Textatelier
BLOG vom: 28.04.2014

Der Koningsdag in den Niederlanden und der Vrijmarkt

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
Die Niederländer haben eine parlamentarische Monarchie. Seit 2014 gibt es einen Koningsdag. An diesem Tag wird der Geburtstag von König Willem-Alexander gefeiert. Fällt der 27. April auf einen Sonntag, wie in diesem Jahr, wird der Tag vorverlegt. Der Tag ist ein Nationalfeiertag.
 
Der Nationalfeiertag hat eine Tradition seit 1890; vorher war er „Prinsessendag“ (am 30.08.), und wurde nach dem Tod von Wilhelms III. der „Koninginnedag“. Mit der Königin Juliana wurde der Tag auf deren Geburtstag, den 30. April, festgelegt. Dabei blieb es auch beim Thronwechsel 1980, bei dem die Tochter Beatrix Königin wurde. Am letzten Koninginnedag 2013 wurde ihr Sohn inthronisiert.
 
Im letzten Jahr 2013 besuchte ich an diesem Tag mit meiner Frau meine Schwägerin im Geburtsort Nijmegen (deutsch: Nimwegen). In jedem Ort der Niederlande wird dieser Feiertag mit allerlei Festivitäten begangen. Die Landsleute kleiden sich in Orange (der Farbe des Königshauses von Oranien), setzen sich orangefarbene Hüte aller Art auf, es werden Paraden und Konzerte veranstaltet. Gerne besuchen wir, wie im letzten Jahr in Nimwegen auch, den riesigen Vrijmarkt. Jeder darf verkaufen, Speisen und Getränke anbieten, Musik machen, usw. Vor allem Kinder verkaufen im riesigen Goffertpark die Dinge, die sie gern loswerden wollen. Frauen haben Kuchen und anderes zum Festtag gebacken. Kinder machen kleine Aufführungen, es gibt Musikkapellen und auch Musik über Lautsprecher. Kurzum es herrscht eine lockere, fröhliche Volksfeststimmung.
 
In diesem Jahr, dem ersten Koningsdag, fuhren wir in den unserem deutschen Wohnort am nächsten liegenden niederländischen Ort, direkt hinter der Grenze, und besuchten den traditionellen Vrijmarkt in Roermond. Er fand in einem Wohngebiet abseits der traditionellen Altstadt statt.
 
Es war eine Überraschung und Enttäuschung zugleich. Der Vrijmarkt  war recht gross. Er unterschied sich aber kaum von Flohmärkten, die man fast wöchentlich in irgendeiner Stadt in Deutschland oder in anderen Ländern besuchen kann. Nur wenig erinnerte an den Feiertag. Einige Kinder und Erwachsene hatten sich orangefarbene Hüte aufgesetzt, oft aus Luftballonmaterial geformt. Die Verkäufer an den Ständen waren nur zu einem kleinen Teil Kinder, sondern es gab viele Erwachsene, die sowohl alte Dinge, wie auch Neuware anboten. Ein farbiger Diskjockey mit orangefarbener Jacke und Hut liess über seine Lautsprecher englischsprachige Musik ertönen.
 
Ja, uns schien sogar, dass diese Veranstaltung fest in der Hand der Menschen war, die in den Niederlanden eine neue Heimat gefunden hatten. Zeitweise hörten wir überhaupt kein niederländisch, sondern türkisch, arabisch und andere afrikanische Sprachen. Waren wir auf einem orientalischen Basar? Es waren nicht die Menschen aus den ehemaligen Kolonien der Niederlande, die schon viele Jahrzehnte hier wohnen, es waren Migranten. Viele Mütter mit dunkler Hautfarbe schoben zusammen mit den sie begleitenden Kindern und dem Ehemann ihre Kinderwagen an den Ständen vorbei, an denen auch Köstlichkeiten aus den Herkunftsländern angeboten wurden. Man merkte, dass sich einige bemühten, es den Niederländern nachzutun, orange gekleidet, ab und an auch bei Gebackenem. Aber was für ein Unterschied zum letzten Jahr in Nimwegen! Wir fanden auch keinen Stand, an dem typisch niederländische Kopjes Koffie angeboten wurden.
 
In der Altstadt von Roermond war es traditionsgemäss anders, eine grosse Musikbühne war errichtet worden, und man konnte in den Cafés am Marktplatz an den Tischen vor den historischen Häusern sitzen und der Musik zuhören und den Passanten zusehen, die festagsgestimmt vorbei flanierten. Hier war die Stimmung zu fühlen.
 
Ich frage mich, wie sehen Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – ihre Heimat verlassen haben, Nationalfeiertage dort, wo sie neue Wurzeln geschlagen haben? Was verbindet sie mit der Geschichte, den Eigentümlichkeiten und der Tradition des Landes?
 
Ein Zugang zu dieser Frage könnte die eigene Sozialisation sein. Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Deutschland hatte zwar auch viele Jahrhunderte eine Monarchie, aber das ist seit 1918 vorbei. Könige und Prinzessinnen sind nur aus den Märchen und dem Geschichtsunterricht und aus Österreich („Ludwig II. oder „Sissi“) bekannt und werden oft romantisiert. Deutschland kommt ganz gut ohne sie aus. Und das gilt auch für einige andere Nationen in Europa. Die Bevölkerung der Staaten mit parlamentarischer Monarchie ist mit diesem System oft einverstanden. Der Monarch oder die Monarchin gehören einfach dazu.
 
Dieses Gefühl muss gewachsen sein, durch das Elternhaus, die Schule, aus dem Wissen über den Aufbau des eigenen Staates und dem Bewusstsein, einer Nation anzugehören. Neubürger oder auch Besucher haben diese Sozialisation nicht erhalten, sie kommen in ein ihnen fremdes Land, nicht nur fremd wegen der Sprache, sondern auch die Kultur ist unbekannt und ungewohnt.
 
Und so verändert sich der Charakter von Volksfesten in Gebieten mit einem hohen Anteil von Einwanderern. Zurückdrehen lässt sich die Entwicklung nicht. Man kann gespannt darauf sein, was daraus wird!
 
 
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