Textatelier
BLOG vom: 20.09.2014

Bibersteiner Altersausflug durchs Steinatal D zum Schinken

Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
 
 
Man braucht sich um nichts zu kümmern: Das Reisen mit dem Car ist eine komfortable Sache und gerade für ältere Menschen mit ihrem Bedürfnis nach Kurzausflügen ideal. Für Gehhilfen wie Rollstühle und Krücken steht im Untergeschoss des mit allem Komfort versehenen Fahrzeugs ein kleiner Lagerraum zur Verfügung.
 
Solch eine halbtägige Reise erlebe ich alljährlich dank meiner Wohngemeinde Biberstein AG, wo der Gemeinderat die Señoritas und Señoren zum traditionellen Altersausflug einlädt. Man sieht sich gelegentlich im Dorf, kennt sich sowieso. Die eine oder andere Person ist nicht mehr dabei, Jung-Pensionisten („junge Trüübel“) rutschen nach. Einige sind noch vital, andere wirken müde, der Jugend weit entrückt. Man macht einander Komplimente für das noch einigermassen passable Aussehen. Die Empfänger der netten Worte relativieren, zeigen sich bei allen Vorbehalten zufrieden. „S’ goht eso“. Man weiss, was im höheren Alter abläuft. Es geht allen im Prinzip gleich; nur die Zahl der ausgewechselten Gelenke und die Art der Medikamentenabfolgen variieren individuell.
 
Eine zweistündige Reisecarfahrt übersteht man noch einigermassen unbehelligt; zur Sicherheit sind jeweils 2 Samariterinnen, Cécile Lüscher und Eva Nadler, an Bord. Und wenn es einer Seniorin auf einer kurvigen Strecke übel wird und sie sich nicht vorstellen kann, je wieder etwas essen zu können, sagt sie nichts, versinkt in ihrem Elend. Der Carchauffeur, Willy Gloor aus Veltheim AG, spricht aufmunternde Worte, preist den herrlich sonnigen Herbsttag, und zeigt sich, die gute Stimmung erhaltend, sogar über die vielen Umleitungen erfreut, die einen in unbekannte Gebiete und durch einsame Dörfer führen, eine Geografielektion für die Spätberufenen.
 
Und nach diesem einleitenden Stimmungsbericht kann nun der klassische Reisebericht, wie ihn die Nicht-Literaten schreiben, beginnen: „Wir fuhren ...“.
 
Wir fuhren also um 13 Uhr mit dem Car von in Biberstein los, aareabwärts bis Umiken vor Brugg, dann tiefer ins Aargau-Innere über Riniken, Mönthal und die Ampferenhöhe, ein kleiner Pass, der nach Sulz im Rheintal überleitet, und auf dem früher grosse Waldfeste gefeiert wurden. Nach Rheinsulz schafften wir es über die künstlerisch geschmückte Rheinbrücke ans deutsche Ufer von Laufenburg, wo der Carunternehmer Gloor seine Maut (Beförderungssteuer) entrichten musste: 70 Euro für die mutmasslich 95 km mit 50 Personen. Die Carfahrt bis Hamburg würde rund 1000 Euro kosten, sagte der Experte. In der Schweiz können Cars für 150 CHD so weit und so oft fahren wie sie wollen; der Reisecar-Transit durch unser touristenfreundliches Land ist gratis. Die Schweiz ist im Vergleich zu Deutschland, Österreich, Italien usf. das kostengünstigste Land für ausländische Fahrzeuge. Was mich erstaunt, ist die Riesenbürokratie, die in Deutschland wegen dieser Abkassiererei aufgezogen wird. Als wir abends zurückreisten, sagte Chauffeur Gloor, er müsse nun nicht mehr zum Zoll, da er ohnehin kein Geld mehr zurückerhalte; auch den Zahlungsnachweis musste er nicht zeigen ... sonst hätte es ihm noch blühen können, dass die umleitungsbedingten Mehr-Kilometer zwischen Ühlingen, Untermettingen, Birkendorf unserem Ziel Grafenhausen ebenfalls noch als Aufpreis hätten beglichen werden müssen.
 
Wegen dieser gebühren- bzw. mauttechnischen Aspekte, die für mich neu waren, bin ich der Reise in den Hochschwarzwald vorausgeeilt. Kehren wir also mit unseren Gedanken zum Zoll zurück. Der Fahrweg führte nach Waldshut-Tiengen und durch das Steinatal nach Norden bis Untermettingen bei Ühlingen, wo eine ausführliche Umleitung via Obermettingen, Bettmaringen und Birkendorf fällig war, durch eine Landschaft wie im Tafeljura.
 
Bei einem Altersausflug ist die Fahrt als solche ein wesentlicher Bestandteil der Veranstaltung, besonders wenn sie in unbekannte Gefilde führt. Das Tal, das durch die Steina ausgehoben wurde, manifestiert sich streckenweise als wilde, gewundene Schlucht mit rund 100 m hohen, fast senkrechten, bedrohlich wirkenden Felswänden aus Gneis und Porphyr; auch der Muschelkalk ist stark verbreitet. Dem Vreni wurde es ob der viele Kurven furchtbar schlecht.
 
