BLOG vom: 09.08.2014
Fred Pestalozzi: Mit „Strath“ und Willen war alles möglich
Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU/CH
Fred Pestalozzi, geboren 1922, verstorben am 4. August 2014, Gründer der Weltmarke „Bio-Strath,“ heute „Strath“, war schweizweit einer der beeindruckendsten Familienunternehmer im Bereich der Kleinen und Mittleren Unternehmen. Mit weniger als 20 Arbeitskräften entwickelte er ein Produkt, für das seinerzeit der berühmteste Radfahrer des Landes, Ferdy Kübler, aber auch Automobilrennfahrer wie Jo Siffert und Clay Regazzoni geworben hatten, ebenso andere Spitzensportler. Fred Pestalozzi gehörte in diesem Sinn zu den Entdeckern der Sportwerbung, wiewohl diese Art Marketing nicht seine wesentliche Hauptleistung war.
Im Vordergrund stand die Entwicklung eines natürlichen Aufbau- und Stärkungspräparates auf biologischer Basis, eben „Bio-Strath“, welcher Name aber dann auf „Strath“ reduziert wurde, weil gemäss den Verordnungen der Europäischen Union die Bezeichnung „Bio“ nur für Produkte zulässig sei, die aus dem sogenannten biologischen Anbau in der Landwirtschaft gewonnen werden. Die Begriffe „natürlich“, der für Pestalozzis Produkt zwar unbedingt zutrifft, und „Bio“ müssen unbedingt getrennt werden.
Das Kräuter-Hefe-Präparat, das seit 1961 Generationen von Schweizern stärkte, wird von Herrliberg/ZH aus in die ganze Welt exportiert. Insofern wäre es falsch, mit dem Namen „Herrliberg“ einseitig den grösseren, aber auch umstritteneren Unternehmer Christoph Blocher zu verbinden.
Von der familiären Herkunft stammen die Pestalozzi aus einer zur Reformationszeit aus dem Tessin nach Zürich eingewanderten Familie. Neben dem unternehmerisch wenig erfolgreichen Geistesriesen Heinrich Pestalozzi gab es aber seit Generationen unternehmerische Zweige der Familie, ausserdem Ärzte, so etwa den bekannten Chefarzt Dr. Emil Pestalozzi-Pfyffer, dessen Konversion zum Katholizismus vor 130 Jahren in Zürich skandalöses Aufsehen erregte.
Auch der verstorbene Unternehmer-Pionier Fred Pestalozzi war im Vergleich zu Zürichs Normalstandard in den vergangenen 200 Jahren überdurchschnittlich religiös: „Er wusste um das Weiterleben nach dem Tode und freut sich, viele seiner vorangegangenen Freunde und Familienmitglieder wieder sehen zu können“, schreiben die Angehörigen in einer diesbezüglich heute aussergewöhnlichen Todesanzeige, zumal in der gottlosen, jedoch das kirchliche System stützenden Neuen Zürcher Zeitung. Der im Alter von 92 Jahren verstorbene Herrliberger hinterlässt seine Gattin Sylvia, eine gebürtige Engländerin, fünf Kinder und zehn Enkel.
Sein Lebensmotto habe gelautet „Do it now“, erzählt David Pestalozzi, also: „Mach es jetzt“. Das brachte den KMU-Pionier auch durch harte Zeiten. „Am Anfang sagte mir jeder, der Saft würde keine Chance auf dem Markt haben“, sagte Fred Pestalozzi anlässlich des Tags der offenen Tür zum 50-Jahr-Jubiläum 2011 in der Zürichsee-Zeitung ZSZ. Und: „Mit dem nötigen Willen kann man alles schaffen, was man möchte.“
Zu seinem Lebenslauf gehört es, dass er eigentlich in der Maschinenbranche der heutigen Pestalozzi Group hätte Karriere machen sollen, deren Vorstand er zwischen 1949 bis 1957 angehörte. Unter anderem gesundheitliche Gründe verwiesen ihn auf einen anderen Weg – so „ein Pfeifen im Ohr“, wie der gute Erzähler im Zusammenhang mit seinem Lebensschicksal gerne hervorhob.
Fred Pestalozzi war vor 1961 lange krank, bettlägerig gar: Ab 1951 hatte der junge Mann am Menière-Syndrom gelitten, wurde von Schwindelanfällen geplagt. Die verordneten Medikamente gegen die Ohrenkrankheit halfen nicht. Bis der Spross der Zürcher Stahldynastie Pestalozzi zufällig auf ein Kräuterhefe-Präparat aus Deutschland stiess: „Fortan trank ich alle paar Stunden einen Schluck und war nach drei Monaten gesund. Dieses Erlebnis liess mich nicht mehr los.“ So hat sich der am Montag, 04.08.2014, verstorbene Fred Pestalozzi noch im Mai in der Zeitung „Reformierte Presse“ zitieren lassen.
