BLOG vom: 14.11.2014
Bei Guebwiller F: Romanische Kunst, Hexenkapelle, Ziegen
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
Wer hat schon einmal eine Abtei ohne Langhaus, eine Hexenkapelle und einen gefrässigen Ziegenbock, der auf 2 Beinen steht, gesehen? Nun, das erlebten wir auf einer kulturell-orientierten Wanderung im Elsass im Kanton Guebwiller (Gebweiler).
Unser rühriger Toni von Lörrach hatte die Idee, nach der anstrengenden Wanderung auf dem Alpinen Pfad eine etwas ruhigere Rebenwanderung im Elsass zu unternehmen. Er betonte, dass es eine gemütliche, absolut seniorengerechte 1.5 bis 2-stündige mit wenigen Steigungen sei.
6 Kameraden meldeten sich zu dieser Wanderung an. Wir fuhren am 06.11.2014 von Lörrach nach Guebwiller und von dort innerhalb von 15 Minuten nach Murbach.
Gespannt waren wir auf die Abteikirche in Murbach, von der uns Toni schon vorher euphorisch erzählt hatte. Nach der letzten Kurve des Murbachtals erblickten wir die mächtige Benediktinerabtei. Man konnte es kaum glauben, dass sich in so einem engen Tal ein winziges Dorf mit etwa 100 Einwohnern und eine so überdimensioniert anmutende grosse Kirche befinden.
Bald darauf sahen wir bei einem Rundgang um die Kirche, dass das Langhaus fehlte (heute befindet sich dort ein Friedhof). Es wurde im 18. Jahrhundert abgerissen. Was wir wahrnahmen, war das Querhaus, über das sich 2 quadratische Türme erheben, und der flach geschlossene, durch 6 Fenster gegliederte Chor mit den beiden Nebenchören.
Ruth und Anne Mariotte schrieben in ihrem Elsass-Wanderführer begeistert: „Die Monumentalität, die Schönheit der Quaderbehandlung, die Fantasie des plastischen Schmucks machen die im 12. Jahrhundert entstandene Anlage zu einem Meisterwerk romanischer Kunst am Oberrhein.“
Die Fassade der Abtei ist wunderbar dekoriert. Besonders fiel mir die reichverzierte Galerie auf. Die Skulpturen, die sich uns etwas verwittert darboten, stellen Gesichter und geometrische Formen und Tiere dar. Es empfiehlt sich, diese mit einem Fernglas zu betrachten.
Etwas zur Geschichte: Die benediktinische Abtei wurde 728 vom heiliggesprochenen Pirmin gegründet und vom Grafen Eberhard finanziert. Die Abtei wurde im 10. Jahrhundert von den Ungarn verwüstet. Im 12. Jahrhundert erfuhr die Abtei eine Blütezeit. Murbach wurde ein Fürstentum und besass mehrere Städte. Während des 16. Jahrhunderts war die Abtei eine der 4 wichtigsten Abteien des Römischen Kaiserreiches Deutscher Nation. Nach dem Dreissigjährigen Krieg kamen das Fürstentum und der Rest des Elsass zu Frankreich. 1703 verlor Murbach den Status als Fürstentum und gehörte dann zu Guebwiller.
Dann gingen wir in den Chor, der schlicht gehalten ist. Besonders beeindruckend war die riesige Orgel. Toni sang eine kurze Arie, um die Akustik zu testen. Sie erwies sich als ausgezeichnet. Ein Mitwanderer meinte, wenn die Orgel ertöne, müsste man sich wohl die Ohren zuhalten. Mit der überdimensionierten Orgel könne man bestimmt einen unglaublichen intensiven Klang erzeugen. Vielleicht hält sich der Organist zurück und entlockt der Orgel leisere Klänge.
Eine Besonderheit sahen wir in einer Seitenkapelle. Es ist ein Gedächtnisgrab für 7 Mönche, die während der Ungarn-Invasion im 10. Jahrhundert den Tod fanden.
Wir besuchten auch die Loretokapelle, die sich oberhalb der mächtigen Abtei befindet. Von hier hatten wir eine prächtige Aussicht auf die Abtei. Die Kapelle ist eine originale Nachbildung der „Casa Santa“ im italienischen Wallfahrtsort Loreto in Italien.
Unter www.panoramio.com/photo/26412317 ist der herrliche Blick auf die Abtei und die Innenansicht der Kapelle nachvollziehbar. Herbert Breuer bedauerte auf seiner Homepage, dass nur die Reste der Abtei erhalten geblieben sind und man nur erahnen könne, wie gewaltig die Anlage einmal war.
Frulandus, Mönch des 11. Jahrhunderts, verfasste die folgenden Zeilen: „Sei gegrüsst, oh Blumental (Florigera vallis), du rivalisierst fast mit dem Paradies, mit deinen fruchtbaren Hügeln und deinen Hängen, die von Weinreben bedeckt sind.“
Hexenkapelle und Hexenfeuer
Nach diesen beeindruckenden Besichtigungen fuhren wir nach Orschwihr (1030 Einwohner). Es ist eine Gemeinde am Rande der Südvogesen. Colmar im Norden und Mühlhausen im Süden liegen etwa 25 km weit entfernt.
