BLOG vom: 19.07.2014
AIDS-Forscher Joep Lange, ein Absturzopfer in der Ukraine
Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU
Joseph Marie Albert Lange, genannt Joep Lange, geboren und katholisch getauft 1954, in Nieuwenhagen, Provinz Limburg, Niederlande, zu Tode gekommen beim gewaltsamen erzwungenen Flugzeugabsturz bei Hrabove, Ukraine, am 17. Juli 2014, unterwegs zur 20. Internationalen AIDS-Konferenz in Melbourne, welche auf den 20. Juli desselben Jahres angesagt wurde, war ein niederländischer Medizinprofessor und AIDS-Forscher der ersten Stunde. Schon 1983/84 hat sich Lange mit den damals neuen und zum Teil rätselhaften Krankheitssymptomen auseinandergesetzt. Dies war zur Zeit, als AIDS noch primär als Krankheit von Homosexuellen und Drogensüchtigen dargestellt wurde.
Lange schloss sein Medizinstudium an der Universität Amsterdam 1981 ab, also kurz vor dem Bekanntwerden der rätselhaften Krankheit, doktorierte 1987 zu seinem Lebensthema und wurde 2006 als HIV-Experte Professor beim Academic Medical Center der Universität Amsterdam. 2001 hatte er die „Pharm Access-Foundation“ gegründet, eine Non-Profit-Organisation, zugunsten einer besseren Förderung der AIDS-Prophylaxe und vor allem AIDS-Krankenbehandlung in den Entwicklungsländern. Überdies war er Co-Direktor des „HIV-Netherlands-Australia-Research-Collaboration“ (HIV-NAT) mit Sitz in Thailand sowie weiterer internationaler Institutionen. Sein Anliegen auch als Präsident der Internationalen AIDS-Gesellschaft war die globale Bekämpfung der Krankheit, welche das Bewusstsein der Menschen für sexuell bedingte Infektionen ähnlich veränderte wie um 1500 der Einbruch der Syphilis in Europa, die in Spanien die Portugiesische Krankheit, in Frankreich die Spanische, in Deutschland die Französische Krankheit genannt wurde.
Zu seinem Tode schreibt das Deutsche Ärzteblatt, das ihn schon in den 1980er-Jahren regelmässig zitierte: „Joep Lange, einer der führenden HIV-Forscher in der Welt, wurde als eines der 298 Opfer in dem abgeschossenen Malaysia Airlines Flug MH 17 benannt. Lange war mit Kollegen auf dem Weg zur 20. internationalen AIDS-Konferenz (AIDS 2014), die vom 20. Juli bis zum 25. Juli im australischen Melbourne stattfinden wird. Ein Sprecher des Universitätskrankenhauses Amsterdam teilte am Freitag mit: Alle Angaben weisen daraufhin, dass Lange in der Maschine sass, gemeinsam mit seiner Partnerin Jacqueline van Tongeren. Das Krankenhaus will vor einer offiziellen Bestätigung die Veröffentlichung der Passagierliste der Fluggesellschaft Malaysia Airlines abwarten. Freunde des Forschers meldeten den Tod des Forschers auf Facebook.
Von 2002 bis 2004 war Lange Präsident der Internationalen Aids-Gesellschaft (IAS) und damit auch Präsident der Welt-Aids-Konferenz 2004 in Bangkok. Damals forderte er mit Blick auf die mangelnde Versorgung von HIV-Infizierten mit antiretroviralen Medikamenten in Entwicklungsländern, dass sich die politisch Verantwortlichen an ihre Zusagen erinnern sollten. Wenn wir kalte Coca-Cola und Bier in die entlegensten Regionen Afrikas bringen können, sollte es nicht unmöglich sein, dasselbe mit Medikamenten zu tun, sagte Joep als IAS-Präsident. Damals erhielten in den Entwicklungsländern nur sieben Prozent der Betroffenen eine antiretrovirale Therapie; 2012 waren es laut WHO 61 Prozent.
Für seine Leistungen auf dem Gebiet der HIV-Forschung wurde Lange auch als „World’s Top AIDS Researcher“ bezeichnet. Vorausschauend nahm er bereits 2004 in einem Interview Stellung zu den Möglichkeiten und Grenzen der Viruseradikation (also der Keimeliminierung). Es sollte ganz sicher in dieser Richtung geforscht werden, denn wir sehen doch, dass das chronische Pillenschlucken letztendlich zu Nebenwirkungen und Therapiemüdigkeit führt. Hinzu kommt, dass wir mit den heutigen Medikamenten noch immer keinen hundertprozentigen Stopp der Virusreplikation erreichen. Ich fände Möglichkeiten, das Virus ganz zu eliminieren, sehr wichtig, auch wenn mein diesbezüglicher Optimismus kleiner geworden ist. Der erste Schritt wird die völlige Unterdrückung der Virusreplikation sein.
Lange ist der zweite hochrangige AIDS-Wissenschaftler, der durch einen tragischen Flugzeugabsturz getötet wurde. 2005 war Jonathan Mann, der Gründungsdirektor des Welt-AIDS-Programms, eines der Opfer des Swissair-Fluges 111. Die Maschine war auf ihrem Weg von New York nach Genf nach Rauchentwicklung im Cockpit vor der kanadischen Halbinsel Nova Scotia (Neuschottland) ins Meer gestürzt.“
Mit Joep Lange fand – nebst einer grossen Zahl anderer angemeldeter Teilnehmer am AIDS-Kongress, auch der 49-jährige Pressesprecher der Weltgesundheitsorganisation Glenn Thomas den Tod, bekannt für seinen würzigen britischen Humor und sein Kommunikationstalent. Der Zwillingsbruder seiner Schwester Tracey hinterlässt nebst zahlreichen anderen Trauernden seinen Lebenspartner Claudio.
Dass für den Welt-AIDS-Kongress um die 12 000 Personen gemeldet waren, weist darauf hin, dass es sich vor allem um einen wissenschaftspolitischen Anlass handelt bzw. handelte. Joep Lange gehörte zu den bedeutendsten und prominentesten der geladenen Gäste. Seiner und auch der anderen Opfer wird wohl nicht nur an diesem Anlass gedacht. Tragischerweise erhält der Welt-AIDS-Kongress aufgrund dieses mutmasslichen Terror-Anschlags eine globale Aufmerksamkeit, die ihm trotz eines enormen internationalen PR-Aufwandes sonst vorenthalten geblieben wäre.
Mit dem Tod von Joep Lange, über Jahrzehnte einer der glaubwürdigsten Medizin-Publizisten zum Thema AIDS und in der Sache ein Pionier, wie auch mit den anderen Opfern, scheint dieser Werbeerfolg allerdings zu teuer bezahlt worden zu sein.
*
PS. Im Kanton Luzern war 1982/83 der Landarzt Dr. Gustav Meier aus Gunzwil der erste Mediziner, der es mit einem AIDS-Patienten zu tun bekam. Darüber hielt er in einem medizinhistorischen Arbeitskreis an der Kantonsschule Beromünster insgesamt zweimal einen Vortrag, den ich mit der Syphilislehre des Paracelsus ergänzte.
Zur damaligen Zeit waren solche Patienten eine echte Herausforderung. Der Mann, der sich in New York angesteckt haben soll, hat nicht überlebt. Die ersten Aufsätze über AIDS, zu deren Verfassern auch der verstorbene Joep Lange gehörte, waren medizinische Sensationen. Krankengeschichten wurden plötzlich wieder wichtig.
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