BLOG vom: 11.08.2014
Sepp Marty – Grafiker und Erneuerer von Bruggs Fasnacht
Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU/CH
Sepp Marty, geboren am 18. Mai 1933 in Wikon, Kanton Luzern, war ein volkstümlicher und volksnaher Schweizer Grafiker und Grafikkünstler, der an seinem Jahrzehntelangen Wohnsitz Brugg „Freiherr zu Tusch und Feder“ genannt wurde. Und zwar nicht nur im fasnächtlichen Zusammenhang. Er starb am 19. Juli 2014 im Kantonsspital Baden AG an den Folgen einer Hirnblutung. Ergeben hatte sich das Malheur in der Rekonvaleszenzphase nach einem Krankenhausaufenthalt aufgrund eines Treppensturzes, nicht unähnlich dem Schicksal des einige Monate zuvor verschiedenen berühmten Künstlers Hans Rudolf („H. R.“) Giger.
Der Todestag von Sepp Marty ergab sich mit nur einem Tag Differenz zum 1. Jahrestag des Hinschieds seines Sohnes Frank. Der letztere Todesfall hatte dem heiteren und humorvollen Menschen, über Jahrzehnte einer der originellsten und profiliertesten Persönlichkeiten der Stadt Brugg, zugesetzt. Desgleichen seiner Frau Irma, geb. Schenker, dem Sohn Roger und der Schwiegertochter und Witwe Kamilla mit den beiden Enkelkindern. Wohl auch darum und altershalber war Sepp Marty nach der Fasnacht 2014 aus der „Konfettispalterzunft Brugg“ (Ehrenmitglied) und anderen fasnächtlichen Vereinigungen zurückgetreten. Während rund 4 Jahrzehnten gestaltete der Zuwanderer aus der Innerschweiz als Spiritus rector für die Brugger Fasnacht Sujets, Plakate und Plaketten. Auf breiter Basis entwickelte er Ideen, die er manchmal blitzartig umzusetzen verstand. In diesem Sinn wurde er ein volkstümlicher Kulturschaffender von nicht zu unterschätzendem Rang. Die zur Reformationszeit abgeschaffte Fasnacht wurde nicht zuletzt dank ihm im einstigen Prophetenstädtchen wieder populär. Frühere Versuche, in der puritanischen Kleinstadtwelt des protestantischen Berner Aargaus die Fasnacht wieder in Schwung zu bringen, erwiesen sich als hilflos.
Sepp Marty war ausser Gebrauchsgrafiker und ausstellender Künstler ein meisterhafter Karikaturist, der wie kaum jemand das Boshafte mit dem Menschlichen zu verbinden wusste. Dies deutet auf einen Menschen hin, bei dem der Humor zur Naturanlage gehörte. In Brugg hatte man sich an seine sozusagen selbstverständlichen Aktivitäten in einem Ausmass gewöhnt, dass die Stadt und die Fasnächtler im Mai 2013 seinen 80. Geburtstag mehr oder weniger verschlafen hatten. Dies gehört zu den Kleinlichkeiten, die 250 Jahre zuvor schon dem satirisch begabten Arzt und Schriftsteller Johann Georg Zimmermann (1728–1895) bei Brugg Anlass zu einer gewissen Bitterkeit gegeben hatten. Das selbstironische Brugger Fasnachtsmotto von 2013 lautete übrigens „Musloch“.
Zu Sepp Martys bekannteren Werken gehören Gemeinde-Logos, so für Zeihen im Fricktal, Vereinsfahnen u. a. für die Musikgesellschaft Lauffohr, Plakate wie „Ja zum Campus Brugg“ und spektakulär das Nein-Plakat gegen den 1. Entwurf der Aargauischen Kantonsverfassung mit einer schwarz-weissen Paragraphenspinne im Negativ und dem Schlagwort „Abbau der Volksrechte Nein“, womit 1979 diese Plakatidee in einer hauchdünn verlaufenen Abstimmung mutmasslich den Unterschied ausmachte. Auftraggeber war das von Grossrat Isidor Bürgi, Tierarzt in Frick, geleitete Komitee für die Volksrechte im Aargau gewesen. Die Gegenseite hatte nur fade mit den Kantonsfarben zu einem Ja aufgerufen, dem Publikum nicht einmal deutlich gemacht, dass es sich um ein politisches Plakat handeln würde.
