Textatelier
BLOG vom: 18.04.2014

Busreise an den Gardasee über Arlberg und Reschenpass

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Wenn ich auf die Ferientage zurückschaue, sehe ich vor den inneren Augen vorbeihuschende und sich überlagernde Bilder, wie sie sich jeweils am Abend vor dem Einschlafen präsentierten. Wir waren im Bus unterwegs. Sassen still, liessen die Landschaft auf uns zukommen.
 
Ab Bludenz (Vorarlberg) sah und erlebte ich Unbekanntes. Das Klostertal. Die Reise über den Arlberg. Der Kaffeehalt auf der Passhöhe. Einzelne Skifahrer auf eisigem Gelände. Weiterfahrt nach Landeck. Erinnerungen an eine Velofahrt ab St. Moritz nach Innsbruck stiegen auf. Ich war aber erst richtig angesprochen, als ich die Kirche mit dem orangeroten Zwiebelturm von Pfunds sah. Da fühlte ich mich damals in sehr alter Zeit, meinte, in einer Sust angekommen zu sein. Aus Primo sprudelten viele Erinnerungen heraus. An diesem Ort lernten wir das Wort Pfanderl kennen. Eine Speise in einer kleinen Bratpfanne serviert. Das Wort ist in unserem Haushalt gut integriert. Heut gibt's ä Pfanderl! heisst es öfters.
 
Neu nun die weitere Strecke: Reschenpass. Reschensee. Der vom Stausee umspülte Kirchturm, der mir schon jahrelang auf Reiseprospekten begegnet ist. An diesem Tag auch von Eis umgeben. Wahrzeichen des Vinschgaus. Mit hohem Alter. Er stammt aus dem 4. Jahrhundert und sei mit Beton gefüllt. Hier gehörte ein Fotohalt dazu. Das Gefährt eine Weile zu verlassen und frische Bergluft zu tanken, ein Genuss. Wundervolle Fahrt durch das Südtirol. Herbe, liebliche Landschaft mit Obst- und Weinkulturen. Aprikosen und Äpfel werden hier in Niederkulturen angebaut.
 
Das abfallende Gelände ist Teil der Schönheit dieser Landschaft. Immer wieder schaute ich nach unten aus und wunderte mich, dass der Talboden noch nicht erreicht war. Die Farben der Landschaft waren in dieser Woche vom Frühling geprägt. Böden trugen aber auch noch hellbraune Winterpatina. Menschen, die hier leben, müssen eine grosse Geborgenheit fühlen und mit einem Schönheitssinn zur Welt kommen.
 
Ich weiss nicht, wie die Menschen aus dem Vinschgau ihre Landschaft benennen. Ich nahm sie wie eine übergrosse Tüte wahr, die ihren Schatz nach unten rieseln lässt. Ich sah eine Ortschaft mit vielen Türmen, alten Wehrtürmen, Kirchtürmen, die im offenen Raum zwischen 2 auseinander liegenden Gebirgszügen angesiedelt sind. Ich kann sie in keinem Reiseführer finden, frage mich, ob sie eine Komposition meiner Emotionen ist. Wahr ist, dass wir auf dieser Reise etliche Kirchen, Türme und auch die mächtige Benediktinerabtei Marienberg sahen, die alle besondere, herbe Schönheit ausstrahlen.
 
Im Bildband Südtirol von Adolf Sickert (1986) schreibt Hans Humer über Land und Volk der Heimat Südtirol: Wer über Südtirol nachdenkt, gelangt an kein Ende. Er mag hinabtauchen oder sich aufschwingen, den letzten Grund und die letzte Höhe erreicht er nicht, denn hier lebt noch immer eine Welt des Geistes und der Seele, des Herzens und des Gemütes, die nicht auszuwandern ist.
 
So wirkten das Land, seine Topographie und die Menschen auf mich. Auch das Mittagsmahl im Hotel Maria Theresia in Schlanders bestätigte solche Aussage. Der Hotelprospekt spricht von herzlicher, familiärer Gemütlichkeit. Diese haben wir erlebt. Und das Essen, von uns allen individuell gewählt, liess die Rast zum Festessen werden.
 
