Das war also Primos „Tag X“ – ohne Lichterlöschen
Autorin: Rita Lorenzetti
An diesen Abschied denke ich ohne Wehmut zurück.
„Ihr könnt jetzt gehen! Jetzt sind wir hier die Chefs.“ Dieser humoristische Unterton erleichterte alles. So beendeten die Liegenschaftsverwalter den Kontrollgang und die Abgabe der Räume an der Drahtzugstrasse 76 in CH-8008 Zürich, die bis zu diesem Augenblick uns gehört hatten. Hier konnte Primo 35 Jahre als selbständiger Möbelbauer und Holzkünstler arbeiten. Er beseelte die Werkstatträume mit seinen Gedanken und Werken.
Alle Menschen, die hierher kamen, wurden vom Charisma dieser einmaligen Werkstatt erfasst. Am romantischen Wildbach hinter dem Botanischen Garten gelegen, wirkte auch ein Stück Natur auf sie ein.
Belustigt, aber auch irritiert, gingen wir dann weg. Ohne ein Licht zu löschen, ohne eine Tür schliessen zu müssen. Seltsam. Das war also der Tag X. Wir wussten es immer, dass wir die Werkstatträume eines Tages zurückgeben müssen. Jetzt werden sie für ein Sozialwerk gebraucht.
In der Bar, wo sich jeweils die Handwerker-Runde traf, war heute kein Stuhl besetzt, das Lokal aber offen. Leere auch hier. Ruhe. Viel Platz und Raum für uns. Letizia, unsere hilfsbereite Tochter, auch dabei. Wir erzählten einander die eben erlebte Abschiedsgeschichte, wie wenn wir Fremde wären. Wir mussten reden, um Emotionen zu glätten. Einerseits hatten wir soeben etwas verloren, doch weil unsere Räumungs- und Putzarbeit so positiv bewertet worden war, schwebte auch Freude um uns.
Es hatten sich also alle Anstrengungen gelohnt. Zwar äusserten sich Nachbarn erstaunt darüber, dass wir in Hallen, die bald einmal umgebaut werden, noch Fenster putzten. „Das ist Ehrensache!“ war meine Antwort dazu. Wäscht man nicht auch einen Toten oder balsamiert ihn vielleicht noch ein, bevor er beerdigt wird? Die Räume strahlten, als wir uns von ihnen verabschiedeten. Wir können schöne Bilder als Erinnerung mitnehmen. Alle Anstrengung mit ihnen kommt mir schlussendlich wie eine Abschiedsfeier und letzte Liebeserklärung vor.
Es bleiben uns noch Fotos, die den langsamen Abschied dokumentieren. Schaue ich auf die Anfänge der Räumung, fällt mir der Schnee auf, der die Mulden zudeckte. Auf der Heimfahrt an jenem oben beschriebenen Morgen entdeckten wir am Sihlquai schon die aufgebrochenen Knospen an den Kastanien. Und sofort verstand ich den Hinweis: Sei unbesorgt. Ständiger Wandel gehört zum Leben. Es geht weiter.
Ja, auch für uns. An einem anderen Ort, in kleinerem Rahmen.
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