Textatelier
BLOG vom: 21.04.2014

Rundfahrt um den Gardasee. Wanderung nach Salò (I)

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Die Fahrt auf der in Fels gehauenen Gardesana Occidentale, der legendären Uferstrasse am Gardasee, ist ein besonderes Ereignis. Sie trägt ehrenvolle Titel. Man spricht von Ingenieurkunst, von einem Meisterwerk der Strassenkunst und bezeichnet sie als eine der Traumstrassen Europas. Sie führt am Westufer des Gardasees von Salò nach Riva.
 
Bauzeit: 1927 bis 1932. Auf dieser in Felsen gehauenen Uferstrasse mit angeblich 74 Tunnels begann unsere Rundreise um den Gardasee. Die Tunnels habe ich nicht gezählt, aber bewundert. Es war eine Balkonfahrt. Eindrücklich und anspruchsvoll für den Car-Chauffeur. Erstaunlich, dass Busse auf dieser schmalen Strasse zugelassen werden. Traum auch für Motorradfahrer und Radrennfahrer. Man spricht von romantischer Ursprünglichkeit.
 
Mich begeisterten auch überraschende Ausblicke aus den Tunnelfenstern. Nur kurze Sicht auf den See. Immer wieder aus anderem Blickwinkel heraus. Manchmal etwas länger. Rechtzeitig vom Fahrer informiert, konnten wir den Ort sehen, wo sich Surfer und Segler tummeln. Es gebe bestimmte Orte und Winde, die für sie ideal seien. Das aufblitzende Bild zeigte dann, wie sich die Sportler dem Wind und Wasser hingeben. Ekstatisch ihr Spiel. Von oben herab nahm ich diese Menschen wie kleine, silberne Delphine wahr.
 
Bergseitig schenkten wir vornehmen Villen und prachtvollen Gärten bewundernde Blicke. Hier glänzten Büsche und Bäume, wie wenn ihre Blätter lackiert worden wären. Jeden Tag bezauberte uns das Licht dieser Region, die allem ihren Glanz aufträgt.
 
Kaffeehalt in Riva, am Ende der urtümlichen Strasse. Ohne Kaffee. Der Ort schlief noch, als wir am Sonntagmorgen vor 10 Uhr hier eintrafen. Gasthäuser waren noch geschlossen. Wenige Menschen unterwegs. Spaziergang am See, im Park. Das Geländer, das den See hier abgrenzt, kam mir seltsam bekannt vor. Sein Bild weckte in mir Hinweise auf den Gardasee, als Reisen erst möglich wurde. Es ist lange her. Sehr lange. Und doch wusste ich sofort, dass ich dieses Bild kenne. Es waren die steinernen Balustraden, an die ich mich erinnerte.
 
Dann Weiterreise dem Ostufer entlang. Hier begrenzen keine Felsen den Blick auf den See. Manche Partie verglich ich mit dem Zugersee in der Schweiz. Längerer Halt dann in Lazise. Gastfreundlich empfingen uns Stadttor, Marktplatz, Gasthäuser und Kirchen. Hier gingen alle Reisenden ihre eigenen Wege. Primo entdeckte eine Bäckerei, hätte dort gerne eingekauft. Geschlossen. Leider schon Siestazeit. Diese überrascht Touristen in Italien immer wieder. Läden, Museen, Kirchen sind mindestens von 12 bis 14 Uhr geschlossen. Auch im Sommer? Ich weiss es nicht. Primo entdeckte in der gleichen Gasse eine imposante, detailreiche Seekarte. So gross wie ein halbes Leintuch. Auf ihr fanden wir später alle Informationen, die wir uns wünschten. Der Ladenbesitzer bediente uns noch, dann schloss auch er subito sein Geschäft.
 
Auf dem Marktplatz zeigte ein Künstler seine moderne Ikonenmalerei. Ein Buchhändler präsentierte edle Bücher aus seinem Antiquariat. Ein Kleidergeschäft bot Strickwaren an. Mich zog es zur baufälligen Kirche Sankt Nikolaus. Ich las ihre Geschichte. Sie wurde im Jahr 1100 direkt am Hafen von der Genossenschaft der ursprünglichen Einwohner errichtet. (Corporazione degli Originari). Was für eine schöne, eben originale Bezeichnung. Von Menschen, die mit dem Fischfang, dem Seehandel und der Seefahrt beschäftigt waren. Trotz Altersbeschwerden, an denen dieses Bauwerk leidet, strahlen im Innern die liebevoll gereinigten Fresken immer noch aus.
 
Die renovierte Zollstation direkt am Hafen, Dogana Venata di Lazise, ist heute ein vornehmes Haus für Kongresse, verschiedene Anlässe und Feste. Die Türen standen offen. Wir hörten Gesänge. Es wurde eine Feier eröffnet. Eine Weile waren wir dabei.
 