Weiterfahrt. Nächster Halt: Kalterersee. (Lago di Caldaro). Ein südlicher Ort. Palmen und blühende Bäume begrüssten uns. Schwimmbad-Stimmung, obwohl es noch zu kühl war, um zu baden. Für Gelati stand man in der Warteschlange an. Der See ist für Wassersport beliebt. Es wurde gerade ein Wettkampf vorbereitet. Im Umfeld wird Wein angebaut. Kalterersee war der Wein, den mein Vater an Festtagen getrunken hatte. Schön, solche Orte zu finden. Es gibt also diesen See. In Salurns wurden wir auf die Sprachgrenze aufmerksam gemacht. Ab diesem Ort zieht sich die deutsche Sprache zurück. Von da an wird Italienisch gesprochen.
 
Bozen und Trento wurden nicht berührt. Zügige Fahrt dem Gardasee entgegen. Die Berge hatten wir verlassen. Den Charme des Vinschgaus ebenfalls. Erstaunt schaute ich den Vergleich der Höhenmeter an. Vom Reschenpass bis ins Umfeld von Trento sind wir 1310 m abwärts gefahren.
 
Der weiteren Reise fehlte das Besondere. Wir reisten auf einer typischen Autobahn. Hie und da zwinkerte mir das Wasser aus der Etsch zu. Dann verschwand es wieder, um später erneut zu grüssen. Italienisch heisst dieser Fluss Fiume Adige. Seine Quelle entspringt nahe dem Reschenpass. Seine Reise endet im adriatischen Meer. Er ist der längste Fluss Italiens.
 
Kurz bevor wir an Trento vorbeifuhren, stupfte ich Primo, der etwas gedöst hatte. Ich wollte daran erinnern, dass wir jetzt ins Umfeld seiner Urgrosseltern gekommen seien. Sie entstammten der Provinz Trentino.
 
Vor mir im Bus schlief eine Frau, einige Reihen hinter uns erzählten sich 2 Männer pausenlos Geschichten. Es gelang mir, nicht zuzuhören. So blieb ich wach und erwartete den ersten Blick auf den Gardasee. Und entdeckte unerwartet die Hinweistafel auf den Ort Peschiera. Mit grosser Freude. Wir fuhren aber nicht ins Zentrum. Ich erschauerte, was ich hier antraf. Geschäft an Geschäft, Zweigstellen internationaler Markenfirmen. Dominante Namen an Hausfassaden. Viel Verkehr, Hektik. Was würde auch Johanna Spyri sagen, wenn sie das Umfeld von Peschiera heute sähe? In ihrem Buch Heimatlos ist dieser Ort bedeutungsvoll. Ich bewunderte den Chauffeur, wie sorgfältig er unsern Bus durch das Gewusel von Mensch und Autos steuerte.
 
Angekommen in Felice del Benaco im Hotel Casimir. Zimmerbezug, eines von den 199 zur Verfügung stehenden Zimmern. Vor unserer Balkontür, die direkt auf eine Wiese und zum Seeufer führt, wartete ein Entenpaar um uns zu grüssen und zu betteln.
 
Der vom Hotel offerierte Apéro und das Nachtessen nach eigener Zusammenstellung verbreiteten gute Stimmung. Es standen Vor-, Haupt- und Nachspeisen zur Selbstbedienung bereit. Welche Fülle. War ich im Schlaraffenland angekommen? Auch Genuss für die Augen. Italienische Kochkunst, Grosszügigkeit und Lebensfreude.
 
Im Speisesaal waren die Tische für 4 Personen immer übers Eck und mit Abstand zum nächsten hin platziert. Es sah aus, als wollten diese Vierbeiner tanzen. Verschiedene Kellner im Livrée überwachten das Geschehen, halfen, wenn wir Informationen brauchten. Grundsätzlich bedienten sie nicht, damit der Gast sein Essen selbstbestimmend zusammenstellen und an seinen Tisch tragen konnte. Mir hat diese Ordnung gefallen. Ebenso die Persönlichkeiten der Mitarbeitenden. Die Atmosphäre in diesem grossen Raum liessen mich an die Commedia dell' arte und an Goldoni-Figuren denken. Und dass auch wir, die angereist sind, in diesem Theater auftreten.
 
Hinweis auf das vorangegangene Blog zur Gardasee-Reise
 
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