Sepp Marty, der bis 2014, seinem formellen Rücktritt, 37 Fasnachtsplaketten und entsprechende Plakate gestaltet hatte, bevorzugte humorvolle satirische Aussagen, nicht ungern mit politischem Gehalt, was ihm bei seiner jovialen Art kaum übel genommen wurde. Er ging jedoch davon aus, dass ohne ein Minimum an Provokation die nötige Beachtung nicht zu erreichen sei. Bei den politischen Plakaten fiel auf, dass die Seite, welche Sepp Marty engagierte, so gut wie immer siegreich blieb. Die aargauische Kantonsverfassung wurde im zweiten Anlauf bei einigen Verbesserungen Ende 1980 doch noch angenommen, so dass Sepp Marty mit dieser seiner damaligen Aktion durchaus nicht als Verhinderer des Fortschritts in die Geschichte des Kantons eingegangen ist. Im Gegenteil, dürfte man bei Kenntnis der schweizerischen politischen Tradition des „zweiten oder dritten Anlaufs“ sagen. Zu den bekannteren rein kommerziellen Produktionen von Sepp Marty gehörten die gelben Aufkleber zu MAJA Popcorn. Fast jeder Kinobesucher in der Schweiz kannte dieses Produkt, ohne zu wissen, „Industrial Design“ von Sepp Marty in der Hand zu haben.
Als Produzent künstlerischer Grafiken, was für ihn nicht das Gegenteil von Gebauchsgrafik sein musste, beteiligte er sich an regionalen Ausstellungen in der Galerie Lauffohr, der Gallery New York in Brugg, im Rathaus und aus Anlass des Firmenjubiläums der Bijouterie Bill. Bekannt blieb sein Name in Bad Schinznach, wo er bis 1972 rund ein Dutzend Jahre als Grafiker des Volkswagen-Importeurs AMAG gearbeitet hatte. Ab den siebziger Jahren wirkt er als selbständiger Grafiker in Brugg.
Die Schulen hatte Sepp Marty zunächst in seinem Geburtsort Wikon LU (Wahlkreis Willisau) bei Zofingen, wo er mit drei Geschwistern aufwuchs, besucht, danach in Goldau SZ und schliesslich im Kollegium Schwyz, wo unter anderen der in Kunstsachen leidenschaftlich engagierte Paul Kamer sein Lehrer war. Marty machte jedoch keine Matura, sondern eine Lehre als technischer Zeichner, anschliessend die Grafikerausbildung an der Kunstgewerbeschule Luzern. Seine ersten Arbeitgeber waren die „Glasi“ Hergiswil, die Glasfabrik in Wauwil LU, Aluminiumfirmen wie die ALRO in Lausanne, bis er dann 1960 in die AMAG wechselte. Die Heirat mit Irma Schenker erfolgte 1965. Die beeindruckend stabile Ehe mit den zwei Kindern und drei Enkeln (einer derselben, David, ist ebenfalls schon gestorben) verfehlte das verdiente Fest der Goldenen Hochzeit nur um ein Jahr.
Kennengelernt habe ich den professionellen Grafiker 1969 in meinem ersten Wiederholungskurs als Nachrichtensoldat der Festungsabteilung 23 im Festungsregiment 22, Mitglied einer Réduitbrigade im Kanton Nidwalden: Bestandteil des Systems der in der Zeit des 2. Weltkrieges konsolidierten innerschweizerischen Festungsverteidigung. Unsere Aufgabe war, den seinerzeitigen Anmarschweg der französischen Armee vom September 1798, für den Fall, dass sich ein solches Geschehen wiederholen sollte, mit Festungskanonen, oft Marke Krupp, zum Teil aus der Zeit des 1. Weltkrieges, zu verteidigen. Für die grösseren Geschützen lautete der Standardbefehl, Panzer auf der Acheregg-Autobahnbrücke unschädlich zu machen, wenn nicht sogar die Brücke selbst.