Es war der Anfang einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte, die eine kleine Fabrik in der ländlichen Idylle hoch über Herrliberg zu einem Schauplatz des globalen Handels gemacht hat: Hier wird seit 1964 Bio-Strath (heute, wie gesagt, nur noch Strath genannt) gebraut, und von hier werden die Flaschen mit dem stärkenden Saft in über 50 Länder exportiert. Von Südafrika bis Dänemark, von Japan bis Israel trinken die Menschen und Tiere, für die es eine eigene Produktelinie gibt, das pflanzliche Präparat. Das Rezept dafür liess sich der Firmengründer nach seiner Genesung vom deutschen Chemiker Walter Strathmeyer schenken.
Den selbst gebrauten Hefesaft brachte Pestalozzi in der Schweiz ab 1961 als Bio-Strath auf den Markt und erwies damit dem Freund aus Deutschland die Reverenz. Anfänglich standen die Töpfe mit der gärenden Flüssigkeit auf dem Herd einer Zweizimmerwohnung an der Zürcher Langstrasse. 1964 zog die Firma an den Zürichsee. In drei Bauetappen wuchs der Produktionsbetrieb auf die heutige Grösse. Jährlich werden rund 1,8 Millionen Einheiten hergestellt, maschinell abgefüllt, etikettiert, verpackt und für den Versand im In- und Ausland bereitgestellt.
Die genaue Rezeptur für Strath kennen nur drei Personen, darunter der heutige Geschäftsführer und der technische Leiter. Einiges verrät das Unternehmen aber auf seiner Webseite. Demnach enthält das Nahrungsergänzungsmittel 80 Prozent plasmolysierte, also verflüssigte Kräuterhefe, 10 Prozent Malzextrakt aus Gerste, 5 Prozent Bienenhonig und ebenso viel Orangensirup. Zwei Monate lang gärt die Flüssigkeit in einem der vier Chromstahltanks, die je 12 000 Liter fassen. An Fred Pestalozzis Prinzipien halten sich die knapp 20 Mitarbeitenden bis heute: Alle Wirkstoffe sind naturbelassen, es werden keine künstlich erzeugten Substanzen zugegeben, und das Produkt ist ohne Konservierungsmittel lange haltbar. Am flüssigen Kraftstoff „Strath“ hat sich bis heute ausser dem Namen nichts verändert. Schlicht und einfach, „weil es da nichts zu verbessern gibt“, wie Fred Pestalozzi 2007 in einem Artikel in der ZSZ sagte.
Insofern Fred Pestalozzi und sein Sohn und Nachfolger einen Kleinbetrieb mit weniger als 20 Angestellten führen und trotzdem einen unerhört bekannten Namen generierten, erinnert „Strath“ ans ähnlich berühmte aus natürlichen Ingredienzen zusammengesetzte „Trybol-Kräutermundwasser“ der Neuhauser Unternehmerfamilie Minder, dessen Siegeszug schon um die 50 Jahre vor Bio-Strath ansetzte, nämlich 1913. Das Rezept ist ebenfalls geheim. Auch dieses Produkt hat sich nicht verändert. Bei beiden sonst jedoch sehr unterschiedlichen Naturprodukten geht es um die Naturbelassenheit der Wirkstoffe, den Verzicht auf die Beigabe von künstlich erzeugten Substanzen und natürliche Haltbarkeit ohne Konservierungsmittel.
Von der Güte seines Hefe-Präparates überzeugte sich der Firmenpatron täglich von neuem: «Wie in einer Zeremonie» habe er jeden Morgen und später am Tag nochmals einen Schluck Strath eingenommen, sagt sein jüngster Sohn und Nachfolger, David Pestalozzi. „Das half ihm wie ein Tropfen Öl im Motor.“ Gegen seine langjährige Parkinson-Erkrankung konnte das Stärkungsmittel indes keine Wunder vollbringen.
Die Meinung, dass man den Tod nicht fürchten solle, teilte Fred Pestalozzi mit dem griechischen Philosophen Sokrates. Dieser schloss ein Wiedersehen mit den Freunden zwar nicht aus, rechnete aber auch damit, dass der Tod nichts anderes sei als ein ewig langer traumloser und insofern ungestörter Schlaf. Mit beiden Varianten konnte Sokrates leben, ja sogar bekennen: „Ob das eine oder andere zutrifft, der Tod kann unter diesen Gesichtspunkten als ein wunderbarer Gewinn gesehen werden.“ So zu lesen in der von Platon aufgezeichneten berühmten Verteidigungsrede des zum Tode verurteilten Volksweisen. Gemäss Erasmus von Rotterdam hat der Heilige Geist im Neuen Testament ein stilistisch schlechteres Griechisch geschrieben als Platon in seinen Schilderungen von Sokrates und von dessen Reden. Wer aber recht hat, ist nicht erwiesen.
Nach Blaise Pascal darf auf dieses Thema eine Wette abgeschlossen werden, die berühmte Pascalsche Wette. Ob der verstorbene eindrucksvolle Unternehmer mit seiner Auffassung über den Tod recht bekommt, „weiss“ er nunmehr besser als wir es zur Zeit wissen können.
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