Unsere Fahrt führte der Grand Rue (Hauptstrasse) entlang, und wir erreichten die Rue du Bollenberg. Gegenüber einer mächtigen Kastanie mit einer Ruhebank davor parkierten wir und wanderten dann links über einen steilen Weg in die Weinberge zur Chapelle du Bollenberg. Auf dem Hochplateau auf dem Bollenberg, wo sich die „Haxa-Kapell“ (Hexenkapelle, 280 m ü. NN) befindet, hatten wir einen herrlichen Blick ins Tal auf die beiden Orte Orschwihr und Bergholtz-Zell.
Laut einer Sage trafen sich Hexen auf dem Bollenberg. Der Hexentreffpunkt wurde in Hexenprozessen von Rouffach erwähnt. In der Nacht auf den 15. August wird die Kapelle durch das „Haxafir“ (Hexenfeuer) beleuchtet. Junge Leute von Orschwihr verbrennen eine Hexenpuppe auf dem Scheiterhaufen.
Eine Besichtigung der Kapelle war unmöglich, so dass wir uns gleich auf den Weg in Richtung Auberge du Bollenberg machten (auf einen Abstecher zum Modellflugplatz verzichteten wir). Wir wanderten durch Weinberge und ein Trockenrasengebiet. Es sind Wärme- und Trockeninseln, wie sie auch im Mittelmeergebiet anzutreffen sind. Hier wachsen hauptsächlich Kiefern, Schwarzdorn- und Berberitzenbüsche.
In der Nähe der Trockeninseln gedeihen die besten Weine des Elsass. Winzer versuchen immer wieder, Trockenrasen in Rebberge umzuwandeln. Zum Glück gibt es einen Verein, der sich aktiv für den Schutz dieser Trockenrasen einsetzt.
Wenn der Ziegenbock auf 2 Beinen steht
Wir kamen auch an 2 Arealen, die mit Plastikzäunen umrandet waren, vorbei. In einem solchen war eine Ziegenherde mit einem prächtigen, braungefärbten Bock zu sehen. Der Bock stand auf seinen Hinterbeinen, reckte seinen Hals und naschte an den für ihn wohl köstlichen Kiefernadeln. Die 12 Ziegen um ihn herum guckten in die Höhe und erwarteten, dass der Herr des Harems (mit 12 Ziegendamen) einige Zweige herunterriss. Doch die Ziegendamen mussten lange warten und sich mit den kargen Gräsern und Kräutern zufrieden geben.
Besonders auffällig war der Bock mit seinem langen Ziegenbart und seinen imposanten Hörnern. Wie ich mir sagen liess, fressen die Ziegen etwa 60 % Blätter und Baumbewuchs, 20 % Kräuter und 20 % Gras. Ziegen eignen sich gut für die Landschaftspflege, besonders zur Eindämmung der Verbuschung an Steilhängen.
In den Trockeninseln, die unter Naturschutz stehen, gibt es gute Nistmöglichkeiten für seltene Brutvögel. Hier kommen Wiedehopf, Wendehals, Rotkopfwürger, Raubwürger und Neuntöter sowie Heide- und Feldlerche vor.
Dann wanderten wir zur bewirtschafteten Auberge du Bollenberg (Station für Feinschmecker). Von hier aus beginnt der Orchideenpfad. Ab Mai sind dort seltene Orchideen zu finden. Die Pflanzen gedeihen auf den nährstoffarmen Halbtrockenrasen prächtig.
Kurz vor der Auberge kamen wir an einem Grab, das sich rechter Hand des geteerten Wegs befindet, vorbei. Auf dem Grab war ein alter Stahlhelm platziert. Die Inschrift auf dem Grabstein besagte, dass hier der einzige deutsche Soldat, der 1945 auf dem Bollenberg starb, beerdigt wurde. Fricz Huis war 22 Jahre alt und stammte aus Köbingen. Vor dem Grab lagen 2 kleine Blumensträusse.
In der Auberge du Bollenberg lohnt sich die Einkehr mit Weinprobe der „Crus du Clos Sainte Apoline“. Toni, der schon einmal hier war, empfahl eine kurze Einkehr zu einem „Café au Lait“ oder „Einerli“ Edelzwicker. Aber an diesem Tag verzichteten wir, da wir nicht in der Dämmerung (es war schon 16.30 Uhr, und die Sonne verschwand bald darauf hinter den Vogesenbergen) ans Auto zurückkehren wollten. Aber eines sahen wir uns noch an: Eine alte Traubenpresse, die vor dem prächtigen Gebäude der Auberge stand.
Dann wanderten wir wieder in Richtung Kapelle zurück. An der Wegkreuzung vor der Kapelle folgten wir dem rechts abbiegenden Weinbergweg ins Tal zum Parkplatz.
Wir fuhren dann nach Efringen-Kirchen (Kreis Lörrach) und kehrten im „Gasthaus zum Anker“ ein. Dort speisten wir vorzüglich.
Fazit: Die kulturell orientierte Wanderung war ein Höhepunkt unser Aktivitäten. Man muss ja nicht immer stundenlang in den Bergen herumwandern, sondern kann auch interessante Sehenswürdigkeiten auf sich einwirken lassen. Die hier beschriebene Kombination – Wanderung und Besichtigungen – erachteten alle als gelungen. Solche Touren werden wir sicher bald wiederholen.
Internet
Literatur
Mariotte, Anne, Ruth: „Wandern in Elsass und Vogesen“, Dumont Reiseverlag, Ostfildern 2010.
Ritter, Rudolf: „Wanderwege im Elsass“, Moritz Schauenburg Verlag, Lahr 1973.
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