Unsere Nachrichtenabteilung unter dem Ostschweizer Oberleutnant Walter Schmucki aus Wil SG, dem Wachtmeister Emil Giezendanner, ebenfalls einem St. Galler, dem Aargauer Wachtmeister Karl Jäger, dem unentbehrlichen, weil in Sachen Skizzen unschlagbaren Gefreiten Sepp Marty, Luzerner und Aargauer, dazu den Nachrichtensoldaten Gefreiter Dieter Natterer, Gefr. Hans Schaub, Gefr. Theo Iten und Soldat Pirmin Meier hatte sich kollektiv der Aufgabe zu widmen, die Geographie der Region unter dem Gesichtspunkt der Landesverteidigung bestens zu kennen und für alle Fälle, bis einschliesslich des Atomkriegs, gewappnet zu sein.
Unser Nachrichtenbüro befand sich innerhalb der Festung Mueterschwandenberg ganz oben auf dem Zingel. Nebst vielem anderen studierten wir das Erscheinungsbild und die Unterscheidungsmerkmale sowjetischer Panzer und Kampfflugzeuge. Dies alles, damals noch streng geheim, kann hier im Gedenken an den Gefreiten Sepp Marty deshalb öffentlich gemacht werden, weil die zur Zeit des 2. Weltkrieges und noch später ausgebauten Alpenfestungen zum Teil zu Museen umfunktioniert wurden, zum grösseren Teil schlicht ausser Betrieb gesetzt sind.
Die damalige Nachrichtengruppe verschweisste sich zu einer verschworenen lebenslänglichen Kameradschaft, die sich unter massgeblicher Initiative des Gefreiten Marty einerseits und des nachmaligen Hauptmanns Schmucki andererseits ausserdienstlich regelmässig an schönen Orten traf, im Aargau, in Baselland, in der Ostschweiz und selbstverständlich auch um den „Kriegsschauplatz“ rund um unsere Festung Blattiberg und Mueterschwandenberg. Eines der letzten Treffen der Gruppe erfolgte in Beromünster, aus Anlass der Verleihung des Innerschweizer Literaturpreises an eines der Gruppenmitglieder. Bei diesem Anlass erhielt ich, wie schon zuvor beim Aargauer Literaturpreis, ein schönes Kunstwerk der heiteren Muse aus der Feder meines lieben Freundes Sepp Marty. Seine Frau Irma pflegte sich bei den Treffen meist ebenfalls einzufinden.
Er war nicht nur ein grossartiger Familienmensch, er trug wesentlich dazu bei, die Stadt Brugg, gemäss dem schon genannten Arzt und Schriftsteller Johann Georg Zimmermann einst ein spiessiges Krähwinkel, zu einer „heimeligen“ Kleinstadt zu machen. Nicht bloss eine Schlafstadt zwischen Zürich, Aarau und Basel. Sepp Marty gehörte zu denjenigen, welche der Kleinstadt ein Herz und eine Seele gaben. Ein Mensch, der gestalterische Heiterkeit zu seinem Lebensinhalt gemacht hatte und zugleich ein vorbildlicher Bürger. Seiner Frau Irma und seiner Familie gilt das Beileid des Freundeskreises, der zur Sommerzeit meistenteils zu spät über den Hinschied des lieben Freundes Nachricht erhalten hat. Sepp Marty war ein Mensch, der jederzeit in Gottfried Kellers Kreis zum „Fähnlein der sieben Aufrechten“ hätte Aufnahme finden können.
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