Textatelier
BLOG vom: 28.07.2014

Wortungetüme: Deutsche Sprachadhäsion und Jungfrau

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen / Westdeutschland
 
 
Der Bundestagsabgeordnete kommt am Freitagnachmittag nach Hause.
 
„Na, wie war deine Woche?“, flötete seine junge Frau.
„Sie wäre gewiss angenehmer gewesen, sässe ich im Unterhaus in London und nicht in Berlin im Reichstag,“ seufzte er.
 
„Müssen wir nach Good old Britain umziehen?“, fragte sie erstaunt.
„Nicht wegen der Tommies, wegen der deutschen Sprache“, gab er zurück.
„Ach so! Was hat das mit unserer Sprache zu tun?“, wunderte sie sich.
„Die machen bestimmt keine Gesetze mit so grauseligen Namen!“, behauptete er.
„Du meinst wohl Gesetze, dass es einem graust“, sagte sie schnippisch.
„Das auch, aber die meine ich jetzt nicht. Ich meine die Benennungen“, sagte er.
 
„Nomen est omen?“, fragte sie und wunderte sich, dass sie noch ein paar Worte Latein konnte.
„Genau, das heisst übersetzt, der Name ist Programm“, gab er zu.
„So wie ein Fernsehprogramm?“, fragte sie.
„Genau so, und oft genau so überflüssig, banal und nichtssagend!“, erwiderte er vielsagend, „soll ich dir einmal sagen, worüber wir bis abends um 22 Uhr in dieser Woche abgestimmt haben?“
„Gerne, jetzt bin ich aber bestimmt gespannt!“, freute sie sich.
 
„Wir haben über dasRindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz’, das ‚Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz’, das ‚Finanzkonglomeraterichtlinieumsetzungsgesetz’ und über das ‚Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz’ abgestimmt,“ jammerte er.
„Das hört sich richtig spannend an! Und worum ging es da?“, fragte sie.
„Wenn ich das nur wüsste! Ich habe schon die Bezeichnungen nicht verstanden! Und in meinen Unterlagen stand auch nicht viel mehr, die Überschriften waren schon lang genug!“, gab er zu.
 
„Jetzt weiss ich auch, warum du so viel Geld für deine Arbeit bekommst!“, meinte sie verständnisvoll.
„Ja, und am Montag geht es weiter!“, bekräftigte er ihre Meinung.
„Und mit was dann?“, fragte sie.
 
„Mit der ‚Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitübertragungsverordnung’, mit der ‚ Vermögenszuordnungszuständigkeitsübertragungsverordnung’ und der ,Berufsausbildungsvorbereitungsbescheinigungsverordnung’. Ich fürchte, das wird wieder eine Nachtsitzung! Ich nenne das ‚Wortschöpfungsonanie’!“, zerfloss er in Selbstmitleid.
 
„Ja, die Supernanny im RTL darf das auch nicht mehr! Weisst du, was der Eric Jarosinski, du weisst, das ist der, der so viel twittert und ganz oft angeklickt wird, behauptet hat?“, fragte sie. 
„Was du so alles im Internet liest. Na dann sag’ schon“, erwiderte er gespannt.
 
„Er sagt, die deutschen Wörter seien nicht zu lang. Das Leben ist zu kurz!“, gab sie stolz zum Besten, „und er sagt, das schönste deutsche Wort ist ‚Stillstand’, aber nur, weil das auf Englisch ‚standstill’ bedeutet!“
 
„Und das schönste englische Wort ist ‚one-night-stand’!“, gab er schmunzelnd zur Antwort.
 
„Hattest du was mit einer Engländerin?“ fragt sie aufhorchend. 
„Unsinn, ich meine nur, das macht Mann und Frau 9 Monate vor dem Stillen! Und jetzt lasst uns nicht still stehen, sondern still schlafen gehen. Denn wie heisst es so schön: ‚Wer schläft, gibt keine Weisheiten von sich.’" 
 
„Du meinst wohl ‚sündigt nicht’, du Sünder! Wir müssen dringend über das Gesetz der ‚Geschlechterinteressenabwägung’ sprechen! Spielst du jetzt ‚Nachtruheverordnungsbeschleunigungsbestimmungsbevollmächtigter’?,
fragte sie, schläfrig maulend.
 
Aber er war schon eingeschlafen, und die Namen der Gesetze schwirrten ihm in seinen Träumen herum. Und ich konstatiere, dass ich kein echter Schriftsteller bin, denn was sagte Karl Kraus?
 
Im Umgang mit der Sprache steht der Schriftsteller vor der Aufgabe, eine allgemeine Dirne zu einer Jungfrau zu machen.
 
Ich bin eben kein „Hymenalrekonstruktionssprachkünstler!“
 
Quellen
 
Hinweis auf weitere Arbeiten über die Sprache
 
Blogs über die Sprache
Hinweis auf weitere Blogs von Faber Elisabeth
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