Das Schmelzwasser des Felsberggletschers hat im harten Gestein des Steinatals ganze Arbeit geleistet. Ein Teil des Wassers versickert im Muschelkalk und gelangt wahrscheinlich in den Grundwasserstrom des Klettgautals. Der Schwarzwälder Schriftsteller Heinrich Hansjakob empfand das Steinatal in seinen Reisebeschreibungen als eines der schönsten Schwarzwaldtäler, was mir persönlich etwas euphorisch zu sein scheint. Im Tal mit den Weiss- und Rottannen, den Birken und den erkrankten Eschen hat dem Wasserlauf entlang der aus Asien eingeschleppte Japanknöterich (japanischer Staudenknöterich) überhandgenommen, der wegen seines dichten Wurzelwerks fast nicht auszurotten ist und ganze Monokulturnen bildet, eine Zumutung. Schon Wurzelstücke um 1 cm Länge können neue Pflanzen bilden, ein übler Neophyt, der auch hier sein Unwesen treibt.
 
Der Steina entlang erreichten wir vom Südschwarzwald den Hochschwarzwald und hier den Waldgasthof Tannenmühle (www.tannenmuehle.de) in Grafenhausen, zu dem auch ein Tiergehege und eine Museumsmühle gehören. Wir steuerten, vom knurrenden Magen getrieben, unverzüglich dem Gasthof-Inneren zu, wo alles fürs Zvieri bereitstand. Der Tischschmuck bestand aus Chique (Pilea glauca, also Kanonierblumen). Man hatte die Wahl zwischen Schwarzwälder Schinken mit Butter und Brot einerseits sowie einer grossen Salatplatte anderseits. Eva lobte den Salat sehr, und ich tat mich am leicht geräucherten, fettarmen Schinken gütlich, dem wir Schinkenspeck sagen würden. Ein herbes, rundes Bier aus der nahen Rothaus Brauerei (Pils) lag auf der Hand bzw. im bauchigen Glas.
 
Zum Kaffee liess sich ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte nicht umgehen. Es war nicht einfach eine Kirschentorte, sondern man spürte rund um die süsse Weichselnschicht den Kirsch, eine Verdauungshilfe, wie sie Betagte zu schätzen wissen und als Medizin verstehen. Die Bibersteinerin Rita Bircher, die diesen 4. Altersausflug zur restlosen Zufriedenheit aller mit Sinn fürs Detail organisiert hatte, rief zu den „1000 Schritten“ in der Umgebung auf, die der ehemalige Gärtnermeister Hans-Rudolf Berner mit seinen Alphornklängen neben einem Mühlenrad und Mahlsteinen begleitete. Man hatte also die vertraute Folklore im Gepäck, so dass von dieser Seite keinerlei Entzugserscheinungen zu befürchten waren. Wir begrüssten wenige Meter neben der Mühle unter dem Müllersberg diverse Schafe, worunter das mit langen, gedrehten und zugespitzten Hörnern ausgestattete Zackelschaf aus Ungarn, und die Damhirsche, deren Brunftzeit in den nächsten Tagen beginnen dürfte und bei uns Erinnerungen an längst überwundene Zeiten hervorrief. Auch die Fischzucht (Regenbogenforellen) im Hirschbrunnenbächle entzog sich unserer Aufmerksamkeit nicht. Besonders angesprochen wurde ich nach der reichhaltigen Vesper von der unbeschreiblichen Schönheit eines Hängebauchschweins. Endlich kam ich mir wieder einmal relativ schlank vor.
 
Der Car schluckte uns wieder, und die Heimfahrt erfolgte an der Rothaus-Brauerei in Rothaus vorbei. Im Glottertal ist zwischen 1984 und 1988 die ZDF-Serie „Die Schwarzwaldklink“ von Dr. Brinkmann gedreht worden, und als Wohnhaus des berühmten Fernseharzts wurde das Heimatmuseum Hüsli in Grafenhausen gewählt. Wir streiften in respektvoller Distanz den Schluchsee und fuhren auf direktem Wege südwärts über Häusern, in dessen „Adler“ ich schon mehrmals festlich getafelt habe, nach Höchenschwand. Die Endroute: Waldshut, Laufenburg D/CH nach Ittenthal, über den Chaistenberg nach Frick und über die Staffelegg nach Biberstein.
 
Dem Vertreter des Gemeinderats, Rolf Meyer, wurden aufrichtige Worte des Danks und Grüsse für die Behörde mitgegeben, immer in der Hoffnung, dass die Seniorenausfahrten als eine schöne Tradition erhalten bleibe. „Die würden wir nie aalänge“, sagte der menschlich zugängliche Behördenvertreter, was bedeutet, dass man sich niemals im Sinne einer Abschaffung an diesen Ausflügen vergreifen würde. Somit wurden wir beruhigt nach Hause entlassen, immer in der Hoffnung, dass unsere Kräfte auch 2015 für das Durchstehen einer Carreise ausreichen werden. Mit letzter Gewissheit vermag das niemand vorauszusagen. Klar ist nur, wer zuletzt stirbt: die Hoffnung.
 
 
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