zusammensetzung von „idio“ und „(lexi)kon“, also ein besonderes Wörterbuch, und zwar eines, das Mundartwörter auflistet. Mit seiner Hilfe kann man reden, wie Hinz und Kunz es tun.
 
Zu guter Letzt führt mein Lexikon noch den Begriff „Idiotypus“ auf, der das ganze Erbgefüge, also den Genotypus und den Plasmotypus, bei grünen Pflanzen zusätzlich auch den Plastidotypus eines Individuums bezeichnet.
 
Ich wünsche, ich hätte mir einiges davon aus dem Ärmel schütteln können; weit und taschenförmig waren sie im Spätmittelalter, da konnte man einiges verstecken.
 
Auch wenn es idiotisch (im Sinne von laienhaft) klingt: Idiome können Kopfzerbrechen bereiten! Ich frage mich oft, wie sie entstanden sind, manchmal kommen sie mir spanisch vor. Und wenn ich daraus nicht schlau werde, muss ich mich schlau machen!
 
Vor ein paar Tagen wurde ich gefragt, wo denn der Ausdruck „blau machen“ herkäme.
 
Das war ein schöner Anlass, mich mit idiomatischen Redewendungen zu beschäftigen, die eine Farbe einschliessen. Ich will Ihnen nicht das Blaue vom Himmel versprechen, auch nicht ins Blaue hineinreden! Muss ich jetzt Farbe bekennen? Nicht, wenn es ursprünglich gemeint ist, denn dann müsste ich die Karten (beim Doppelkopf) aufdecken.
 
Im Mittelalter wurde die Feier am Abend des Sonntags noch guter Montag genannt. Ursprünglich wurde den Handwerksgesellen der halbe Montag freigegeben, sie machten also „einen blauen Montag“. Wenn Sie sich demnächst Ihre Haare schneiden lassen wollen und Sie lesen an der Tür eines Friseurladens „Montags geschlossen“, dann wissen Sie, diese Dienstleister machen blau! Vielleicht sind sie ja noch immer blau vom Vortag!
 
Das war nicht ganz das Gelbe vom Ei, oder doch? Jedenfalls ist es meistens negativ gemeint, denn der Eidotter ist das Wertvollste vom Ei, und wenn der nicht vorhanden ist, war es wohl nichts!
 
Ob ich den Dotter über den grünen Klee loben soll? Die Minnesänger im Mittelalter besangen den Klee in ihren Liedern. Öfters sangen sie auch bei grünen Witwen, denn die Ehemänner zogen in den Krieg oder waren auf Kreuzzügen.
 
Ich will die Dinge eher durch die rosarote Brille sehen, denn ich bin Optimist.
 
Ich hoffe nicht, dass ich den roten Faden verloren habe! Nichts soll dem Rotstift zum Opfer fallen!
 
Wahrscheinlich sehe ich zu schwarz, in den schwärzesten Farben. Auch wenn bei Nacht alle Katzen grau sind. Schliesslich finden Sie den Text hier schwarz auf weiss (bzw. dunkelbau auf hellblau), also habe ich keinen Grund, mich schwarz zu ärgern. Darüber lasse ich mir keine grauen Haare wachsen!
 
 
Quellen
„Bertelsmann Neues Lexikon in 10 Bänden“, Band 4, Gütersloh 1996, S. 453f.
„Compact Wörterbuch Deutsch Sprichwörter und Redewendungen“, München 1995.
 
 
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