Textatelier
BLOG vom: 18.06.2014

Bei Gartenarbeit über Zustände in England nachgedacht

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Diesen Monat Juni 2014 habe ich mir mehrere Pausen verschrieben, um Zeit für eine erholsame Gartenarbeit zu finden. Ich dämmte den Wildwuchs etwas ein. Ich sass auf einem Schemel und zwackte da und dort und immerfort Zweiglein von Stauden, die ins Kraut geschossen waren. Damit hatte ich Sonnendurchbrüche ins Gebüsch ermöglicht. Ich verschonte dabei die Hecken von meinem Handwerk, denn die Vögel sollen ihre Verstecke und Nester behalten können. Auf der Sonnenseite sind meine Küchenkräuter untergebracht. Sie gedeihen vortrefflich. Ich mische sie zum Cocktail als Salatkrönung. Der Fingerhut entkam aus eigener Kraft dem vegetativen Gedränge ringsum und fand seine eigene Scholle hinter meiner Sitzbank. Einige sind bis zu 2 Meter hoch emporgeschossen, und ihre Blüten werden emsig von Bienen und Hummeln besucht. Auch die schottische Distel hat sich zu einem Standortwechsel entschieden. Werden sich die Schotten ebenfalls ihren eigenen Standort sichern?
 
Während ich mit meinem Garten beschäftigt bin, rumoren und verdichten sich ganz anders gelagerte Gedanken in meinem Kopf. Jetzt erwägen englische Politiker ernsthaft, den Ankauf von 3 ausgeleierten Wasserkanonen aus Deutschland. Das finde ich ein stumpfsinniges und abwegiges Ansinnen, das viele Engländer verärgert. Ich bin der Meinung, dass England eine Scheindemokratie ist: Die Wähler können bloss die Parlamentarier bestimmen. Die Wahlversprechen, sogenannte „pledges“, werden selten eingelöst.
 
Ehe David Cameron ans Ruder gekommen war, versprach er, die Erbschaftssteuer abzuschaffen. Jetzt, wo die Hauspreise rasant hochschnellen, geraten viele Leute in die 40 %-Steuerklemme. Die Obdachlosen werden im Londoner Zentrum nachtsüber mit „spikes“ (Metallhauben) daran gehindert, bei den Eingängen der Läden zu übernachten. Wasserspeier sind andere Massnahmen gegen die Obdachlosen ... In unserem Garten spielen 3 Welpen ihre Kapriolen. Sie schlafen unbehelligt unterm Gartenschuppen. Und das ist mir schnuppe.
 
Die Politiker faseln über die vermeintliche Erholung der Wirtschaft, verbunden mit statistisch manipulierten Abbau der Arbeitslosigkeit. Die meisten Stellenangebote sind für schlecht entlöhnte Hilfskräfte vorbehalten. Wieweit sind die „Volontäre” in die Statistiken einbezogen?
 
Laut Oxfam (Vereinigung von Hilfsorganisationen) wurden innerhalb von 12 Monaten 54 % mehr Lebensmittel an Bedürftige verteilt (im Wert von £ 20 Mio.). Hinzu kommt die eklatante Kinderarmut in finanziell bedrängten Familien und unter alleinstehenden Müttern, die nach wie vor mit Hungerlöhnen darben, verschärft von gekürzten Sozialbeiträgen.
 
Michael Gove, als konservativer Parlamentarier, zuständig für das Erziehungswesen und zugleich für „faith and communities“ (Glaube und Gemeinschaften), schürte und verletzte mit seiner „Troyan horse“-Tirade (Attacke gegen vermeintliche islamische Extremisten in staatlichen Schulen in Birmingham) die Gefühle rechtschaffener Gläubiger des Islams. Zugleich plädiert er für vermehrte Berücksichtigung von „British values“ im Schulunterricht – einen Ausdruck, den er von David Cameron aufgeschnappt hat. „British values“ spottet jeder Definition!
 
Alles ist heutzutage zur „Industrie“ degradiert – neuerdings ist sogar von „creative industries“ die Rede.
 
Inzwischen ist mein Garten einigermassen bestellt, und somit kann ich diesen Text vom Stapel lassen.
 
Die Politiker können jetzt aufatmen, weil auch die Briten von den Sport-Industrien und vorrangig von der Fussball-Meisterschaft abgelenkt werden. Meinerseits werde ich den Garten ohne Gelenkschmerzen geniessen.
 
 
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