Mittagessen in einer Trattoria, neben einer italienischen Grossfamilie. Bestimmende Autorität war der Grossvater. Der Enkel, vielleicht 6-jährig, sass nahe bei ihm, schaute zu ihm auf, eiferte ihm nach. Das muss klassische italienische Erziehung sein.
 
Auf dem Rückweg wurden wir am grössten italienischen Vergnügungspark Gardaland entlang geführt. Er war noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht. Kein Problem für uns. Nicht unsere Wellenlänge.
 
Am frühen Abend ins Hotel zurückgekehrt, schwärmte ich mit Primo nochmals aus. Wir stiegen den Hügel empor, landeten in einem gepflegten, traditionellen Dorf. Wir fühlten uns ins schweizerische Tessin versetzt. Die Häuser allerdings grosszügiger proportioniert. In Italien ist eigentlich immer alles grösser. Vor einer Scheune standen 2 ältere Frauen miteinander im Gespräch. Als sie uns entdeckten, winkten sie uns herbei. Wir folgten der Einladung. Mit wenigen italienischen Worten vertraut, ergab sich ein herzliches Gespräch. Wir erfuhren, dass sie hier im Altersheim leben. Wir erzählten, woher wir kamen. Es war eine Begegnung, wie wenn wir Verwandte besucht hätten. Die Frauen bedauerten, dass sie uns ihre Kirche nicht zeigen konnten. Auch hier werden Kirchen geplündert, müssen darum geschlossen bleiben. Sie werden nur noch für Gottesdienste geöffnet.
 
Am freien Tag, der dann folgte, wanderten Primo und ich von Porto Portese nach Salò, besuchten die sympathische Stadt am schräg gegenüberliegenden Ufer. Das Wetter freundlich, der See leicht träumerisch. Die Luft mit Nebel getränkt. Die Sicht unklar. Sofern wir im richtigen Winkel daher kamen, sahen wir den Monte Baldo (höchster Punkt: 2218 Meter über Meer) wie eine Himmelserscheinung. Er trug noch Schnee wie der japanische Fujiyama. Der Reiseführer wies immer auf ihn hin, wenn er sichtbar wurde. Wie ein Geheimnis. Ein überirdischer Berg, der scheinbar ohne Bodenhaftung am Himmel hing.
 
Auf dieser Wanderung kamen wir am Friedhof unseres Ferienortes vorbei. Ein monumentales Gelände. Aus weissem Marmor an den Hügel gebaut. Mit hunderten oder vielleicht tausend Gräbern. Alle Verstorbenen werden hier mit einer Foto verewigt. Zypressen stehen am Ufer Spalier. Einen halben Kilometer lang. Sie markieren den Ort der Toten. Sind von weit her sichtbar und auf ihre Art auch Wegweiser.
 
In Salò entdeckten wir als erstes eine reife Frucht an einem Orangenbaum. In einer eher dunklen Gasse fanden wir blühende Kamelien. In vielen Töpfen standen auch sie Spalier. 2 abgefallene Blüten nahm ich mit nach Hause.
 
Als wir ins Schaufenster schauten, wurde unser Interesse an echten Lederartikeln bemerkt. Die Geschäftsführerin sprach uns an, freute sich, mit mir deutsch zu sprechen und verstanden zu werden. Sie habe sich diese Sprache selber beigebracht. Zur selben Zeit ersetzte Primo im Laden sein lädiertes Portemonnaie. Zu einem passenden Zeitpunkt. Am Tag danach begann für ihn ein neues Lebensjahr.
 
Zur Mittagszeit betraten wir ein kleines Restaurant. Aus der Küche rief der Chef: Wollt ihr nicht im Freien essen? Wir hatten die Tische auf der andern Strassenseite noch nicht gesehen. Es war ein gutes Angebot, im Freien zu speisen und sich vom Leben um uns unterhalten zu lassen.
 
Später ergänzte noch ein Spaziergang an der Seepromenade das Feriengefühl. Vor dem heutigen Rathaus, dem Palazzo della Podestà, blieb ich lange stehen. Dieser Palast aus dem 14. Jahrhundert wurde nach meinem Empfinden nicht mit schnurgerader Front gebaut, sondern dem Seeufer leicht nach innen gebogen angepasst. Sie wirkte lieblich. Die hohen Palmen vor den Arkaden mögen die Hauptdarsteller ihres Charmes sein. Es verwundert mich, dass dieses Gebäude in Reiseführern keine herausragende Rolle spielt.
 
Wir rechneten für die Rückkehr auch wieder mit einer langen Wanderung. Da kamen 2 Personen auf uns zu, die zur Reisegruppe gehörten. Sie waren ebenfalls hierher marschiert. Sie wussten bereits, dass demnächst ein Schiff eintreffe, das den See überquere und in Porto Portese anlege. Wir fuhren mit. Glück gehabt!
 
Hinweis auf die vorangegangenen Blogs zur Gardasee-Reise
 
 
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